Dienstag, 19. März 2024

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Thomas-Mann-Haus zum Verkauf
"Aufgabe von nationalem Rang"

Eine ehemalige Villa des deutschen Schriftstellers Thomas Mann steht in Los Angeles zum Verkauf. Kein einziges authentisches Thomas-Mann-Haus sei in öffentlichem Besitz, sagte der Literaturwissenschaftler Hermann Kurzke im DLF. Deswegen sei das eine einmalige Chance und auch eine Aufgabe von nationalem Rang.

Hermann Kurzke im Gespräch mit Dina Netz | 15.08.2016
    Außenansicht des ehemaligen Wohnhauses des Schriftstellers Thomas Mann in Los Angeles, aufgenommen in den 1980er-Jahren
    Thomas Mann hat von 1941 bis 1952, als er nach Europa zurückkehrte, in dieser Villa in Los Angeles gelebt. (imago / PEMAX)
    Einfamilienhaus, fünf Schlafzimmer, 489 Quadratmeter: Diese Luxus-Immobilie in Los Angeles steht zurzeit zum Verkauf. Über den Erbauer der Villa, den deutschen Schriftsteller Thomas Mann, ist in der Anzeige nichts zu lesen. Im DLF spricht Thomas-Mann-Experte Hermann Kurzke über die Exil-Zeit des Schriftstellers in den USA.
    Den Kaufpreis der Villa von fast 15 Millionen Dollar erklärt ihre Lage in Pacific Palisades, oberhalb von Los Angeles, unweit vom Strand. Dass die Villa in der Anzeige nicht mit einem sehr berühmten deutschen Schriftsteller in Verbindung gebracht wird, das hat, so vermutet die "Süddeutsche Zeitung" wohl nicht zu Unrecht, damit zu tun, dass die Besitzer Schwierigkeiten fürchten, wenn allzu bekannt wird, dass es sich um eine Villa handelt, die einst Thomas Mann hat bauen lassen.
    Das zu verschweigen und auch niemanden in das Haus zu lassen, hat den Verkäufern nun nichts genutzt: Die deutsche literarische Öffentlichkeit ist aufgeschreckt. Allenthalben ist der Ruf zu hören, das historische Gebäude müsse erhalten bleiben. Die Furcht ist groß, dass ein neuer Käufer das 1941 von den Manns erbaute Haus abreißen könnte.

