Frauen-Rugby

Nur ein bisschen verrückt

Temperamentvolle Szene beim Frauen-Rugby
Temperamentvolle Szene beim Frauen-Rugby © picture alliance / dpa
Von Gerd Michalek · 17.05.2015
Hierzulande kämpfen knapp 14.000 Begeisterte beiderlei Geschlechts um den ovalen Rugby-Ball, um das "Ei". Das Frauenteam läuft sich schon warm für die Olympischen Spiele 2016 in Rio. Wenn Frauen Rugby spielen, kämpfen sie zuerst gegen Vorurteile.
Das Rasenfeld des ASV Köln ist vom Regen stark aufgeweicht. Trotz der Widrigkeiten kämpfen 14 Frauen um das Rugby-Ei. Es geht um die Finalrunde der deutschen Meisterschaft.
"Als Amateurzuschauer - sage ich mal – da sagt man: Da laufen so und so viele Menschen aufeinander zu und raufen um den Ball. Aber nein, das ist alles gewollt und gewusst wie - und mit sehr viel Regeln."
Trainer Marco Sermersheim gibt den ASV-Spielerinnen letzte Anweisungen. Schon nach wenigen Spielzügen sind die Spielerinnen völlig mit Dreck verschmiert.
"Da muss man drauf stehen, dass man einfach sich beim Training im Dreck wühlt und dass man draußen im Winter trainiert. Das ist der besondere Reiz. Dass auch superwichtig ist, dass man athletisch ist und schnell ist, stark ist."
Vivian Bahlmann lächelt. Die Berlinerin fühlt sich in ihrem Element.
"ASV, ASV!"
Eine Szene aus einem Rugbyspiel am 9. April 2012 in Perpignan in Frankreich.
Rugby galt bis vor kurzem als typischer Männer-Sport.© picture alliance / dpa / Michel Clementz
An der Außenlinie entlang läuft eine eher zierliche Frau mit einem Fähnchen in der Hand: Dana Kleine-Grefe ist heute Linienrichterin. Außerdem hat die 25-Jährige kurz zuvor das Aufwärmtraining beim ASV geleitet! Mithelfen? Klare Sache. Dafür ist sich die Nationalspielerin überhaupt nicht zu schade. Natürlich würde sie lieber mit ihrem Team Punkte auf dem Platz sammeln.
"Dana ist ein außerordentliches Talent. Sie hat auch früh angefangen mit Rugby, das sieht man auch."
Doch vor einem Monat hat sie sich beim Training die Nase gebrochen. Derzeit kann die Kölnerin nur mitfiebern.
"Bisher läuft es ziemlich gut. Wir haben die ersten beiden Spiele gewonnen, aber man merkt, dass wir zuhause sind, dass Kameras hier sind, wir sind nervös und aufgeregt. Das merkt man in unserem Spiel. Im zweiten Spiel haben wir uns gesteigert. Wenn es so weiter geht, dann bin ich ganz positiv gestimmt."
Gut 100 Zuschauer feuern die Mannschaften an. Kameraleute wuseln herum. Eine merkwürdige Mischung: Die Fernseh-Übertragungswagen, die Zelte der Spielerinnen und der Würstchen-stand in enger Nachbarschaft. So langsam spürt auch der Präsident des Rugby-Verbandes NRW, Markus Gerigk, dass Rio 2016 nicht mehr fern ist.
"Erstmal ist mehr Öffentlichkeit da. Das ist jetzt ne Olympische Sportart, das ist toll, und natürlich bekommen wir auch mehr finanzielle Mittel. Dadurch, das Rugby nun im Olympischen Kanon drin ist, funktionieren auch die deutschen Mechanismen, die es für die Sportförderung gibt. Und davon profitieren wir. Das ermöglicht uns, hier am Bundesstützpunkt in Köln einen Trainer zu engagieren, das ermöglicht uns, einen Landestrainer zu haben und gibt uns die Rahmenbedingungen für die Sportler, sich ganz toll zu entwickeln."
Training zu jeder Jahreszeit
Viele Spielerinnen waren schon mit Herzblut dabei, als sich noch keine Medien um sie kümmerten. Eingestiegen sind die jungen Frauen auf sehr unterschiedlichen Wegen.
