Frank Dellé: "Neo"

Ernste Themen, leichte Musik

Der Musiker Frank Dellé der Band Seeed 2015 beim Lollapalooza Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin
Der Musiker Frank Dellé der Band Seeed 2015 beim Lollapalooza Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Kerstin Poppendieck · 28.06.2016
Mit Seeed wurde Reggae in Deutschland wieder populär und auch die Bandmitglieder setzen mit ihren Soloprojekten dort an, so auch Frank Dellé. Auf seinem zweiten Album "Neo" widmet er sich Themen wie Trisomie 21 oder dem Älterwerden.
Manchmal reicht ein einziges Lachen, um einen Raum mit positiver Energie zu füllen. Frank Dellé hat solch ein Lachen.
"Neo" heißt Dellés neues Album, und darauf erzählt er, was in den letzten sechs bis sieben Jahren Neues in seinem Leben passiert ist. Und das ist nicht wenig: Er ist jetzt Hausbesitzer, seine Tochter wurde eingeschult, sein Sohn geboren. Ein Leben zwischen Rasenmähen und Rockstar-Sein. Aber der Titel "Neo" soll auch den Sound des neuen Albums beschreiben.
"Das erste Album 'Before I grow old' war so meine Ode an Roots Reggae, an meine Kindheitsmusik, mit Bob Marley großgeworden, aus Afrika heraus Bob Marley begriffen und seine Musik eben verwendet, um meine Geschichte zu erzählen.
Und jetzt eben auch Reggae, aber ich würde das so beschreiben: nicht unbedingt mit den klassischen Sounds, sondern mit 2016-Sounds. Jemand, der denkt, Reggae ist Bob Marley, hört wahrscheinlich einige Stücke da drauf und sagt, das ist doch kein Reggae. Und jemand, der wirklich sich mit Reggae auskennt, sagt: Wow, so kann man Reggae auch machen."
Dellé experimentiert mit Schlagzeug und Gitarre, spielt mit Orgelsounds und bringt auch elektronische Sounds in seinen 2016er-Reggae. Anders als Seeed äußert sich Frank Dellé in seinen Texten auch politisch. In dem Song "Light your Fire" geht es zum Beispiel um Weltreligionen, Gewalt und Terrorismus.

Ein Tagebuch-Album

Frank Dellé fand es immer schon befremdlich, dass Reggae in Deutschland oft als fröhliche Sonnenschein- und Gute-Laune-Musik empfunden wurde, denn die Botschaften waren schon bei Bob Marley oftmals ernst. Natürlich könnte er auch auf Deutsch singen, und vielleicht wird er das auch irgendwann tun, aber Reggae und Deutsch – dafür ist es ihm jetzt noch zu früh.
"Ich versuche auch nicht mit Krampf alles Positive wegzuexen, weil mich nervt, dass Reggae immer so positiv ist. Das sagen ja auch viele andere Reggae-Künstler: Wir sind ja froh, dass es sowas Positives auslöst, auch wenn die vielleicht nicht verstehen, was ich sagen wollte, aber es löst auf dieser Metaebene, auf der Musik funktioniert, gute Gefühle aus, dann ist es doch was Gutes.
Und später entdeckt man vielleicht und gräbt tiefer und findet dann diesen Schatz und denkt: ah ja, 'No woman no cry' heißt ja gar nicht keine Frau, kein Geschrei, sondern Frau, weine nicht. Und wenn das 20 Jahre später passiert. You know what I'm talkin about…" (lacht)
Sein "Tagebuch-Album" nennt Frank Dellé dieses neue Album. Vor ein paar Jahren war er dabei, als ein Freund an einer Psychose erkrankte. Dieses Erlebnis zum Beispiel verarbeitet er in einem Lied.
Gemeinsam mit dem deutschen Reggae-Musiker Gentleman hat er einen Song übers Älterwerden aufgenommen: "Du fühlst dich jung, aber dein Körper zerfällt. Die Zeit rennt immer schneller, Tic Toc", heißt es darin. Persönliche Texte, ohne zu privat zu sein.
"Ich glaub, das ist alles sehr kodiert. Wenn ich das nicht erzählen würde, würdest du nicht drauf kommen. Wenn ich 'Marry me' höre, das ist wie ein profaner, ganz simpler Märchensong.
Aber die Geschichte, die dahinter steckt, die ist ne ganz andere, die nur ich weiß. Da ging's im Endeffekt darum: jetzt haben wir diese ganzen schönen Sachen und die sind alle nichts wert für uns. Ich seh in meiner Umgebung so Townhouses, Familien, die sich das kaufen, alle sind fröhlich und ach ja. Und dann sitzen sie da drin, und es ist nichts wert. Es ist nur was wert, wenn du es zusammen teilen kannst mit jemandem. Wenn du ne Reise mit jemandem zusammen machst und das sharen kannst. Dieses Persönliche kriegt man gar nicht unbedingt mit, wenn man den Song hört."

Ernste Themen gebettet in leichte Musik

Es gibt einige Songs auf dem Album, die stark nach Dellés Seeed-Wurzeln klingen. Es gibt aber auch Stücke, denen man stärker die musikalische Reggae-Sozialisierung anhört. Frank Dellé selbst bezeichnet Bob Marley als seinen größten Einfluss.
Und wie Bob Marley schafft es auch Dellé, ernste Themen, über die man sonst kaum oder ungern spricht, in leichte, positiv klingende Melodien zu verpacken. Da stimmt Sound und Text. Vor zwei Jahren wurde sein Sohn geboren. In den Wochen vor der Geburt hat sich Dellé viel mit dem Thema Down-Syndrom beschäftigt und der Frage: Was, wenn unser Kind behindert zu Welt kommt?
"Und schon nimmst du selektiv wahr. Du kriegst in deiner Umgebung mit, wie viele Kinder es einfach gibt, die gar nicht Down Syndrom unbedingt haben, sondern die hatten ne halbe Minute zu wenig Sauerstoff. Und in dem Moment musste ich dann auch diesen Text und dieses Lied dazu auch schreiben. Die Frage war dann eben die, wie sehr will ich, dass jemand mitkriegt, dass es darum geht."
Frank Dellé hat sich entschieden, den Song unmissverständlich "Trisomy21" zu nennen. In dem Text geht es um einen Vater, dessen Kind das Down Syndrom hat. Dass dieses Kind zwar etwas anders aussieht und sich anders bewegt, dass all das aber nebensächlich und egal ist, und der Vater es genau so liebt wie ein gesundes Kind.
"Wenn andere Menschen über dich lachen, lache ich mit dir."
Es ist ein sehr berührendes Lied, vor allem wenn man sich selbst mit diesem Thema bereits auseinandergesetzt hat. Sehr sensibel und empathisch findet er die richtigen Worte.
"Das ist immer so ein Thema, da redet man nicht drüber. Ah, ist heikel, lieber nicht. Und ich find doch, das muss man zeigen. Das können wir machen mit Musik."
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