Franz Dobler: "Ein Schuss ins Blaue"

Der Geist ist aus der Flasche

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Buchcover zu "Ein Schuss ins Blaue" von Franz Dobler.
Wer sich bei Krimis langweilt, sollte Franz Dobler eine Chance geben: Für ihn ist das Genre ein flexibles literarisches Konzept, das sogar offen für Lyrik ist. © Tropen Verlag
Von Thomas Wörtche · 01.11.2019
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Nichts für Literaturpolizisten: Franz Dobler überschreitet in "Ein Schuss ins Blaue" vergnügt die Grenzen des Kriminalromans und beweist, dass sich das Genre noch weiterentwickeln kann. Ansonsten geht es noch um Islamismus und Neonazis.
Ein bisschen Kafkas "Prozess" weht einen schon an bei Franz Doblers "Ein Schuss ins Blaue", dem dritten Roman um den zum Privatdetektiv gewordenen Ex-Polizisten Fallner. Kafkas Josef K. wird ohne ersichtlichen Grund verhaftet, und die Agentur von Fallners Bruder, für die der Ex-Cop arbeitet, bekommt einen Auftrag ohne sichtbaren Auftraggeber und ohne genaueres Operationsziel - bis auf den vagen Hinweis auf einen islamistischen Terroristen, der sich in München etabliert haben soll und aus dem Verkehr gezogen werden muss. Dafür allerdings sind zwei Millionen Euro ausgelobt. Und Fallner selbst wird von einem undurchsichtigen und anonymen Angebot überrascht, sich als Hitman ein Zubrot zu verdienen.
Bietet Kafkas "Prozess" schon die negative Blaupause für Kriminalromane (solche mit Ermittlungsthemen), dann ist "Der Schuss ins Blaue" eine nochmals verdrehte Variante davon. Für literaturpolizeiliche Buchhalter, die einen "sauberen Plot" (was immer das sein mag) verlangen, der pure Alptraum – und deswegen extrem erfreulich. Aber natürlich gibt es einen sehr robusten und aktuellen Plot – der hat etwas mit der Polizei, dem Ku-Klux-Klan und somit mit dem NSU zu tun, mehr spoilern geht nicht -, aber den baut Dobler elegant in seine und Fallners vielfältigen Reflexionen über das Dasein ein. Frei nach dem Motto des Romans von Danny Dziuk: "Der Geist ist aus der Flasche und der macht, was er will."

Prinzip Dobler ist ein Heidenspaß

Das Dasein aber ist popkulturell strukturiert – das geht geschmackssicher und kompetent von Albert Ayler und Miles Davis bis zu Dirty Harry und den Sopranos. Denn die Welt ist bei Dobler nicht einfach abbildbar, was wir sehen und bemerken, ist schon immer kulturell vermittelt. Es macht einen Heidenspaß, dieses Prinzip von Franz Dobler vorgeführt zu bekommen.
Und dann ist da auch noch München. Das München, das ehemals leuchtete und jetzt in den Mühlen des Neoliberalismus zu verschwinden droht, wenn da nicht ein paar hartnäckige, manchmal charmant-obskure und kratzbürstige Widerstandsnester blieben. Das München, dessen Chronist neben Friedrich Ani eben Franz Dobler ist. München Blues. An diesen Stellen ist "Der Schuss ins Blaue" aber auch samtpfötig knallhart: Gentrifizierung, Exklusion des und der "Anderen", Verschiebung des politischen Klimas nach rechts, das sind Subtexte, die ganz selbstverständlich mitlaufen.

Alphabet der Ängste

"Der Kriminalroman" ist für Dobler ein sehr flexibles literarisches Konzept, das keine Probleme mit lyrikartigen Einschüben oder nicht-narrativen Passagen hat, so etwa einem genialen, wenn auch jederzeit zu ergänzenden und unbedingt zu unterschreibenden Alphabet der Ängste (und Neurosen) von ABC-Schütze bis Ziegenpeter.
Geht nicht im "Krimi"? Geht natürlich, wenn nicht auch nicht im Standard-Krimi, aber in den Kriminalromanen von Franz Dobler. Und das Genre bewegt sich doch.

Franz Dobler: "Ein Schuss ins Blaue"
Tropen, Stuttgart 2019
283 Seiten, 20 Euro

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