"Bevor ich mit dem Rugby angefangen habe, habe ich Kunstturnen gemacht. Auch ne sehr lange Zeit, aber dann hat es mich zum Rugby verschlagen, denn auch mein Vater hat Rugby gespielt. Der hat mich und meinen Bruder immer auf Turniere mitgenommen. Dann ist es irgendwie so gekommen."
"Ich habe angefangen mit Jungs Rugby zu spielen, und fand es total cool, mich mit den größeren zu messen und den stärkeren. Und Kontaktsport war einfach mein Ding."
Vivian Bahlmann spielt mit Dana Kleine-Grefe zusammen beim ASV Köln. Svetlana Hess und Alysha Stone - zuvor im Ballett und Turnen aktiv - stammen aus der Rugby-Hochburg Heidelberg.
"Wir haben fünf Vereine in Heidelberg, da spielen auch viele Mädchen, da ist es auch nicht ungewöhnlich und die meisten, die man trifft, wissen, was es ist. Nationalmannschaft spiele ich, seit ich 18 bin. Seit ich 22 bin, bin ich Sportsoldatin. Das bin ich jetzt im fünften Jahr, d.h. ich bin der bei der Sportfördergruppe der deutschen Bundeswehr und kann seitdem Rugby ein bisschen professioneller machen."
"Ich heiße Alysha Stone, bin 25 Jahre alt und spiele seit knapp 13 Jahren Rugby, habe vorher Leistungsturnen gemacht - auch in Heidelberg damals gewohnt. Ich bin durch meine Geschwister zum Rugby gekommen und hatte einfach keine Lust mehr auf ne Einzelsportart. Ich habe auch nach dem Turnen Leichtathletik ausprobiert."
Die beiden Heidelbergerinnen sind Sportsoldatinnen. Vivian studiert Soziologie, Dana arbeitet halbtags als Bürokauffrau. Alle vier wohnen in Köln und sind schon gut ein Dutzend Jahre begeistert vom Rugby. Sie sind Frauen, die etwas wegstecken können und trainieren draußen - zu jeder Jahreszeit. Die athletische Vivian misst 1,75 Meter, Dana hingegen nur 1,60 Meter. Doch beide finden in ihrem Team genau die für sie richtige Position:
Die Frauen-Rugby-Mannschaft des Vereins Bordeaux Etudiants Club
Die Olympischen Spiele könnten Frauen-Rugby-Mannschaften, wie vom Bordeaux Etudiants Club, mehr Aufmerksamkeit verleihen.© picture-alliance / ASA
"Eigentlich entscheidet das mit der eigene Körper, die eigene Statur. Wenn du ein Typ bist, der kräftig ist, und eher Muskeln aufbaust, dann bist du eher im Sturm aufgehoben, und wenn du eher ein sehr schlanker, schneller Typ bist, dann eher für die Hintermannschaft geeignet. Das entscheidet im Endeffekt der Trainer. Und es kommt noch hinzu, auf manchen Positionen musst du viel mehr Spielentscheidungen treffen. Da musst du entscheiden, welcher Spielzug macht jetzt Sinn? Manche Leute sehen besser, was Sinn macht, manche nicht."
Dana Kleine-Grefe kann das Spiel sehr gut "lesen". Sie hat ein Auge dafür, wer angespielt werden muss.
"So ne Art Spielmacherposition. Da muss ich viel Überblick haben, leite die Spielzüge ein und organisiere so ein bisschen. Daneben bin ich recht flink und gehe durch die Verteidigung durch, wenn es geht."
Wie bei anderen Sportarten auch lernen sich Regelwerk und Spielsystem leichter, wenn man schon als Kind Rugby gespielt hat. Trotzdem haben auch Quereinsteigerinnen Chancen, sagt Peter Schatz, der den Bundesligisten SC Neuenheim trainiert.
"Quereinsteiger kommen ganz klar aus Handball, weil das Ballgefühl da ist und auch die körperliche Konstitution. Ein Handballer hat es sehr sehr leicht. Aber es kommen bei uns in Süddeutschland auch manche vom Ringen, vom Volleyball, auch Leichtathleten. Man muss ein bisschen Ballgefühl haben, da ist es relativ einfach."
So einige Umgewöhnungen verlangt das Spiel doch: Ganz anders als bei Fußball oder Handball funktioniert das Passen: Man läuft zwar auch nach vorne, doch der Ball muss stets nach hinten abgegeben werden. Sehr unterschiedliche Typen sind daran beteiligt.
