Fortsetzung der "Schaukelpolitik" mit dem Iran

Walter Posch im Gespräch mit Gabi Wuttke · 30.11.2010
In Bezug auf die Situation am Golf bieten die WikiLeaks-Enthüllungen wenig Neues - so die Einschätzung von Walter Posch von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die bisherige Verhandlungsstrategie gegenüber Iran werde wahrscheinlich fortgesetzt werden.
Gabi Wuttke: Die diplomatische Welt bebt wie einst Pompeij. Die große Enthüllungsaktion von WikiLeaks hat das Herz des amerikanischen Außenministeriums getroffen. Aber was außer den persönlichen Einschätzungen der US-Diplomaten über Angela Merkel und Co. wird der Öffentlichkeit erstmals präsentiert? Was die Brisanz des Materials über den Iran angeht, fragen wir jetzt nach der Einschätzung von Walter Posch von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Posch!

Walter Posch: Guten Morgen!

Wuttke: Im "Spiegel" ist zu lesen: Arabische Machthaber fordern bei vertraulichen Gesprächen Maßnahmen gegen die Mullahs in Teheran – ist das für Sie neu?

Posch: Nein, nicht wirklich. Man konnte das schon ... in verschiedenen Medien wurde das schon öfters kolportiert, nicht natürlich in dieser komprimierten Art und Weise, aber man wusste natürlich, dass vor allem zwischen Saudi-Arabien und Iran die Spannungen sehr hoch sind und dass sich die Golfstaaten sehr bedroht fühlen vom Iran.

Wuttke: Der "Spiegel" spricht von einer amerikanischen Doppelstrategie, der Sanktionen gegen den Iran einerseits, Vorbereitung für den Fall eines Militärschlags andererseits, gleichzeitig aber auch, dass die meisten Golfstaaten vor allem auf den Verteidigungsfall vorbereitet sein wollen. Andere Medien wiederum berichten, in Rekurs auf WikiLeaks, diese Staaten befürworten einen Angriff als einzige Möglichkeit, den Iran als Atommacht zu stoppen. Klingt das nur widersprüchlich oder ist das widersprüchlich?

Posch: Das klingt nicht ganz widersprüchlich, ein bisschen ermangelt es bisher an der genauen Definition von Atommacht, aber das ist im diplomatischen Sprachgebrauch schon klar: Ist das schon die Beherrschung der Nukleartechnologie, ist das schon die Waffe selbst? Will man allerdings den Iran militärisch entwaffnen, so wird es mit Luftangriffen allein wohl nicht gehen. Und auf das haben einige dieser arabischen Staatschef oder Regierungschef auch angespielt. Die Befürchtung der iranischen Bedrohung ist natürlich vor allem in den kleinen Golfstaaten real.

Wuttke: Gab es denn irgendetwas beim Studium dieser WikiLeaks-Veröffentlichung, wo Sie dachten, ach, schau mal an, ist ja interessant?

Posch: Interessant war das alles. Man bekommt diese Sachen nicht wirklich so unverblümt auf den Schreibtisch, und darin besteht meiner Ansicht nach die Novität und das Interessante. Es wird vor allem für Historiker, für zukünftige Historiker äußerst interessant und äußerst wertvolles Material sein, aber es sind halt Gespräche zwischen Diplomaten, zwischen Regierungschefs und Diplomaten, die alle irgendwie nach einem gewissen Protokoll verlaufen. Es muss dabei nicht unbedingt sein, dass all diese Leute auch wirklich das gesagt haben, was sie sich dachten in Wirklichkeit. Und die prinzipielle Schaukelpolitik zwischen, sagen wir, einerseits irgendwie mit dem Iran auskommen müssen, auf der anderen Seite das nicht zu wollen, wird wahrscheinlich fortgesetzt werden.

Wuttke: Das heißt also, Sie geben WikiLeaks jetzt schon einen Platz in den zukünftig neu zu schreibenden Geschichtsbüchern?

Posch: Ich glaube nicht, dass die Geschichtsbücher neu geschrieben werden müssen, aber es ist eine für Historiker willkommene Ergänzung von Vermutungen, von Plausibilitäten, von an sich logischen Abläufen und sozusagen eine Bestätigung für vieles, was man sich gedacht hat.

Wuttke: Es ist ja nun auch in diesem Falle Iran so, dass die internationale Diplomatie eine Form der Gesichtswahrung ist, bei der es darum geht, trotzdem politische Fortschritte zu machen. Wie schätzen Sie denn jetzt diese Konsequenzen der Veröffentlichung von WikiLeaks ein – kann man da den Status quo ante wieder erreichen beziehungsweise wie groß ist der Flurschaden?

Posch: Das hängt sehr stark davon ab, was die Iraner aus dem Material machen. Bis die letzten beiden Tage halt inklusive sind sie eigentlich relativ, sind die Reaktionen in Teheran relativ gemäßigt. Die Angriffe der Teheraner Zeitungen gehen – zumindest, was ich heute noch gesehen habe – gehen auf Saudi-Arabien oder auf andere arabische Staaten, indem man ihnen eben vorwirft, dass sie die Amerikaner auf einen Krieg gegen den Iran aufhetzen würden. Aber das sind eigentlich Standardvorwürfe, die man in den iranischen Nachrichten seit Jahren lesen kann. Also, bis jetzt sieht man zumindest in der veröffentlichten Meinung wenig Veränderung.

Die Frage ist natürlich, was passiert, wenn sich jemand innerhalb Teherans auf das Material stürzt und das systematisch einbaut, um eine neue Politik zu rechtfertigen. Ich stelle mir das allerdings relativ kompliziert vor, weil an sich das Verhältnis Teherans zu seinen arabischen Nachbarn nicht sehr gut ist, mit ganz wenigen Ausnahmen, und die Iraner wohl eigentlich eher daran interessiert sind, dieses Verhältnis zu korrigieren, als noch einmal Öl ins Feuer zu gießen.

Wuttke: Aber wie steht beispielsweise der iranische Präsident Ahmadinedschad da, wenn er jetzt öffentlich zur Kenntnis nehmen muss, dass es der saudische König gewesen ist, der – so sagt es sein Diplomat in den USA – kundgetan hat, dass dieser Schlange der Kopf abgeschlagen gehört?

Posch: Na ja, da ist das Regime gemeint, das Hydra. Erstens wäre er damit nicht der Kopf der Hydra, es wäre der Revolutionsführer, aber im Prinzip sind es eben Aussagen, wie Sie richtig gesagt haben, eines Diplomaten. Das hängt von den Iranern ab, ob sie das jetzt nehmen, um daraus etwas zu machen, es hochzuspielen diplomatisch, oder ob sie es ignorieren. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie es ignorieren, sind eigentlich relativ hoch.

Wuttke: Die WikiLeaks-Veröffentlichung zum Iran und die für Walter Posch absehbaren Konsequenzen. Dazu im Interview der Forscher von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Posch, vielen Dank, dass Sie Zeit hatten, und schönen Tag!

Posch: Schönen Tag!
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