    Das Interview in voller Länge:
    Dina Netz: Einfamilienhaus, fünf Schlafzimmer, vier Toiletten, Vierfachgarage, 489 Quadratmeter. Klingt sowieso nach einer Luxusimmobilie, aber den Kaufpreis von fast 15 Millionen Dollar, den erklärt die Lage des Hauses. Es ist eine Villa in Pacific Palisades, oberhalb von Los Angeles, der Strand ist nicht weit. Und dass die Villa in der Anzeige nicht mit einem sehr berühmten deutschen Schriftsteller in Verbindung gebracht wird, das hat – so vermutet die "Süddeutsche Zeitung" wohl nicht zu Unrecht – damit zu tun, dass die Besitzer Schwierigkeiten fürchten, wenn allzu bekannt wird, dass es sich um eine Villa handelt, die einst Thomas Mann hat bauen lassen. Das zu verschweigen und auch niemanden in das Haus zu lassen hat dem Verkäufer nun nichts genützt, die deutsche literarische Öffentlichkeit ist aufgeschreckt. Allenthalben ist der Ruf zu hören, das historische Gebäude müsse erhalten bleiben, denn die Manns bauten das Haus 1941, das ist in den USA steinalt, deshalb würde ein neuer Käufer die Villa vielleicht abreißen. Ich habe den Germanisten und Thomas-Mann-Spezialisten Hermann Kurzke gefragt: Von 1941 bis 1952, als er nach Europa zurückkehrte, hat Thomas Mann in dieser Villa gelebt. Was für einen Phase in seinem Leben war diese Exilzeit?
    Hermann Kurzke: Das ist natürlich eine ganz bedeutende Phase, das war die zweite Hälfte des Zweiten Weltkriegs und die Zeit danach, die Zeit also, wo das deutsche Schicksal sich außerordentlich zuspitzte. Und er selbst schrieb dort einen ganzen großen Roman, den Roman "Doktor Faustus", der sich mit Deutschland und dem deutschen Schicksal beschäftigt.
    "Es gibt kein einziges authentisches Thomas-Mann-Haus in öffentlichem Besitz"
    Netz: Sollte denn diese kalifornische Villa der Manns nun erhalten werden und warum?
    Kurzke: Ich persönlich würde mich freuen, wenn das der Fall wäre. Ich glaube, mit den Thomas-Mann-Häusern hat man ja nicht so richtig Glück gehabt. Es gibt eigentlich kein einziges wirklich großes und berühmtes. Es gibt zwar das Buddenbrook-Haus, aber …
    Netz: In Lübeck, genau.
    Kurzke: … im Buddenbrook-Haus in Lübeck ist erstens nichts original, weil das vollständig ausgebrannt war, außer der Fassade, und zweitens hat Thomas Mann darin nie gewohnt. Also, sein Geburtshaus in Lübeck ist abgebrannt, sein Kindheitshaus in Lübeck ist abgebrannt, und dann zog er nach München und das Münchner Haus ist ebenfalls im Krieg so schwer beschädigt worden, dass es nach dem Krieg abgerissen wurde. Es hat übrigens heute ein Liebhaber gekauft, der Thomas Manns Villa wiedererrichten ließ, aber der lässt auch keine Leute rein, der will keine Gedenkstätte. Und wie gesagt, es ist nicht das originale Haus. Und so geht es weiter, wenn man die Häuser durchschaut, es gibt kein einziges authentisches Thomas-Mann-Haus in öffentlichem Besitz. Vielleicht mit Ausnahme des kleinen hölzernen Sommerhauses in Nidden auf der Kurischen Nehrung, das heute von Litauen verwaltet wird und eine recht schöne Gedenkstätte ist.
    Netz: Das wäre ja nun …
    Kurzke: Pacific Palisades, wenn man das wirklich kaufen könnte, das wäre eine großartige Sache. Das wäre typisch für das Exil, es wäre typisch für den Weltbürger Thomas Mann. Man könnte Thomas Mann in Amerika dort zusammenfassen, da gibt es ja Sammlungen, Forscher, Stätten, es gibt nebenan die Villa Aurora, wo Lion Feuchtwanger gelebt hat. Also, man könnte da schon etwas machen, ja, ich fände es schon sehr wünschenswert.
    Netz: Es gibt ja nun diverse Vorschläge, was man genau mit dem Haus machen könnte. Ein Museum, vielleicht eine Stipendiatenvilla. Was genau würden Sie denn dort hineintun?
    Kurzke: Also, man müsste nicht dieses riesige Anwesen komplett zu einer Gedenkstätte machen. Aber wenn die Bundesrepublik zum Beispiel ihr Generalkonsulat in Los Angeles dorthin verlegen würde und sie würde dann eben einige Räume als Gedenkstätte machen, das wäre so ein Gedanke, den man sich machen könnte. Da gibt es bestimmt sehr viele Möglichkeiten. Aber dafür muss man natürlich als Erstes dieses Haus mal von innen sehen.
    Kurzke zweifelt daran, dass die 15 Millionen rechtzeitig über Stiftungen zusammenkämen
    Netz: Das ist im Moment ein Problem, weil die Besitzer niemanden hereinlassen, der nicht nachweisen kann, dass er 15 Millionen Dollar auf dem Konto hat. Sie haben jetzt ganz selbstverständlich immer von der Bundesrepublik als möglichem Käufer gesprochen, Herr Kurzke. Sehen Sie die in der Pflicht, da jetzt zu handeln?
    Kurzke: In der Pflicht möchte ich nicht sagen, aber das ist schon eine Aufgabe von nationalem Rang. Und ob man dieses Geld durch Stiftungen zusammenbrächte, da würde ich eher dran zweifeln, da müsste man erst jahrelang sammeln, bis dahin ist das längst verkauft. Also, wenn dann gilt es hier, tatkräftig und schnell zu handeln. Außerdem muss man ja immer bedenken, wenn man eine kostbare Immobilie kauft, ist das Geld ja nicht vernichtet. Die bleibt ja als Besitz da, theoretisch kann man sie wieder verkaufen, wenn das alles nicht funktioniert, und hat sein Geld wieder. Es gibt natürlich noch das letzte Haus Thomas Manns in Kilchberg, das ist ebenfalls in Privatbesitz, und es gibt das wunderschöne Sommerhaus in Bad Tölz, das auch in Privatbesitz ist. Und überall lassen die Leute niemanden rein. Also, repräsentative Häuser, die für Thomas Mann infrage kommen, stehen glaube ich auf lange Sicht nicht zur Verfügung und deswegen ist Pacific Palisades glaube ich eine einmalige Chance.
    Netz: Ein Appell des Thomas-Mann-Spezialisten Hermann Kurzke für die Rettung der Mann-Villa in Kalifornien für die Öffentlichkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.