Fotoausstellung

Afrika neu denken und erzählen

05:39 Minuten
Neun Frauen in knallgrünen Kostümen.
Die in Kapstadt geborene Alice Mann ist die einzige Frau, die in Völklingen präsentiert wird. Sie widmet sich in ihren Arbeiten den "Tambourmajoretten" in Südafrika – auch "Drummies" genannt. © Alice Mann
Von Ludger Fittkau · 17.05.2020
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Die Völklinger Hütte präsentiert in einer Ausstellung Fotokunst aus Afrika. Surreal anmutende Bilder, Schwarzweißarbeiten, Straßenfotografie, futuristische und karnevalistische Inszenierungen - die Bandbreite ist riesig.
Der marokkanische Fotograf Yassine Alaoui Ismaili – sein Künstlername ist Yoriyas – ist längst in der internationalen Medienwelt angekommen, etwa mit seiner Serie "Casablanca Not the Movie", die nun im Weltkulturerbe Völklinger Hütte im Saarland zu sehen ist:
"Er ist ein Straßenfotograf, der aber ein wahnsinniges Gespür für den richtigen Moment hat, so dass seine Bilder mittlerweile auch von großen Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post abgedruckt werden, der in seinen Bildern dieses poetische und auch dieses futuristische Element sehr stark zum Vordergrund bringt", sagt Frank Krämer, Kurator der Ausstellung "Afrika. Im Blick der Fotografen" in der Völklinger Hütte.
Im Vordergrund ein Schimmel am Strand, im Hintergrund eine Frau im T-Shirt.
Der marokkanische Künstler Yoriyas zeigt seine Heimatstadt Casablanca jenseits des berühmten Hollywood-Films und jenseits von Touristen-Führern und orientalistischen Fantasien.© Yoriyas
Yoriyas fotografiert Breakdancer, die auf dem Dach des Veranstaltungszentrums L'Usine in der marokkanischen Millionenmetropole Casablanca durch die Luft wirbeln und einen Wachmann ziemlich nachdenklich dreinschauen lassen. Oder er zeigt eine surreal wirkende Szene mit einem Schimmel im Wüstensand unter einem rosa und braun gestreiften Sonnenschirm – daneben sitzt eine Touristin im T-Shirt auf einem Plastikstuhl und blickt in die Ferne.

Casablanca - jenseits von Bogart und Bergman

Yoriyas stammt selbst aus Casablanca. Der Fotokünstler zeigt seine Heimatstadt jenseits der audiovisuellen Metapher, die auch die heutige Metropole offenbar auf ewig an Humphrey Bogart, Ingrid Bergman und den Pianisten Sam bindet. Dazu Frank Krämer: "Und Casablanca hat ja bei Gott nichts mit dem Film zu tun. Es ist das Wirtschaftszentrum von Marokko und er hat das quasi in seine Bilder, in seine Serie einfach aufgenommen und diese Bildromantik und dieses Klischeebild des Westeuropäers quasi gebrochen."
Yoriyas' Momentaufnahmen der kulturellen Brüche und Absurditäten in Casablanca passen gut in die ebenfalls zum Teil surreal wirkende Industriekulisse der Völklinger Hütte. Im 125 Meter langen und durch Betonwände in verschiedene Räume gegliederten Möllerbunker des alten Stahlwerkes sind die Werke der insgesamt neun afrikanischen Fotografinnen und Fotografen großformatig an die grau-braunen Bunkerwände gehängt.
Eine Industriehalle mit Werken der ausgestellten Künstler.
Blick in die Ausstellung "Afrika – Im Blick der Fotografen" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte.© Weltkulturerbe Völklinger Hütte/Hans-Georg Merkel
Futuristisch und karnevalistisch zugleich sind die Fotoinszenierungen von Osborne Macharia aus Kenia. Er hat vor zwei Jahren am oskargekrönten Science-Fiction-Film "Black Panther" mitgewirkt. In seinen in Völklingen gezeigten Arbeiten geht es zum Beispiel um die Geschichte der Mau-Mau, der Untergrundkämpfer im kenianischen Unabhängigkeitskrieg in den 1950er-Jahren.

