Frank Walter Steinmeier: "Europa ist die Lösung"

Mit den Waffen von Winston Churchill

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kommt am 12.04.2016 zu einem Treffen der OSZE-Troika in die Villa Borsig in Berlin. Foto: Gregor Fischer/dpaFotograf:Gregor Fischer
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zieht mit Churchill-Zitaten in die Schlacht um Europa © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Wolfgang Schneider im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 14.09.2016
Frank Walter Steinmeier macht sich in einem Essay über Europa Gedanken. Unser Rezensent Wolfgang Schneider meint: Der deutsche Außenminister will das Richtige. Doch leider bleibe er dabei "ziemlich schwammig und sonntagsredenhaft".
"Churchills Vermächtnis" lautet der Untertitel von Steinmeiers Essay, der auf eine große europäische Mutmacher-Rede Bezug nimmt, die Winston Churchill im September 1946 in Zürich gehalten hat: Die europäische Völker sollten sich zusammenraufen, den Kriegshorror in einem "segensreichen Akt des Vergessens" hinter sich lassen und die "Vereinigten Staaten von Europa" schaffen.
Dass Steinmeier den Geist des furchtlosen britischen Kriegspremiers so dringlich herbeizitiert, lässt sich als schweres Krisensymptom verstehen: Das bröckelnde Europa hat es nötig, an solche großen Momente und Kämpfernaturen erinnert zu werden.

Europa: Bürokratische Routine, alle nörgeln

Spätestens mit dem Brexit ist die "scheinbare Unumkehrbarkeit des europäischen Einigungsprozesses an ihr Ende gelangt". Europa sei zur bürokratischen Routine geworden, an der man leicht herumnörgele, meint Steinmeier. Deshalb erinnert er daran, dass die europäische Einigung nach den Weltkriegen kaum weniger als ein Wunder war, der Garant für eine lange Friedens- und Wohlstandsepoche:
"Mit diesem Europa spielt man nicht!"
Steinmeiers Essay bietet aber nicht nur historische Rückblicke. Er beschäftigt sich in knapper Form auch mit den aktuellen Krisen.

Wutbürger werden zu "selbstbewussten Bürgern"

Mehrfach nimmt er an der Merkel-Vokabel "alternativlos" Anstoß. Er spricht von den "selbstbewussten Bürgern", deren Kritik als "wenig hilfreich" abgetan werde. Sind die "Wutbürger" oder die mit Spott traktierten "besorgten Bürger" nun also zu "selbstbewussten Bürgern" avanciert? Auf die man dann doch genauer hören soll?
Europa sei dank seines Erfolges für Millionen Menschen zum Sehnsuchtsort geworden – hier berührt Steinmeier das größte aktuelle Streitthema, den Migrationsdruck, die Flüchtlingskrise. Und bleibt dabei leider ziemlich schwammig und sonntagsredenhaft.

"Syndrom der Sprach- und Verständnislosigkeit"

Politiker dürften "in notgeborener Eile Fehler machen", plädiert er. Das klingt nun gerade nicht nach Churchillscher Souveränität. Und es wirkt wie das Eingeständnis, dass die Regierungskoalition Fehler gemacht habe. Jedenfalls habe die Flüchtlingskrise in und unter den EU-Staaten zu einem "Syndrom der Sprach- und Verständnislosigkeit" geführt. Da sei jetzt ganz schnell ganz viel Verständigung nötig, so der Außenminister.
Und dann bringt Steinmeier neben Churchill noch ein anderes Vorbild ins Spiel: den legendären legendären eisernen Gustav, jenen Berliner Droschkenkutscher, der nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Kutsche nach Paris gefahren ist, eine musterhafte Initiative der Verständigung.

Die Anfeindungen werden immer größer

Steinmeier zitiert das "Gustav"-Gedicht von Erich Kästner:
"Denn dort wo das Verstehen endigt, fängt die Verständigung erst an."
Das ist allerdings ein sehr guter Rat in einer politischen Landschaft, in der die Meinungsfronten scharf gezogen sind und die Anfeindungen immer größer werden.

Frank Walter Steinmeier: Europa ist die Lösung. Churchills Vermächtnis
Ecowin Verlag, 2016
64 Seiten, 8,00 Euro