"Frankenstein-Monster der Finanzmärkte"

Robert Harris im Gespräch mit Joachim Scholl · 23.11.2011
Der britische Thriller-Autor Robert Harris sieht heute die größte Gefährdung der Freiheit in der Verbindung von Unternehmen mit der Macht der Computer. Deshalb habe er seinen neuen Roman "Angst" in der modernen Finanzwelt angesiedelt.
Joachim Scholl: Ein Hedgefonds im feinen Genf, mit einem Physiker und Computergenie als Chef: Er hat einen Algorithmus entwickelt, der die Finanzmärkte nach Emotionen abtastet, vor allem nach Angstreaktionen, und deshalb macht der Fonds Milliarden, gerade in Krisenzeiten. Doch plötzlich passieren merkwürdige Dingen im Privatleben des Chefs, und sein tolles Computerprogramm hat großen Anteil daran. Das ist im Groben die Handlung von "Angst", dem neuen Roman von Robert Harris. Er ist einer der prominentesten Thriller-Autoren weltweit, jetzt bei uns zu Gast, willkommen im Studio von Deutschlandradio Kultur, welcome, Robert Harris!

Robert Harris: Thank you for having me!

Scholl: Ihr Buch heißt im Original "The Fear Index". Wie hoch, Mr. Harris, war eigentlich Ihr eigener Angstindex bei diesem Buch, von der Realität ein- oder gar überholt zu werden? Denn nie waren Sie näher dran an der Aktualität.

Harris: Nun, mir ging es beim Schreiben des Buches eher wie einem Schriftsteller, einer Gestalt in einem Roman von Steven King, der im Schreiben bemerkt, dass seine Phantasie plötzlich in Wirklichkeit übersetzt wird. Für mich war das Verfassen des Buches wie eine einzige Entdeckungsreise. Wie die meisten anderen hatte ich recht wenig Ahnung davon, wie der Finanzmarkt funktioniert oder was ein Hedgefonds sein könnte, vor allem war mir nicht klar, wie riesig die Mengen an Geld sind, die hier bewegt werden, und dass das Ganze außerhalb unserer Verfügung steht, außer Kontrolle geraten ist. Seit damals ist es wohl den meisten Menschen klar geworden, dass hier etwas schrecklich falsch läuft, und dass wir seit den letzten 10 oder 15 Jahren dafür den Preis zahlen.

Scholl: In Ihren Büchern haben Sie bisher vielfältige historische Themen und Figuren behandelt, sie spielen im Zweiten Weltkrieg, es ging um Pompeji, um Cicero. Was hat Sie dazu gebracht, sich jetzt mit der komplexen Materie der Finanzmärkte zu beschäftigen? Sie haben hoffentlich kein Geld verloren?

Harris: Nun, so war das nicht. Was mich als Schriftsteller immer bewegt hat, war doch das Interesse für Macht, und vor einigen Jahren kam mir der Gedanke: Ich möchte eigentlich eine Art Neufassung des Romans "1984" von George Orwell schreiben, eines Romans, der großen Einfluss in meinem Leben ausgeübt hat. Und auf der Suche nach dem richtigen Ort ist mir klar geworden, dass die Drohung heute nicht vom Staat ausgeht, sondern vom Unternehmen, insbesondere vom Unternehmen in Verbindung mit der Macht des Computers. Diese beiden Einflussfaktoren bedrohen heute die Freiheit, und um dieses Geschehen auszudrücken, war der richtige Ort eben der Finanzmarkt.

Scholl: Dieser Fear Index, den gibt es tatsächlich, den Vix-Index, wie er im Jargon heißt, ein Index, der bei einem hohen Wert auf einen extrem unruhigen, ängstlichen Markt hindeutet. Insider nennen sie eben auch das Angstbarometer. Die Angst, die ist in Ihrem Roman die zentrale Metapher, Mr. Harris: Märkte, Börse, Welt – ist alles von Angst getrieben, Ihrer Meinung nach?

Harris: Nicht vollständig wird das durch Angst allein gesteuert, aber Angst ist doch eine der stärksten Triebkräfte in den Finanzmärkten, und Angst ist auch einer der stärksten Antriebe für uns Menschen. Ich habe in diesem Buch mich ganz auf dieses Grundgefühl Angst draufgesattelt und darauf eben dann das Vorgehen dieses Unternehmens beruhen lassen.

Scholl: Auf dem Höhepunkt Ihres Romans ereignet sich ein Flash Crash, wie er am 6. Mai 2010 in den USA tatsächlich passierte, als plötzlich massenhaft Aktien verkauft wurden und eine Lawine nach unten zogen. Eine Ursache waren die computergesteuerten Handelssysteme, und genau solch ein Computer ist der eigentliche Held in Ihrem Roman. Jetzt haben die Maschinen inzwischen die Macht übernommen, ist das Ihr Eindruck?

Harris: Das ist in der Tat die Problemstellung, die mich so umgetrieben hat: An dem von Ihnen genannten Tag, dem 6. Mai 2010, wurden in New York Titel für 19,4 Milliarden Dollar gehandelt, also an einem einzigen Tag mehr als während der gesamten 60er-Jahre. Und das wurde möglich durch den Computerhandel mit Aktien. Hier werden wirklich zweierlei Mechanismen eingesetzt: Es gibt bestimmte Computerhandelssysteme, die die Aktien nur für Millisekunden besitzen und sie dann sofort wieder abstoßen, und das andere sind diese algorithmisch gestützten Handelsströme, die in meinem Buch ganz maßgeblich eingebaut sind. Und das ist in der Tat jetzt die vorherrschende Art des Handels. 75 Prozent aller börsennotierten Werte werden in New York bereits über Computer abgewickelt. Ich habe in der Tat das Gefühl, dass wir Menschen zunehmend zu den Geschöpfen und Sklaven der Maschinen werden, und genau dieses Gefühl habe ich in dem Roman ausgedrückt.