Den Mau-Mau ein Denkmal gesetzt

Die Mau-Mau sollen angeblich eine besondere Kampftruppe bestehend aus fünf Optikern gehabt haben, die mit Spezialbrillen den Feind nachts aufspüren konnten – längst bevor es Nachtsichtgeräte gab. Osborne Macharia setzt diesen Optiker-Guerilleros ein schrilles Denkmal - einer von ihnen wird im Schafsfell und mit einer Art "Radiomaske" vor dem Gesicht imaginiert.
"Hier geht es dem Fotografen darum, Afrika neu zu denken und neu zu erzählen. Und das ist gewissermaßen auch so ein Leitmotiv für die gesamte Ausstellung. Also diese Kreativität, mit den Alltagsthemen hier umzugehen, und speziell Osborne Macharia, der die Geschichten seiner Heimat einfach weitererzählt mit den Musikern aus seinem Land, mit Philosophen aus seinem Land, mit Schauspielern und hier quasi eine völlig neue Geschichte weiterentwickelt", erklärt Krämer.
Ein Mann in einer futuristischen Uniform mit einem Spezialhelm und einer Spezialbrille vor einem mobilen Monitor mit Antenne.
Die Foto-Serie "Ilgelunot" realisierte Osborne Macharia für den oscarprämierten Film "Black Panther".© Osborne Macharia
Die in Kapstadt geborene Alice Mann ist die einzige Frau, die in Völklingen präsentiert wird. Sie widmet sich in ihren Arbeiten den "Tambourmajoretten" in Südafrika – auch "Drummies" genannt. Die Fotos der Trommlerinnen in ihren bunten Uniformen und pelzigen Hüten zeigen selbstbewusste junge Mädchen – die meisten schwarz –, die ihren Sport mit großer Entschlossenheit betreiben. In einer Welt, so Alice Mann im Katalog, "in der sich die Narrative auf die Erfahrungen von Männern konzentrieren".
Fabrice Monteiro verwandelt hingegen Frauenkörper in Meerjungfrauen, die aus dem Industriemüll an ölverschmierten Stränden seines Wohnortes Dakar im Senegal als Mahnerinnen der Umweltkatastrophe in den Ozeanen herausragen.

Hip-Hop- und Akrobatik-Wettbewerbe

Besonders dynamisch im nächsten Bunkersegment: Die Schwarzweißarbeiten von Kibuuka Mukisa Oskar aus Kampala in Uganda. Es geht um "Break-Fast-Jam", einen Hip-Hop- und Akrobatik-Wettbewerb, der auf Wochenmärkten, neben Eisenbahnschienen oder am Eingang von Wellblechhütten ausgetragen wird. Dazu der Kurator: "Es freut mich natürlich schon, wenn eine Besucherin oder ein Besucher jetzt - wie vor kurzem geschehen - dann auch sagt: 'Ja, hier spürt man den Tanz, die Vibration. Man spürt den Rhythmus in vielen der Bilder.'"
Ein Breakdancer in der Luft.
Kibuuka Mukisa Oscar feiert die positive Lebensenergie der Breakdance-Kultur in Uganda.© Kibuuka Mukisa Oscar
In der Tat: Die Ausstellung "Afrika. Im Blick der Fotografen" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte setzt einen Teil der stillgelegten Eisenhütte wieder in Bewegung. Es ist ein junges, dynamisches Afrika, das sich mit großer Fotokunst ins altindustrielle Europa katapultiert. Bleibt zu hoffen, dass auch die Lothringer, von denen nicht wenige einen nordafrikanischen Migrationshintergrund haben, bald wieder über offene Grenzen ins Saarland kommen können, um diese großartige Ausstellung genießen zu können.
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