Frank Westerman: "Reden. Reden? Reden!"

Worte allein helfen nicht gegen Gewalt

Eine Frau zeigt die erste Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen von Paris.
Wenn der Journalist Frank Westerman über das Attentat auf "Charlie Hebdo" nachdenkt, fällt es ihm schwer, an die Kraft des Dialogs zu glauben. © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Frederik Rother · 20.08.2016
Die Niederländer erfanden einst den "Dutch Approach": Sie wollten mit Terroristen reden und Gegengewalt vermeiden. Der Journalist Frank Westerman findet die Methode sympathisch, aber angesichts der aktuellen Dimension des Terrors nicht mehr zeitgemäß.
Im Dezember 1975 kommt der Terror nach Wijster. Sieben junge Männer entführen einen Zug aus Groningen. Sie erschießen den Lokführer und fordern ein Flugzeug, um mit rund 50 Geiseln in den Osten Indonesiens zu fliehen – auf die molukkischen Inseln.
Etwa 12.500 Molukker lebten damals in den Niederlanden. Viele von ihnen waren Soldaten, die aufseiten der holländischen Kolonialherren gekämpft hatten. Als Indonesien 1949 unabhängig wurde und der Versuch der Molukker, eine eigene Republik auszurufen, von den neuen Machthabern gewaltsam unterdrückt wurde, holte man die molukkischen Soldaten in die Niederlande.
Aus der Armee entlassen, ohne Pass und Perspektiven, wurden sie quer durchs Land angesiedelt, in ehemaligen Konzentrationslagern und Baracken untergebracht.
Mit "Dutch Approach" auf Gegengewalt verzichten
Buchcover: "Reden, Reden? Reden!" von Frank Westerman
Buchcover: "Reden, Reden? Reden!" von Frank Westerman© Ch. Links Verlag Berlin
Insgesamt vier Geiselnahmen erschütterten Mitte der 1970er-Jahre Wijster und die umliegenden Dörfer und Städte, die alle wenige Kilometer voneinander entfernt im Norden der Niederlande liegen. Damit sollte die Regierung gezwungen werden, sich stärker für eine unabhängige molukkische Republik einzusetzen.
Frank Westerman, der zur gleichen Zeit in unmittelbarer Nähe aufwuchs, macht aus diesen Ereignissen einen roten Faden seines Buches. Der Journalist und Autor rekonstruiert die Taten, verbindet sie mit persönlichen Erinnerungen und geht der Frage nach, die ihn seit Langem umtreibt: Lässt sich eine freie und zivilisierte Gesellschaft mit Worten verteidigen?
Im Falle des entführten Zuges funktionierte das. Nach zwölf Tagen gaben die Geiselnehmer auf, von einem Unterhändler mürbe geredet. Drei Menschen überlebten das Drama nicht. Die Niederlande entwickelten daraus den "Dutch Approach", die holländische Methode. Das heißt: Keine Gewalt anwenden, Reden ist das Mittel der Wahl. Und Integration der Täter statt Repression.

Gewaltfreie Methode selbst von Anhängern aufgegeben

Westerman hat Zweifel, ob diese Herangehensweise, die zudem nach und nach ihre Anhänger verlor, heute noch funktioniert. Wenn er über das Attentat auf "Charlie Hebdo" und die medienwirksamen Enthauptungsvideos des IS nachdenkt, fällt es ihm schwer, an die Kraft des Dialogs zu glauben.
Er befragte international anerkannte Terror-Experten: "Wir werden immer auch reden müssen". Nahm an einer professionellen Entführungs-Übung teil: "Ich sehe in den uniformierten behelmten Männern jetzt Beschützer". Traf einen der inzwischen geläuterten Zugentführer von Wijster: "Selbst wenn wir alle erschossen hätten, wäre man nicht auf unsere Forderungen eingegangen".

Und er rekonstruiert die verheerenden Geiselnahmen tschetschenischer Rebellen in Russland; ein Land, das normalerweise nicht mit Terroristen verhandelt und unter Inkaufnahme vieler Opfer Geiselnahmen gewaltsam beendet.
Der niederländische Journalist und Autor Frank Westerman, aufgenommen bei einer Veranstaltung der literaturWERKstatt Berlin am 22.9.2009
Der niederländische Journalist und Autor Frank Westerman © imago / gezett

Dem Terror mit Reden und Handeln begegnen

Am Ende stellt Frank Westerman ernüchtert fest: Gewalt habe sich vielerorts durchgesetzt. Entsprechend hat auch er seine persönliche Einstellung mittlerweile geändert. In den 1980er-Jahren wurde er vom Protestler gegen die Stationierung von Marschflugkörpern zu einem Unterstützer für den gewaltsamen Kampf der zentralamerikanischen Befreiungsbewegung.
Ihm ist eine ambivalente Haltung geblieben, zwischen Pazifismus und vermeintlich legitimer Gewalt gegenüber Terroristen. Das Schwert sei nichts ohne den Stift. Und der Stift nichts ohne das Schwert. Es komme also auf Reden und Handeln an. Dennoch, immerhin so zuversichtlich ist er, das Wort werde siegen.

Frank Westerman: Reden. Reden? Reden! - Spricht man mit Terroristen?
Aus dem Niederländischen übersetzt von Gerd Busse und Ulrich Faure
Ch. Links Verlag Berlin, 10. August 2016
240 Seiten, 20,00 Euro, auch als E-Book

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