"Es gibt Große, es gibt Kleine, es gibt Kräftige, Schlankere, Flinkere. Und jeder Typ ist auf seiner Position wichtig. Das gibt Zusammenhalt und ein Vertrauen, was da sein muss, zu seinen Mitspielern."
Wiege des Rugbys ist England
Die bunte Mischung von Spielertypen ist gewollt. Sie entspricht der aus England stammenden Idee. Dort stand um 1870 die Wiege des Rugbys. Sporthistoriker Ansgar Molzberger von der Sporthochschule Köln:
"In der modernen Form, wie man die Regeln geschaffen hat im 19. Jahrhundert, war das ein sehr pädagogisches Spiel, weil man ganz verschiedene vor allem Jungs aus einer Schulklasse in das Spiel integrieren konnte. Man muss nicht der Superathlet sein. Man konnte auch etwas der unsportlichere, der stämmigere sein, dann hatte man die entsprechende Rolle beim Gedränge, dass man den guten Läufer frei hält. Da konnte man sehr pädagogisch die Leute einsetzen – nach ihren Talenten."
Das Ziel des Spiels ist es, mit dem Ball unterm Arm ins gegnerische Feld zu sprinten und dabei möglichst viele Punkte zu machen. Wer am meisten Punkte holt, hat gewonnen. Das wissen bereits zehnjährige Spieler beim ASV Köln:
"Es gibt eine Linie, die Mallinie heißt die, da muss man mit dem Ball hinrennen und den auf den Boden hinlegen."
"Dafür gibt es fünf Punkte. Danach erhält das Team noch die Möglichkeit zur so genannten "Erhöhung". Das heißt: Ein Spieler darf zusätzlich zwischen den so genannten Malstangen hindurch schießen. Die Stangen entsprechen dem Torgehäuse beim Fußball und sehen aus wie ein riesiger Buchstabe "H"."
"Wenn man noch zwei Punkte dazu haben möchte beim „Versuch", muss man durch die Stangen kicken. Dann gibt es noch den Straftritt, da muss man auch durch die Stange schießen. Der gibt drei Punkte. Und dann gibt es noch den Drop-Kick."
Das klingt fürs erste kompliziert. Doch die Zehnjährigen lernen schnell, wann sie sich den Ball zuwerfen dürfen, und wann er getreten wird. Wichtig: Nur derjenige Spieler, der das Rugby-Ei trägt, darf angriffen werden. Zum Beispiel, indem er am Bauch umklammert wird. Das nennt sich "tackeln" und macht auch den beiden Mädchen im U-12-Team Spaß.
"Man steht tief, so in der Hocke, da kommt der Gegner angelaufen, man hält ihn an den Knien oder ein bisschen höher und schmeißt man ihn um."
Das mag sich rabiat anhören und auch aussehen. Den Gegner einfach von den Füßen zu holen, ist jedoch erlaubt. Dabei passiert meist nichts Schlimmeres.
"Das ist zu 85 Prozent, dass man blaue Flecken beim Rugby kriegt. Zu 100 Prozent!"
Iranische Frauen spielen Rugby
Ein weltweites Phänomen: Frauenrugby - sogar im Iran.© picture alliance / dpa / Landov Mohammad Kheirkhah
Auf die Mädchen in den Jugend-Teams müssen die anderen Spieler keine besondere Rücksicht nehmen, sagen die Jungen:
"Dann spielen die irgendwie mehr Technik. Die Jungs rennen einfach rein, die Mädchen können dann eben besser Akrobatik und können besser ausweichen."
Egal, ob es junge oder erfahrene Rugbyspieler sind: Sie legen sich mächtig ins Zeug, um den Ball zu erobern. Eine der wichtigen Standardsituationen nennt sich Gedränge. Dabei müssen sich jeweils drei gegen drei Spieler – bei der 15er-Variante sogar acht gegen acht - gegenseitig wegdrücken, um den Ball zu bekommen, ohne die Hände zu benutzen. Es sieht schon spektakulär aus, wenn so viele Spieler ineinander verhakt sind und mit voller Kraft schieben. Unbedarfte Zuschauer denken unwillkürlich an verrenkte Halswirbel! Nationalspielerin Alysha Stone sieht zwar die Verletzungsgefahr. Allerdings würde man sich auf sie vorbereiten.
