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Italienischer Camorrista packt aus
"So liefen die Geschäfte mit dem Müll"

Italien, der Müll und das Geständnis: die bemerkenswerten Informationen eines früheren Camorra-Bosses geben Aufschluss über ein illegales Millionengeschäft. Seit sechs Monaten kooperiert Antonio Iovine mit der Justiz. Seine Aussagen könnten zu weiteren Verhaftungen führen.

Von Kirstin Hausen | 26.11.2014
    Blick über die Stadt und den Golf von Neapel in der italienischen Provinz Kampanien.
    Blick über die Stadt und den Golf von Neapel in der italienischen Provinz Kampanien. (dpa / picture alliance / Udo Bernhart)
    Antonio Iovine hat ausgepackt, die Omertà, das Gesetz des Schweigens, gebrochen. Er hat der Staatsanwaltschaft Neapel von seiner Aufnahme in den Clan und seinem Aufstieg innerhalb der Organisation erzählt. Und auch, wie das Geschäft mit dem Müll und der illegalen Entsorgung ablief. Seit den Neunziger Jahre verklappen die Camorra-Clans Müll aller Art, auch Sondermüll, illegal und verseuchen auf diese Weise weite Teile der Region Kampanien.
    "Es war so, als wäre etwas Illegales ein ganz normales legales Geschäft, so kam es uns irgendwann vor."
    Müllverbrennungsanlagen gibt es nämlich kaum, Mülltrennung und Recycling funktionieren schlecht. Als sich 2008 der Müll auf den Straßen von Neapel meterhoch türmte, war das laut Iovine ein gefundenes Fressen für Michele Zagaria, einen Camorraboss mit besten Kontakten zu Regionalpolitikern, die von Amts wegen das Problem so schnell wie möglich lösen mussten. Zagaria habe Schmiergeld bezahlt, um den Müll von der Straße räumen und auf Ländereien, die ihm, Verwandten oder Strohmännern gehörten, verklappen oder lagern zu können. Zu diesem Zweck habe er eine Tarnfirma gegründet, die dann den Auftrag zur Müllentsorgung bei einer öffentlichen Ausschreibung erhielt.
    "Der für diese Ausschreibung Verantwortliche hat die Angebote am Abend vorher heimlich geprüft und Zagaria dann mitgeteilt, welche Summe er eintragen müsse, um den Zuschlag zu bekommen."
    Müll verrottete unter der Sonne Neapels
    Doch damit nicht genug. Ein großer Teil des Mülls wurde nicht im Boden verscharrt, sondern verrottete in Plastik verpackt unter der neapolitanischen Sonne. Die Heuballen große "Müllballen" stanken zum Himmel und riefen die Bevölkerung auf den Plan. Protestdemonstrationen besorgter Bürger sorgten für Schlagzeilen und brachten sogar die damalige Regierung Berlusconi unter Druck. Die Hausfrau und Mutter Luisa Laterza erinnert sich, dass es am Ende die Ordnungskräfte ausrückten.
    "Während wir geschlafen haben, wurden diese Müll-Ballen weggeschafft und verbrannt. Dabei enthielten sie Abfälle aller Art, auch Giftmüll. Ein Staat, der so etwas zulässt oder sogar selbst anordnet, so einen Staat will ich nicht."
    Die Ereignisse von damals haben Luisa eine Bürgerinitiative gründen lassen, der ausschliesslich Frauen angehören. Mütter gegen den Müll. Sie kämpfen noch heute gegen eine Müllhalde mitten im Nationalpark des Vulkans Vesuvs, die von der Regierung Berlusconi per Eildekret in eine legale Deponie verwandelt wurde. Auf dem Papier, denn in Wirklichkeit entsprach dieses riesige Loch im Boden keineswegs den Sicherheitsstandards einer Mülldeponie.
    Das Loch gibt es immer noch. Und es ist immer noch eine Mülldeponie, die Abfall aus ganz Italien aufnimmt.
    "Der Nationalpark ist zu einem Synonym für die Müllhalde geworden und natürlich kommen weniger Touristen als früher. Das schmerzt mich sehr, weil die Natur hier einzigartig ist. Kampanien ist einer der schönsten Flecken auf der Erde und es ist eine Schande, dass diese herrliche Gegend durch den Müll zerstört wird."
    Gift im Grundwasser
    Zu den Müttern gegen den Müll gehört auch die Deutsche Klaudia Eckhoff, die der Liebe wegen nach Boscoreale zu Füßen des Vesuvs gezogen ist. Als sie Mitte der 80er Jahre in den Ort kam, war die Vulkanlandschaft ein kleines Paradies für sie. Noch heute genießt sie mit ihrer Tochter lange Spaziergänge im Nationalpark. Aber manchmal beschleicht sie ein mulmiges Gefühl und sie fragt sich, wie viel Gift ihre Familie über das Grundwasser und die im Garten gezogenen Tomaten, Paprika und Zucchini wohl aufnimmt. Ein Wegzug kommt für sie aber nicht in Frage.
    "Wo soll man auch hingehen? Man hat die Eltern, die Schwiegereltern, die sind schon alt, die kannst Du ja nicht schnappen und woanders hinpflanzen."
    Weggehen, aufgeben – das kommt für die Mütter gegen den Müll nicht in Frage. Die lokalen Politiker haben sie mit Polizeigewalt von Gemeindesitzungen ferngehalten, denn sie wollen die Müllhalde schließen und kämpfen sowohl vor Gericht als auch mit spektakulären Protestaktionen gegen das Vergessen. Denn das Regierungsdekret von 2008 wurde nicht wieder aufgehoben und erlaubt die Einlagerung von Abfällen ohne die sonst notwendigen Prüfungen. Ursprünglich für den akuten Notstand in Neapel geschaffen, ist es nun das Feigenblatt einer Politik, die sich um die Verantwortung drückt. Denn wer sich mit der Müllentsorgung beschäftigt, hat über kurz oder lang mit der Camorra zu tun. Zu lukrativ ist das Geschäft, als dass die organisierte Kriminalität darauf verzichten würde, sagt der Ex-Camorra-Boss Antonio Iovine.
    "Ich bin der einzige Boss, der seinem Leben eine Wende gegeben hat."