Frauen in der Coronakrise

Welche Arbeit wirklich wertvoll ist

06:29 Minuten
Joy Glandt, Altenpflegerin bei einem ambulanten Pflegedienst, schaut vor dem Besuch bei einer pflegebedürftigen Seniorin auf ihr Diensthandy. Glandt ist eine von denen, die trotz Corona-Krise jeden Tag draußen unterwegs sind.
Auch im ambulanten Pflegedienst läuft in der Coronakrise vieles anders. © picture-alliance/dpa/Christian Charisius
Gesine Schwan im Gespräch mit Gesa Ufer  · 09.04.2020
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Bei Wertschätzung und Bezahlung systemrelevanter Berufe umdenken: Das fordert die SPD-Politikerin Gesine Schwan. Eine Wirtschaftsstudie zeigt, dass Frauen die Hauptlast der Coronakrise tragen, weil vor allem sie in Pflege und Verkauf tätig sind.
Frauen sind Experten zufolge besonders schwer von den Folgen der Coronakrise betroffen. "Frauen machen fast 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen aus und setzen sich damit einem höheren Infektionsrisiko aus", heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Sitz in Paris. Sie tragen derzeit auch die Hauptlast der Kinderbetreuung, weil Kitas und Schule geschlossen sind.
Die SPD-Politikerin Gesine Schwan 
Die SPD-Politikerin Gesine Schwan mahnt ein Umdenken an. © picture-alliance / dpa / Sven Simon
Sie habe derzeit auch ganz persönlich Sorge um ihre eigene Tochter, die in der Altenpflege tätig sei, sagt unser Studiogast, die SPD-Politikerin Gesine Schwan. Sie berichte ihr von vielen Problemen aus erster Hand. "Die Zustände sind im Grunde unmöglich", sagt Schwan.
Es gebe keine Schutzkleidung und Mundschutz nur in schlechter Qualität sowie unsinnige Vorschriften. "Es ist sowieso immer eine Überforderung, weil dieser Pflegeberuf zu gering bezahlt und zu wenig geschätzt wird", kritisiert sie.

Mehr Anerkennung für Pflegekräfte

Man sei es gewohnt gewesen, von Leistungsträgern immer dann zu sprechen, wenn Beschäftigte besonders gut bezahlt worden seien. "Wir sehen jetzt, welche Berufe systemnotwendig sind – das sind die, die besonders schlecht bezahlt werden", sagt die SPD-Politikerin.
Das liege daran, dass es überwiegend "Frauenberufe", wie Verkäuferin oder Pflegekräfte seien, außer vielleicht die Lastwagenfahrer. "Die sind eben immer schlechter bezahlt gewesen." Dabei gehe es auch um die Ausbildung, die Anerkennung und das Prestige dieser Berufe.
Zur OECD-Studie, die gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin vorgestellt wurde, ergänzt unsere Korrespondentin Katharina Hamberger, dass im Vergleich von 104 Staaten rund 85 Prozent der Hebammen und Krankenpflegekräfte Frauen sind.
Bei der Langzeitpflege seien in den 30 OECD-Staaten zu rund 91 Prozent Frauen tätig, in Deutschland sogar 97 Prozent. Auch im Einzelhandel seien über 60 Prozent Frauen im Verkauf tätig. Die Studie bestätige auch die Unterschiede bei den Gehältern von Männern und Frauen.

Breite Debatte in der Gesellschaft nötig

Gesine Schwan hofft, dass durch die Coronakrise ein "Umdenken und vor allem auch Umfühlen" einsetzt. Die Gesellschaft müsse jetzt eine breite Debatte darüber führen, was wirklich wertvoll sei: "Sind es denn wirklich die Banker, die Millionen einstreichen oder sind es die Menschen, die sich um andere kümmern?"
Es müsse zu einer Umwertung kommen, was uns in der Gesellschaft wichtig sei, fordert sie. Das gelte aber nicht nur in Deutschland, sondern auch global. Aus der Entwicklungszusammenarbeit wisse man, dass Frauen oft viel besser Verantwortung übernähmen.
"Ich finde, dass man das sehr gemeinwohlorientiert diskutieren muss", so Gesine Schwan. Es zeige sich, dass falsche Prioritäten gesetzt würden, die auf Macht und Kontrolle aufbauten, nicht aber auf gemeinsames Tun und Helfen.
(gem)

Gesine Schwan, 1943 in Berlin geboren, ist Präsidentin und Mitgründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform. Die SPD-Politikerin und Politikwissenschaftlerin ist zudem Vorsitzende der Grundwertekommission ihrer Partei. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin. Von Oktober 1999 bis September 2008 war sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Zuletzt hatte sich Schwan zusammen mit Ralf Stegner erfolglos für den SPD-Parteivorsitz beworben.