"Das sieht erstmal bisschen „wow" aus, aber man trainiert das auch, man macht Stabilisationsübungen, macht Krafttraining auch für den Nacken. Da wird jede Körperpartie, die im Spiel gebraucht wird, auch trainiert. Das Fallen wird auch geübt."
Die typische Balleroberung im Rugby – das "Tackeln" – gibt es bei Anfängern und Topspielern – in jeder Formation. Der Mundschutz ist daher Vorschrift. Kinder- und Jugendteams haben oft elf Spieler. Bei Erwachsenen sind Siebener- oder 15er-Teams obligatorisch. Bei den Olympischen Spielen in Rio geht es ausschließlich um Siebener-Formationen. Das hat vor allem pragmatische Gründe, sagt Peter Schatz, Trainer beim SC Neuenheim:
"Das liegt in der Zeit: Wenn man die 15er-WM anguckt, die dauert fünf Wochen. Ein 15er-Spiel mit zweimal 40 Minuten kann man nicht alle zwei Tage hintereinander machen. Deswegen geht das 7er-Rugby von der Turnierform an einem Tag, maximal zwei Tagen. Deswegen ist es die einzige Möglichkeit, dass vom Zeitplan her im Olympischen Turnier zu integrieren."
Nur zwei Mal sieben Minuten
Für Zuschauer soll das Spiel in Siebener-Teams, das nur zwei Mal sieben Minuten dauert, attraktiver sein, zumal die Angriffe viel schneller hin und her wechseln. Die Spielerinnen haben hingegen recht unterschiedliche Vorlieben, so Elisa Trick und Vivian Bahlmann.
"Obwohl ich das 15er-Spiel für den ASV-Köln gemacht habe, schlägt mein Herz definitiv für den 7er-Rugby. Für meinen eigentlichen Verein in Berlin spiele ich seit Jahren 7er-Rugby. Teilweise sind es mir fast zu viele Menschen auf dem Platz. Ich bin vielleicht nicht die Person, die Kontaktsituationen so sehr dominiert, sondern eher (die) es schafft, die Lücken aufzumachen und dann den Platz zu nutzen und mehr zu laufen und vor allem weite Pässe zu machen und das hat man im 15er-Rugby nicht so sehr - die weiten Pässe, das liegt mir so sehr."
"Ich mag die 15er-Variante lieber, ich spiele im Sturm."
Die Basics sind die gleichen, aber es sind schon andere Herausforderungen, beim 15er gibt es noch viele verschiedenere Spielertypen.
Drehen wir die Zeit gut 90 Jahre zurück. Bei den Olympia-Turnieren zwischen 1900 und 1924 standen ausschließlich Männer auf dem Feld. Warum Rugby damals zum Programm gehörte, erläutert Sporthistoriker Ansgar Molzberger:
"Zum einen hatte das IOC damals nicht den Einfluss wie heute, dass man vorgibt, welche Sportarten olympisch sind. Die jeweilige Ausrichterstadt konnte da viel stärker mitreden und damit die Sportverbände des Landes, in dem die Stadt lag. Wenn man die Sportart Rugby betrachtet, fällt auf, dass gerade die Austragungsorte eher eine englische oder französische Verbindung hatten: Rugbyspiele waren 1900 in Paris, 1908 in London. Dann nach dem ersten Weltkrieg in Antwerpen 1920 und 1924 wieder in Paris."
Nach 1924 nahm das IOC Rugby wieder aus dem Programm. Die Resonanz war weder beim Publikum noch bei Sportlern be-rauschend: Nur drei Länder machten 1924 in Paris mit! 90 Jahre später das Comeback. 2016 werden sogar Frauen um Medaillen kämpfen. Vorbehalte gibt es immer noch, sagen selbst Svetlana Hess und Alysha Stone aus der Rugby-Hochburg Heidelberg.
"Natürlich. Wenn mich jemand fragt, was ich mache, dann sage ich: Rugby. Und die gucken einen schon ein bisschen ungläubig an: Was Rugby? Ich dachte, dass sind nur voll Mannsweiber und alles Lesben, oder Fette! Die Leute, wenn sie denn den Sport überhaupt kennen, haben Vorbehalte. Und dann heißt es immer: Oh krass! Es sind schon wenige Leute, die es kennen und sagen: Das passt ja zu dir."
