Frans de Waal: "Mamas letzte Umarmung"

Wenn Schimpansen trauern

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Buchcover "Mamas letzte Umarmung" von Frans de Waal vor einem grafischen Hintergrund
Viele Tiere können emotionale Signale besser erkennen als Menschen: Das unter anderem erklärt Frans de Waal in "Mamas letzte Umarmung". © Verlag Klett-Cotta / Deutschlandradio
Von Michael Lange · 26.08.2020
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Tiere trauern, lieben oder hassen: Das ist das Lebensthema von Frans de Waal. Der Verhaltensforscher bringt in seinem neuen Buch „Mamas letzte Umarmung“ neueste Forschungsergebnisse und blickt tief in das emotionale Innenleben der Tiere.
Tiere erkennen die Gefühle der anderen an deren Gesichtern, und manche helfen einander, ohne Nutzen für sich selbst. Sehr eindrücklich und mit einfachen Worten beschreibt der Verhaltensforscher Frans de Waal das vielschichtige Gefühlsleben von Schimpansen, Elefanten, Ratten und anderen sozial lebenden Tieren.
Immer wieder gerät Frans de Waal ins Staunen. Bei seinen Beobachtungen und Verhaltensexperimenten stellt er fest, wie Menschenaffen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einander emotional beeinflussen. In Jahren der Zusammenarbeit entsteht ein emotionales Band zwischen ihnen.

Ein Abschied zwischen Freunden

Besonders bewegend ist eine Szene, die der Autor gleich zu Beginn seines Buches beschreibt: Nach mehrjähriger Abwesenheit kehrt der 80-jährige Wissenschaftler Jan van Hooff zurück zu "Mama". Mama ist eine mittlerweile 59 Jahre alte Schimpansin im Zoo von Arnheim, wo van Hooff viele Jahre ihr Verhalten beobachtet hat.
Mama ist alt und krank. Sie liegt im Sterben, hat sich in einen Schlafkäfig zurückgezogen und will niemanden sehen. Aber als sie den Wissenschaftler erkennt, bittet sie ihn mit einfachen Gesten zu sich in Schlafkäfig.
Van Hooff tritt hinein und setzt sich neben die Schimpansin, was er sonst nie tun würde. Mama richtet sich ein wenig auf, und mit letzter Kraft schlingt sie die Arme um ihren Gast. Umschlungen verharren die beiden eine ganze Weile. Für den Beobachter Frans de Waal gibt es keinen Zweifel: Hier haben zwei Freunde tief bewegt voneinander Abschied genommen.

Viele Tiere sind Menschen überlegen

Die Vermenschlichung von Tieren hat in der Wissenschaft bis heute einen schlechten Ruf. Jahrtausendelang hatten Philosophen Körper und Geist streng voneinander getrennt und Tieren den Zutritt zur Welt des Geistes verwehrt. Aber nach fast 50 Jahren Verhaltensforschung hat Frans de Waal keinen Zweifel mehr: Emotionen beeinflussen das Verhalten von Menschenaffen, Elefanten oder Ratten ebenso wie das der Menschen.
Beim Erkennen emotionaler Signale sind viele Tiere den Menschen sogar überlegen. Dafür gibt es einfache Erklärungen, so de Waal: Für einen Schimpansen ist es überlebenswichtig, den Gemütszustand aller Gruppenmitglieder genau zu kennen.
Wem kann ich vertrauen? Mit wem sollte ich mich versöhnen? Von wem sollte ich mich lieber fernhalten? Kleine Veränderungen der Körperhaltung oder der Mimik entscheiden, welches Verhalten angebracht ist.
All das dient dem emotionalen Gleichgewicht in der Gruppe. Das Mitgefühl für andere ist langfristig nützlicher als das Streben nach dem eigenen Vorteil. In der Wildnis ist dieser soziale Kitt oft überlebenswichtig. Jede Gruppe kann nur wenige Egoisten vertragen.

Forschungsergebnisse im Plauderton

Frans de Waal blickt tief in das emotionale Innenleben der Tiere. Im Plauderton reiht er viele selbst erlebte Geschichten hintereinander, garniert mit neuesten Forschungsergebnissen. Mehr noch als frühere Bücher des Autors überzeugt "Mamas letzte Umarmung" durch seine Empathie.
Frans de Waal kann sich wie kaum ein anderer nicht nur in die Tiere, sondern auch in seine Leserinnen und Leser hineinversetzen.

Frans de Waal: "Mamas letzte Umarmung. Die Emotionen der Tiere und was sie über uns Menschen verraten"
Aus dem Englischen übersetzt von Cathrine Hornung
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2020
430 Seiten, 26 Euro

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