Scholl: "Angst", so heißt der neue Roman von Robert Harris, er ist bei uns zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Normalerweise sind Hedgefonds völlig geschlossene Gesellschaften, Geheimlogen, die niemand zu Gesicht bekommt, der nicht hunderte von Millionen schwer ist. Sie haben Einblick bekommen, Mr. Harris. Was für Menschen haben Sie dort getroffen?

Harris: Ich habe zwei Arten von Menschen getroffen, einerseits den herkömmlichen Börsenmakler: Ich habe ja am Ort meines Romans, in Genf, mich zusammengesetzt mit diesen Menschen, und ich habe einen Makler getroffen, der auf meine Frage "Na, wie läuft es denn so?" sagte: "Gut, wir haben am Donnerstag 700 Millionen Dollar verdient." Das war die eine Gruppe, und die schließt sich nun zusammen mit der zweiten Gruppe, nämlich mit den Physikern und den Wissenschaftlern: Zunehmend spannen sie für ihre Zwecke brillante Naturwissenschaftler, Physiker ein, und die sind daran interessiert, nicht so sehr, wie die Wirtschaft funktioniert, sondern ob sie ihre naturwissenschaftlichen Erkenntnisse umsetzen können. Keiner von diesen Wissenschaftlern wird angestellt, der nicht mindestens einen Doktor in einer Naturwissenschaft mitbringt. Das Zusammenprallen dieser traditionellen Gier des Finanzmaklers und der überragenden Intelligenz der Wissenschaftler führt dann dazu, dass dieses Frankenstein-Monster geboren wird, das jetzt Besitz von den Finanzmärkten ergriffen hat.

Scholl: In Ihrer Heimat England, Mr. Harris, bildet die Finanzindustrie einen erheblichen Anteil am Bruttosozialprodukt, und bisher war vor allem Großbritannien der große Bremser, wenn es um Regulierung ging. Warum will man in Großbritannien anscheinend nicht begreifen, dass es nicht ohne Regulierung, nicht ohne Reform geht, dass man solche Krisen in Zukunft verhindert?

Harris: Sie haben schon recht: Großbritannien hat in der Vergangenheit Maschinenbau betrieben, Ingenieure haben Maschinen gebaut, und jetzt betätigt es sich eben mit der Finanztechnik. Das ist in der Tat ein Problem. Ich glaube, ein Viertel oder bis zu einem Drittel der britischen Wirtschaftsleistungen wird heute auf dem Finanzmarkt erbracht. In der Tat ein Problem, denn es handelt sich um einen finanziell sehr gut ausgestatteten, ausgesprochen effizient organisierten Markt, eine Lobby, die Zugang zu den Medien hat, zu den Politikern hat, und die da mit allerlei Argumenten die Geschehnisse beeinflusst. Sobald man jetzt zum Beispiel den Vorschlag der Finanztransaktionssteuer hört, kommen sie und sagen: Dadurch werden 50.000 Arbeitsplätze in der City von London aufs Spiel gesetzt. Sehen Sie – das ist ein anderer Aspekt dieses Monsters, weshalb es für uns so schwer zu beherrschen ist. Man muss sich das mal anschauen: Die Bankiers, die Banker haben uns zuerst in dieses furchtbare Schlamassel hineingefahren, dann haben sie vom Steuerzahler Subventionen und Rettungsgelder bekommen und verwenden genau diese Rettungsgelder jetzt, um die Reformen, die nötig sind, zu verhindern. Es ist fast ein vollkommener Circulus vitiosus.

Scholl: Man könnte Ihr Buch literarisch als eine Dystopie bezeichnen, als negative Utopie, eben wie George Orwells "1984", und die treibende Kraft ist neben der Angst die Gier nach Geld. Wir haben jetzt gesehen, wohin sie führt, und Sie, Robert Harris, haben genau solche Menschen kennengelernt. Glauben Sie denn, dass die sich jemals ändern?

Harris: Nein. Was mich wirklich beunruhigt, ist, dass wir jetzt in einer Situation sind, wo die Hebel der Finanzmacht in die Hände einer winzigen Minderheit geraten sind. Die residieren zum Beispiel in Genf, wo sie keinerlei Steuern zu zahlen haben, sie bilden eine abgehobene Super-Elite, die tun und lassen kann, was sie will. Es ist nach dem Fall des Kommunismus eine gewaltige Hybris, ein Überschwang auf den Finanzmärkten eingetreten, und es wurde ein neuer Gott ausgerufen: der Markt. Das Problem ist nur, dass dieser neue Gott, der Markt, ebenso unzuverlässig ist wie Karl Marx. Und jetzt geht es eben darum, die entfesselte Gier, die wir da beobachten, zu bändigen, und wir müssen jetzt einmal warten und sehen, ob das möglich ist. Notwendig ist es unbedingt, denn wenn dem nicht Einhalt geboten wird, dann breitet sich in unseren Gesellschaften ein derartiger Unmut, eine derartige soziale Unruhe aus, dass die Regierungen größte Mühe haben werden, ihre Länder noch zu regieren.

Scholl: Robert Harris, herzlichen Dank für Ihren Besuch, thank you for coming!

Harris: Thank you, it’s been a pleasure!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.