Svetlana und Alysha sind junge selbstbewusste Frauen, die dem gängigen Rugby-Klischee widersprechen. Sie trainieren jedoch sehr hart - oft sieben- bis neunmal pro Woche, zusammen mit den besten deutschen Spielerinnen in Köln. Das liegt daran, dass der Deutsche Rugby-Verband die Kräfte bündeln will: Allein sieben Nationalspielerinnen arbeiten als Berufssoldatinnen in Köln – ganz nahe am Olympiastützpunkt.
"Da haben wir am OSP Köln nen guten Partner gefunden, wir bekommen so viel Möglichkeiten, die wir vorher nicht hatten, hier der Kraftraum, oder auch Physiotherapie, wir können alle Instanzen nutzen. Hier sind auch viele Mädchen, die aus Berlin, Hamburg, Stuttgart, Heidelberg, aus ganz Deutschland, hergezogen sind."
Die Frauen nehmen einiges auf sich, um im Nationalteam Erfolg zu haben. Die Zentralisierung der Rugby-Elite in Köln hat Vor- und Nachteile, meint Elisa Trick:

"Für die Nationalmannschaft ist das bestimmt gut. Für die Clubs, sage ich mal, ist es anstrengend. Denn unter der Woche trainiert man ohne die, die in Köln sind. Das sind nun mal viele Leistungsträger, klar, weil sonst würden sie ja nicht Nationalteam spielen. Für das Zusammenspiel ist das schwierig. Aber wenn das dann zielführend ist, denke ich, ist es in Ordnung."
Nationalcoach Hooke gibt Kommandos.
Athletinnen beginnen in Deutschland erst mit 17 oder 18
Seit einem halben Jahr trainiert Michael Hooke das deutsche Frauen-Nationalteam. Um es fit für die Olympia-Qualifikation zu machen, veranstaltet der ehemalige Rugby-Profi aus Süd-afrika mehrere Trainingscamps. Im März ging es nach Madrid, um sich mit starken Gegnerinnen zu messen. Nach zwei Testspiel-Niederlagen kam die Wende.
"Der Punkt ist, dass wir Spanien geschlagen haben! Unsere Frauen sind intelligent und nehmen konstruktive Kritik an. Je mehr Rugby gespielt wird, und die Intensität im Training hoch bleibt: Tja, wer weiß, was wir noch schaffen können!"
Michael Hooke und seine Spielerinnen wissen genau, was ihnen noch zur Weltspitze fehlt:

"Für mich ist Punkt eins die Spielpraxis. Alle anderen spielen auf der Weltserie mit hier in Europa. Die, die gut sind. Das ist ein Sechs-Stationen-Turnier mit den Besten aus der ganzen Welt. Daran nehmen wir leider nicht teil. Das ist Spielpraxis, die uns fehlt. Die fehlt es aber auch generell auf hohem Niveau, weil der deutsche Liga-Betrieb mit anderen Nationen wie England und Frankreich nicht vergleichbar ist. Fitnessmäßig, oder kraft- und laufmäßig können wir eigentlich mithalten."
"Auf internationaler Ebene startet man in sehr jungem Alter. Wir haben einige, die früh beginnen. Doch die Mehrzahl unserer Athletinnen fängt mit 17 oder 18 an."
Im Unterschied zu Deutschland starten etablierte Rugby-Nationen – wie Großbritannien, Frankreich, Australien und Neuseeland – mit dem Training durchweg im Kindesalter. Das ist hierzulande eher selten:
"Ich bin Melissa Paul, bin 21 Jahre alt. Zum Rugby bin ich gekommen durch die Grundschule, wir hatten so eine fair-play-AG. Meine Mutter fand den Sport total cool. Da sind wir halt da eingestiegen."
Im internationalen Vergleich gilt Deutschland noch als Rugby-Zwerg: Nur etwa 2000 Mädchen und Frauen und rund 12000 Jungen und Männer sind hier aktiv. In Neuseeland stiftet Rugby quasi nationale Identität. Sein Frauenteam ist weltweit das Maß aller Dinge und hat vier von bisher sieben Weltmeisterschaften gewonnen. In Frankreich steht Rugby auf Position Zwei bei den beliebtesten Mannschaftssportarten. Mit über 200.000 Aktiven und rund 1600 Vereinen! In Deutschland beschränkt sich Rugby auf gerade einmal 110 Vereine. Während Frankreichs Rugby-Ligaspiele regelmäßig im Fernsehen übertragen werden und in England meist über 10.000 Fans in die Stadien pilgern, sind es hierzulande maximal einige 100. Immerhin wächst das Medieninteresse langsam. Es wird auch weitaus intensiver als in den Vorjahren trainiert. Der Traum von Olympia hat allerdings durchaus auch Schattenseiten. Das merkt Nationalspielerin Dana Kleine-Grefe im Alltag ganz gehörig.
