Fotografien von Susan Meiselas

Ansichten eines Genozids

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Auf diesem Bild sind Menschen zu sehen, die einer Exhumierung beiwohnen.
Susan Meiselas dokumentierte mit ihren Fotografien an den irakischen Kurden begangene Verbrechen. Auf diesem Bild sind Menschen zu sehen, die einer Exhumierung beiwohnen. © Susan Meiselas
Von Rudolf Schmitz · 16.06.2019
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Zerfetzte Kleidungsstücke, Trümmer auf einem Hügel, Massengräber: Susan Meiselas zeigt in ihren Fotografien Spuren des Völkermords an den irakischen Kurden aus dem Jahr 1991. Ihre eindringlichen Bilder sind jetzt in Frankfurt am Main zu sehen.
Diese Farbfotografien lassen wenig Zweifel, was hier passiert ist. Zerfetzte Kleidungsstücke auf bloßer Erde, einige mit Steinen beschwert. Angehörige hatten sie ausgegraben, um die anonym verscharrten Opfer der Massaker identifizieren zu können.
Susan Meiselas war 1991 in den Irak gereist, um Spuren des Völkermords an den irakischen Kurden zu dokumentieren:
"Es ging darum, unbezweifelbaren Beweis zu finden für das, was passiert war. Das Bild dort zeigt einen jungen Mann namens Taymour, der in ein Massaker geriet. Er hat die Wunden von Kugeln in seinem Rücken und überlebte nur, weil er sich unter den Toten verborgen hatte", sagt Susan Meiselas.
Der 15-jährige Taymour steht mit dem Rücken zur Fotografin, hat sein T-Shirt hochgezogen, damit sie die Wundnarben sehen kann. Lediglich seine Pluderhose verrät den Kurden. Das Böse, so beweisen diese Bilder, ist banal. Manche Fotografien zeigen einfach nur Betontrümmer, darin ein paar einsam dastehende Menschengestalten.
"Ich habe nach Überresten gesucht. Trümmer auf einem Hügel, ein Dorf nach dem anderen, und natürlich auch die Massengräber, die markiert worden waren. Diese zwei Bilder hier beziehen sich auf ein Grab in Koreme, wo 33 Männer exekutiert und begraben wurden", berichtet Susan Meiselas.

Die emotionale Qual der Hinterbliebenen

Was kann das dokumentarische Foto leisten angesichts eines grauenvollen Völkermords, symbolisiert durch aufgerichtete Steine auf einem Feld? Susan Meiselas stellt sich solche Fragen immer wieder. Und findet dann doch Bilder, die uns Betrachtern nahegehen und die emotionale Qual der Hinterbliebenen ahnen lassen.
Wie das Foto der schwarz gekleideten Frauen, die Medaillons mit den Bildern ihrer Männer oder Söhne tragen. Das Bild ist stark angeschnitten, man sieht keine Gesichter, nur die kleinen Medaillons vor schwarzem Tuch.
"Diese Frauen tragen die Bilder als Halsband, nicht als Herausforderung oder als Frage, wo die Verschwundenen sind, wie in Argentinien oder Guatemala, wo ich vorher gewesen bin. Sie tragen sie dicht an ihrem Körper, um die Gegenwart derjenigen zu spüren, die Teil der Vergangenheit sind", sagt Susan Meiselas.

Vielschichtigkeit gelebter Geschichte zeigen

Susan Meiselas, eine kleine, energisch wirkende Frau, versteht sich als Vermittlerin. Sie hat mit den kurdischen Communitys zusammengearbeitet und unter anderem deren Familienfotos gesammelt, um die Vielschichtigkeit gelebter Geschichte zu zeigen. Vitrinen in der Ausstellung breiten diese zahlreichen Biografien und Erzählungen aus. Was also ist die Rolle der Fotografie, die Geschichte ans Licht holen will?
"Wollen wir uns erinnern oder Geschichte fühlen? Und uns mit denjenigen verbinden, die mitten unter uns sind? Ich denke, Fotografie kann immer noch als Brücke zwischen den Kulturen funktionieren. Sie ist eine Art Anker und kann Beziehungen formen, die noch in der Zukunft liegen", sagt Susan Meiselas.
Visuelle Recherche definiert sich heute anders als in der Vergangenheit, sie setzt nicht mehr auf das einzelne ausdrucksstarke Bild, sondern zusätzlich auf Texte, Fundmaterialien, Videos.
Die Spanierin Laia Abril zeigt eine Recherche zum Thema "Abtreibung", der deutsche Fotograf Arwed Messmer hat aus inzwischen freigegebenen Polizeiarchiven eine neue Erzählung der RAF komponiert, der Amerikaner Mark Ruwedel beschäftigt sich in großartig nuancierten Schwarz-Weiß-Fotografien unter anderem mit verlassenen Atomtestgeländen: Land-Art mit beklemmendem politischen Hintergrund.

Archiv als Grundstein

Kuratorin Anna Dannemann: "Alle vier Positionen beschäftigen sich mit dem Archiv als einer Art von Grundstein oder schaffen Archive auch selber. Alle Projekte befassen sich mit der Langwierigkeit des Bildes und nicht mit dem schnellen Konsumieren eines Bildkonvoluts, sondern damit, dass es auf lange Zeit auch fassbar bleiben muss".
Auch deshalb ist diese Fotoausstellung in der Börse Eschborn/Frankfurt eine beeindruckende Schau: Sie verweigert sich dem schnellen Like oder Dislike der Instagram-Kultur und verlangt Aneignungsarbeit. Zeit zum Lesen, Zeit zum Schauen, Zeit zum Erinnern.

Info: Die Ausstellung "Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2019" mit Werken von Laia Abril, Susan Meiselas, Arwed Messmer und Mark Ruwedel ist noch bis zum 23. August in The Cube, Eschborn/Frankfurt zu sehen.

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