Fotografie

Aufgespießte Schmetterlinge in exaltierter Pose

Fotoapparate
Als hätte ein großes Kind mit der Kamera zu spielen begonnen - so wirken manche Fotos von Viviane Sassen. © dpa / Maxppp / Chinafotopress
Von Rudolf Schmitz · 17.05.2014
Die Modefotografin Viviane Sassen verstößt gegen die Gewohnheiten des Genres und elektrisiert mit einem ebenso unschuldigen wie hemmungslosen Blick auf den Körper. Das Fotografie Forum Frankfurt zeigt ihre Bilder.
Auf der letzten Biennale von Venedig erregten ihre Afrika-Fotografien Aufsehen: wegen ihres seltsam surrealen Charakters. Zwei Männer, die sich umarmten, zwischen sich eingeklemmt ein riesiges Bananenblatt, das ihre Körperkonturen zerschnitt. Oder diese Frau, die in einem Bettlaken verschwand und wirkte, als klettere sie in einer Felswand. Es waren extreme Körperposen, vollführt mit träumerischer Selbstverständlichkeit. Unwillkürlich hatte man das Gefühl: Diese Fotografin muss Afrikanerin sein. Doch Viviane Sassen wurde 1972 in Amsterdam geboren. Als Kind hat sie mit ihrer Familie drei Jahre in Kenia gelebt, wo ihr Vater als Arzt in einer Poliklinik arbeitete. Immer wieder kehrt sie nach Afrika zurück, um dort zu fotografieren:
"Es verbindet mich mit meinen Kindheitserinnerungen und ich habe dann nachts immer sehr lebhafte Träume. Als wäre mein Unterbewusstsein viel aktiver, wenn ich dort bin."
Im Frankfurter Fotografie Forum sind jetzt vor allem Viviane Sassens Modefotografien zu sehen, die sie für unabhängige Magazine wie "Purple" oder "Dazed & Confused" gemacht hat. Es sind Bilder, die elektrisieren, weil sie gegen die Gewohnheiten des Genres verstoßen. Da ist dieses Model in einem Feld von pinkfarbenen Tulpen. Sie ist in ekstatischer Rückwärtsbeugung zu sehen, ihr gelber geraffter Unterrock vor blauem Plissékleid, das grüne Wolloberteil, die weißblonden Haare wirken wie eine Blüte, die sich gerade öffnet und verblüffenderweise Arme und Hände hat. Oder das Model am Swimmingpool mit roten Pumps und einem weißen fellartigen Kleid, das dabei ist, seine nassen Haare aus dem Wasser zu ziehen. Ziemlich durchgeknallt, ein bisschen hysterisch, aber irgendwie auch beiläufig:
"Mit der Mode verbindet mich diese Hassliebe, sie ist für mich einfach nur eine Plattform für meine Fotografie, für meine Kreativität. Ich sehe es mehr als einen Kindergarten, ein Spielfeld für meinen Forscherdrang."
Die Models, mit denen Viviane Sassen arbeitet, brauchen Mut. Viele Bilder in dieser Ausstellung sind Aktfotografien, die jede Körperform auflösen und die weibliche Schönheit zerstückeln:
"Das Interessanteste an einem Model ist, wenn es wagt, hässlich zu sein. Viele sind sehr jung und denken, sie müssten schön und attraktiv sein. Aber wenn sie sich von dieser Vorstellung befreien, dann wird das alles viel interessanter."
Krasse Schatten, abstrakte Farbflächen
Viviane Sassens Bilder sind sexy. Aber sie bedienen nicht den männlichen Blick. Da ist viel nackter Körper zu sehen, aber er wird auf völlig unerwartete Art freigelegt. Die Nacktheit des Körpers ist das eine, die Stoffe, die Mode, die Schnitte sind das andere. Die Mode ist einfach nur Material, skulpturale Zutat, Farbfläche, ein Ornament im Spiel der Zeichen. Oft wirken Viviane Sassens Bilder, mit ihren krassen Schatteneffekten, abstrakten Farbflächen, extremen Lichtkontrasten und Unschärfen wie zufällig entstanden. Als hätte da ein großes Kind mit der Kamera zu spielen begonnen. Unschuldig, hemmungslos, komplizenhaft.
Es gibt keine Gebrauchsanleitung, wie diese Bilder zu lesen sind. Der Blick kann schweifen, wird abgelenkt, getäuscht, mit Assoziationen gefüttert. Oft sind Gesichter in Schatten getaucht, es gibt fast keine Blickbegegnungen. Und doch vermitteln die Bilder das Gefühl, dass die Fotografin mit ihren Modellen in tiefem Einverständnis arbeitet. Ist Vivianne Sassen in Wirklichkeit vielleicht eher eine unerschrockene und grenzüberschreitende Malerin?
"Ich sehe mich mehr als jemanden, der Skulpturen schafft. Wegen der Art, wie ich durch die Linse schaue, meine Bilder komponiere, die Models lenke und die Welt um mich herum betrachte. Das hat viel von Bildhauerei."
Viviane Sassens Modefotografien sind aufgespießte Schmetterlinge in exaltierter Pose. Und sie vermitteln zugleich den Eindruck, jeden Moment davon flattern zu können. Die Frankfurter Ausstellung fasziniert. Mit einer beschwingten und andersartigen Form der Schönheit.