Frankfurter Rundschau insolvent: "Ein Ersatz ist überhaupt nicht zu sehen"

Horst Röper im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.11.2012
Die Frankfurter Rundschau sei einst DIE linksliberale Zeitung in Deutschland gewesen, sagt der Medienforscher Horst Röper. Was das politische Spektrum der Medien angehe, hinterlasse ihr Wegfall eine Lücke. Mit der Insolvenz der überregionalen Tageszeitung setze sich das Zeitungssterben in Deutschland fort.
Dieter Kassel: Derzeit warten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der "Frankfurter Rundschau" auf den Beginn einer außerordentlichen Betriebsversammlung. In sechs Minuten, um drei soll es losgehen. Was da grundsätzlich verkündet wird, ist allerdings keine Überraschung mehr: Seit einer guten Stunde wissen wir, dass das Frankfurter Druck- und Verlagshaus, das Haus, in die "Rundschau" erscheint, heute Morgen Insolvenz angemeldet hat. Eine traurige Nachricht, aber wohl keine ganz überraschende. Ist das jetzt nur eine Causa "Frankfurter Rundschau" oder wirklich der Beginn des vielbeschworenen Zeitungssterbens. Das und mehr wollen wir jetzt vom Medienwissenschaftler Horst Röper wissen, dem Geschäftsführer des Formatt-Instituts in Dortmund. Schönen guten Tag, Herr Röper!

Horst Röper: Ich grüße Sie!

Kassel: Also mir ging es zumindest so: Ich fand es zwar traurig, aber überrascht war ich nicht, als ich das vor einer Stunde erfahren habe – ging es Ihnen ähnlich?

Röper: Also noch vor wenigen Wochen wäre es mir ähnlich gegangen wie Ihnen, jetzt war ich doch überrascht, denn der Verlag der "Frankfurter Rundschau" hat gerade, eben vor wenigen Wochen, ein neues Anzeigenblatt gegründet. Auch eine solche Gründung kostet ja Geld, und das war für mich eigentlich das Zeichen, aha, nun geht es doch weiter. Aber Sie sehen, man kann eben überrascht werden. Dass das Haus schon lange bestandsgefährdet ist, ist keine Neuigkeit, aber ich hatte geglaubt, die akute Gefährdung sei eben mit diesem Zeichen überwunden. Und das ist sie nun offensichtlich nicht.

Kassel: Die Frankfurter Druck- und Verlagsgesellschaft gehört ja zum einen zu 50 Prozent DuMont Schauberg und zu 40 Prozent der Medienholding der SPD – das sind ja nun zwei Häuser, die seit Jahren daran gewöhnt sind, da Geld reinzustecken. Defizitär ist die "Rundschau" schon so lange. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die offenbar jetzt die Geduld verloren haben?

Röper: Nun, weil man quasi auch alle Jahre wieder doch die Hoffnung hatte, mit immer wieder härteren Maßnahmen in Bezug auf die Kostenstruktur - das umfasste auch Freistellungen, Kündigungen von Mitarbeitern - eben doch die schwarze Null zu erreichen. Und in jedem folgenden Kalenderjahr war es wieder das gleiche Bild. Die Verluste häuften sich erneut zu satten Millionenbeträgen. Beide Eigner haben diese Millionenbeträge nun seit Jahren getragen, aber sehen wohl jetzt kein Ende mehr für diese Entwicklung - also keine Chance, die Zeitung, den Verlag, dauerhaft zu sanieren.

Kassel: Nun hat man ja nicht nur Mitarbeiter vor die Tür gesetzt und auf anderem Wege Kosten gespart. Man hat unter anderem ja auch dieses Redaktionsbüromodell entworfen, was ein kompliziertes Unterfangen war, am Ende aber nur bedeutet, der überregionale Mantelteil wird in Berlin gemacht. Man arbeitet mit der "Berliner Zeitung" zusammen. Damit wollte man Geld sparen, aber war das möglicherweise auch ein weiterer Schritt Richtung Ende?

Röper: Na ja, man hat damit sicherlich auch viel Geld gespart, denn die Redaktion in Frankfurt ist ja damit wiederum verjüngt worden, will heißen, immer weniger Redakteure haben in Frankfurt für die "Frankfurter Rundschau" gearbeitet. Aber natürlich stößt das in Frankfurt dann auch nicht nur auf Begeisterung.

