Fotografie

Lagerfelds Lieblinge

Der Modemacher und Fotograf Karl Lagerfeld
Der Meister höchstselbst: der Modemacher und Fotograf Karl Lagerfeld © picture alliance / dpa / Georg Wendt
Von Anette Schneider · 21.02.2014
Karl Lagerfeld sieht sich nicht als Künstler. In die Hamburger Kunsthalle hat er es mit seinen Werken trotzdem geschafft. Dort ist eine Ausstellung mit Fotos seiner Lieblingsmodels in kitschigen Posen zu sehen.
Anselm Feuerbach und Karl Lagerfeld zusammen in einer Ausstellung? Nicht in einem Modemuseum, nicht ein Stückchen weiter im Museum für Kunst und Gewerbe, sondern in der Hamburger Kunsthalle? Obwohl Feuerbachs Bilder schon zu seinen Lebzeiten anachronistisch waren, und Lagerfeld Modemacher und Vertreter einer Milliardenindustrie ist, aber kein Künstler? Kunsthallenleiter Hubertus Gassner:
"Also, diese Ausstellung ist ein Experiment. Es geht um Fragen des Lebens. Und eine der wichtigsten Fragen des Lebens ist natürlich die nach der Schönheit. Und es geht um: Was ist Schönheit heute? Und ist die Schönheit nur im Auge des Betrachters? Oder ist die Schönheit etwas Objektives? Und was verstand man zu welcher Zeit unter Schönheit?"
Das sind in unserer Zeit wahrlich drängende Fragen, die man ausgerechnet anhand von Fotos eines Modedesigners, und Bildern eines historisierenden Deutsch-Römers untersuchen muss. Eines Malers, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in idealisierende Vorstellungen der Antike flüchtete, und sämtliche fortschrittlichen gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen konsequent ignorierte.
"Dahinter steht auch die kunsthistorische Frage: Ist das Modell des 19. Jahrhunderts gleichgestellt dem Model des 20. Jahrhunderts in der Mode?"
Überraschend viele Fragen scheinen sich in dieser Ausstellung aufzutun. Fragen, die dringend beantwortet werden müssen.
"Es gibt darauf keine Antwort. Das ist eine Parallelentwicklung. Und dabei geht es eigentlich um eine zweite Frage: Warum brauchen wir eigentlich Models? Und warum brauchen wir Musen?"
Herrschende Klasse feierte Feuerbachs Antikenspiele
Wer auch immer behauptet, wir bräuchten Musen oder Models - in der Ausstellung sieht das so aus: Im ersten Teil hängen über vierzig Gemälde Feuerbachs mit der immer selben Frau. 1856 war der 27-Jährige Maler vor der Industrialisierung nach Rom geflohen, und hatte dort die junge Römerin Anna Riesi kennengelernt. In den 60er-Jahren wurde sie als "Nanna" Feuerbachs Geliebte und Modell. Mit ihr spielte er Antike, inszenierte sie in Tizianfarben und Raffael-Posen, als Lucrecia Borgia oder Athene.
"Feuerbach hat sein Modell durch einen Bildhauer, der die Kostüme hergestellt hat, nach seinen Anweisungen und mit dem Schmuck seiner Schwiegermutter, immer ausgestattet, und hat sie in den verschiedensten Posen und verschiedensten Rollen gemalt. Entweder mit Bezug zur Renaissance, oder zur Antike."
Mit fortschreitender Industrialisierung schätzte die Bourgeoisie diese Realitätsflucht der Deutsch-Römer immer mehr: Ihre Bilder lenkten prächtig ab von all den gesellschaftlichen und sozialen Problemen, die sie zu verantworten hatte. Bald schon feierte die herrschende Klasse Feuerbachs Antikenspiele. Im zweiten Teil der Ausstellung hängen dann 60 schwarz-weiß-Fotos von Lagerfeld.
"Dasselbe macht Lagerfeld. Er zeigt ja keine Modefotos. Er hat 'Daphnis und Chloe' - der Hirtenroman, der Liebesroman von Longos - mit seinen Models darstellen lassen, und hat die Geschichte fotografiert. Ich würde sagen: wie einen Fotoroman."
Und wieder: Die Antike als Farce. Lagerfelds Lieblingsmodelle treten als nackte und halbnackte Jünglinge auf, mal mit, mal ohne Wolfspelz. Mal versunken an einem Baum lehnend, mal im Gras lagernd. Stets in Pose und mit Schlafzimmerblick, legen sie hier einen Finger an die Lippen, dort an die Stirn. Man sieht südliche Landschaften, zwischendurch monströs vergrößerte Gesichter, als könne das Format die inhaltliche Leere überspielen.
"Ich bin ein Kunstgewerbeschaffender"
"Er sagt: Ich bin kein Künstler, ich bin ein Kunstgewerbeschaffender. Also er reiht sich da eher ein: Ich bin Designer, Fotograf und Modeschöpfer. Künstler lässt er aus. Aber die Kunst ist heute so kommerzialisiert, dass die Grenzen von Mode und Kunst zum Teil sehr durchlässig geworden sind."
Nur was sollen diese vor Kitsch triefenden Spielereien eines Modemachers, in denen sich Eigenwerbung, Kommerz und Mode mischen, in der Kunsthalle? Hubertus Gassner:
"Das ist die Frage, die ganz dahinter steht: Was ist Mode, und was ist Kunst? Was ist Kunst und was ist Kitsch? Und was ist Kommerz? ... Kunst ist heute zu großen Teilen auch Dekoration, ist auch Schmuck geworden, auch Wertanlage geworden. Und darum stellt die Ausstellung eigentlich viele Fragen."
Indem sie diese Oberflächlichkeit, diesen Kitsch und Kommerz unkommentiert präsentiert? Wäre es nicht Aufgabe der Institution Kunstmuseum, eben dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen? Ist es nicht nach wie vor seine Aufgabe, Maßstäbe nach humanistischem Maß zu entwickeln, geschmacksbildend zu wirken, anstatt Name-Droping zu betreiben? Also zum Beispiel alte unbequeme Meister vorzustellen und neue, sperrige Ideen, die einen wappnen gegen die Verflachung und Kommerzialisierung von Kunst? Die zeigen: Seht her, es geht auch anders! Anstatt der bewusstseinstrübenden Oberflächlichkeit noch Raum zu geben?
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