"Es ist durchaus nicht einfach, es mit Job und allem anderen unter einen Hut zu bringen. Das Training nimmt den größten Teil des Lebens ein, das ist so. Das wollen wir alle, wir haben diesen Traum und wir wollen dahin. Dafür verzichtet man auf gewisse Sachen. Ich habe einen Halbtagsjob in einem Unternehmen für Groß- und Außenhandel. Da arbeite ich bis halb zwölf, hetze nach hause, esse schnell was, fahre dann zum Stützpunkt hier, mache mein Kraft- oder Lauftraining, dann eventuell danach noch Physiotherapie. Dann schnell wieder nach Hause, ruhe mich aus, und abends schnell wieder zum Rugbytraining."
Gleiche Voraussetzungen wie die weltbesten Teams
Da haben es die sieben Sportsoldatinnen im Nationalteam leichter. Während der heißen Phase der Olympia-Qualifikation sind ihre Dienstverpflichtungen recht überschaubar. Man darf gespannt sein, wie sehr sie ihre Fitness bis zu den entschei-denden Spielen im Juni noch steigern können. Für den Ver-letzungsfall stehen potentielle Nachrücker in den Start-löchern. Auch Melissa Paul macht sich Hoffnungen:
"Ich war 2013 bei der EM, wir sind Achter geworden. Ist schon lange her, ich habe mich letztes Jahr am Fuß verletzt, musste operiert werden. Und nehme das jetzt in Angriff, und wenn ich nur unter die Top 15 komme. Die Top 12, die fliegen! Wenn ich dahin komme, habe ich alles richtig gemacht."
Um den Sprung nach Rio zu schaffen, ist sicher auch ein Quäntchen Glück nötig, sagt Vivian Bahlmann:
"Aber es wird unglaublich schwer. Man müsste bei der Europameisterschaft im Juni auf jeden Fall unter die Top Drei kommen, das wäre nicht schlecht. Das hängt aber alles von der World-Series ab. Das sind die besten Zwölf der Welt, die einmal ein Turnier austragen. Die Top 4 aus diesem Turnier fahren zu Olympia, und wenn aus den Top vier schon Mannschaften aus Europa sind, dann rückt die Wahrscheinlichkeit näher in Europa, dass wir dann sozusagen nachrücken."
"Es ist möglich! Wenn wir fit und physisch stark sind, haben wir die gleichen Voraussetzungen wie die weltbesten, wie Russland, Franreich, England, Niederlande und Spanien. In der Olympia-Qualifikation gibt es keinen Grund, weshalb wir die nicht schlagen können!"
Wenn es mit Olympia klappen würde, gäbe es wohl einen Schub für das deutsche Rugby, hoffen Trainer und Funktionäre. Sporthistoriker Ansgar Molzberger bleibt dagegen skeptisch.
"Wenn man sich in der Analogie die große Schwester Frauen-fußball anschaut, die viel größer ist in Deutschland und dennoch immer noch darbt, was die Aufmerksamkeit über das Jahr angeht. Deswegen wird man jetzt erst recht beim Rugby nicht davon ausgehen können, dass, wenn die deutschen Frauen bei den Olympischen Spielen auftreten, man ihnen beim Training die Bude oder im Verein einrennt."
Für die Top-Spielerinnen wäre das Quali-Aus ein herber Schlag. Zum Glück sind sie mental so gefestigt, um dies wohl weg-zustecken. Derzeit herrscht noch Optimismus auf der ganzen Linie.
"Niemand rechnet damit, alle denken: „Deutschland haben wir letztes Jahr auch geschlagen." Aber es ist Olympia-Quali-Jahr. Da packt jeder aus, was er kann. Ich glaube, da trainieren alle, so hart es geht. Alles ist möglich dieses Jahr. (Svetlana) Falls es nicht klappt, geht die Welt nicht unter, dann gibt's in vier Jahren noch mal ne Chance. So weit denken wir noch gar nicht. 2016 und dieses Jahr sind besonders wichtig! Und danach wird weitergeguckt, was dann passiert."
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