Die Auflage der "Frankfurter Rundschau" ist in den letzten Jahren heftig zurückgegangen. Sie liegt aktuell noch bei knapp 120.000 Exemplaren. Das ist ja auch nicht wenig, sondern es ist eben noch eine große Zeitung, eine überregionale Zeitung. Aber gerade dieser überregionale Charakter mit dem teuren Vertrieb, flächendeckend in Deutschland, der hat natürlich auch viel Geld gekostet.

Kassel: Aber sie ist nicht nur von der Auflage her nicht mehr die große, die sie in den 70er- und 80er-Jahren noch war. Auch dieses sozialliberale Profil, das sie ausgezeichnet hatte, das ist ja alles so ein bisschen verloren gegangen. Hat die "Frankfurter Rundschau" ihre Identität verloren?

Röper: Ja. Einen Teil dieser Identität hat sie sicherlich mit den neuen Eignern verloren. Sie war einst DIE linksliberale Zeitung, sie war in diesem Bezug auch das Einzige, was wir in Deutschland hatten über Jahrzehnte. Ein bisschen ist dann die "TAZ" in späteren Jahren dazugekommen, aber die "Rundschau" hinterlässt in dieser Richtung, also auch, was das politische Feld anbelangt, das politische Spektrum anbelangt, wenn sie denn wirklich eingestellt wird, eine Lücke – ein Ersatz ist überhaupt nicht zu sehen.

Kassel: Wenn sie wirklich eingestellt wird, ist das - Stichwort 'Beginn des Insolvenzverfahrens' heißt ja nicht, morgen gibt es die nicht mehr am Kiosk, so wird das nicht sein - … Aber im Ausland gab es ja viele Fälle, gerade in Frankreich und in den USA, wo Zeitungen ihre Printausgabe eingestellt haben zugunsten der Onlineausgabe. Die "Rundschau" ist zum Beispiel relativ stolz auf ihren "iPad"-Auftritt – könnte das die Zukunft sein, die "Frankfurter Rundschau" nur noch digital?

Röper: Nein, ich glaube, auch das wird langfristig nicht funktionieren, denn dazu brauchen Sie dann ja eben eine eigenständige Redaktion. Also der überregionale Teil wird ohnehin schon in Berlin produziert, wie Sie ja gesagt haben. Nun müsste man dann in Frankfurt eigenständig eine Lokalredaktion unterhalten nur für die digitalen Auftritte. Das ist im Internet und auch mit mobilen Nutzungen, also Apps und Ähnlichem, derzeit wohl nicht zu finanzieren. Nein, ich vermute, das ist keine Zukunft.

Kassel: Kurz zum Schluss: Reden wir hier eigentlich nur über die Causa "Frankfurter Rundschau" oder reden wir, wie manche sagen, vom Anfang eines Zeitungssterbens?

Röper: Nein, leider nicht, es ist auch nicht der Anfang, sondern wir haben ja schon seit Jahren mit diesem Zeitungssterben in Deutschland zu tun. Es ist nicht so, dass immer ganze Zeitungen sterben, aber doch viele Zeitungen, gerade die Regionalzeitungen einzelne ihrer Lokalausgaben aufgeben. Und das in zunehmender Zahl. Also das alte Finanzierungsmodell für Zeitungen, nämlich Anzeigen und Verkaufserlöse allein reicht nicht mehr.

Die Gesellschaft wird sich schon die Frage stellen müssen, was ist uns der Journalismus wert? Und wollen wir nicht eben neben diese beiden Einnahmequellen eine dritte stellen, eine, die öffentlich oder privat finanziert ist.

Kassel: Vielen Dank. Horst Röper war das, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer des Formatt-Instituts in Dortmund zur vor gut einer Stunde bekanntgegebenen Insolvenz des Mutterhauses der "Frankfurter Rundschau".

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr auf dradio.de:

Frankfurter Rundschau meldet Insolvenz an - Amtsgerichtsprecher bestätigt Antragseingang
"POLITICO" etabliert sich am US-Medienmarkt - Ein Zukunftsmodell im Land des Zeitungssterben
Medienschelten oder: Der Kampf um die Deutungshoheit - Journalismus in der Krise
Suche nach einem neuen Geschäftsmodell - Deutschlands Tageszeitungen in der Krise
Röper befürchtet "journalistischen Einheitsbrei" - Zeitungsforscher kritisiert Stellenabbau