Forscher komponieren mit Proteinen

Der Klang von Tränen

08:05 Minuten
Weinendes Auge
Wie klingen Tränen? Der Forscher Markus Buehler macht den Klang von Materie hörbar. © Unsplash / Aliyah Jamous
Von Jennifer Rieger · 11.07.2019
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Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology verwandeln Proteine und ihre Bausteine in Musik, beispielsweise den Klang von Lysozym, das in Tränen vorkommt. Aber die Forscher können auch neue künstliche Eiweißmoleküle buchstäblich komponieren.
Sie säßen auf sehr kleinen Stühlen. Würden Proteine ein Konzert spielen, dann bräuchte das Publikum ein hochauflösendes Mikroskop. Und ihre Klänge wären Besuchern, die klassische Konzerte gewohnt sind, wohl weniger vertraut.
Die Reihenfolge der Aminosäuren ist nur Teil dessen, was die Funktion von Proteinen bestimmt: Die Aminosäureketten falten sich in dreidimensionale Strukturen.

Die Schwingungen der Moleküle

Musikalisch lässt sich das ausdrücken, indem die Aminosäurenklänge mal lauter, mal leiser, mal länger, mal kürzer angespielt werden.
Sonifikation ist kein neues Konzept in der Wissenschaft. Forscherinnen und Forscher haben bereits Klimadaten zum Klingen gebracht, das Magnetfeld der Sonne, Twitter-Trends und den Einkommensunterschied verschiedener Stadtteile von New York. Allerdings werden die Töne den Daten dabei meist künstlich zugeordnet. Markus Buehlers Ansatz ist ein anderer: Er macht den tatsächlichen Klang der Materie hörbar.
"Wenn man ein Chemiebuch aufschlägt, dann sieht man Bilder von Molekülen, die aussehen, als wären sie statisch. Sie wurden gezeichnet und abgedruckt. Aber so sehen sie nicht aus. Sie vibrieren. Moleküle sind ständig in Bewegung."
Und diese Vibrationen lassen sich direkt in Töne übersetzen. Sie müssen allerdings transponiert werden, um für das menschliche Ohr wahrnehmbar zu sein.
"Für mich persönlich war es sehr berührend, das zu hören. Man kann ein Protein nachschlagen, das einen interessiert, vielleicht hat man schon lange daran geforscht – und jetzt kann man es hören. Und man kann mit dem Protein interagieren. Auf dieser Basis neue Klänge und Kompositionen zu kreieren, ist eine außergewöhnliche Erfahrung."

Neue Proteine für biomedizinische Anwendungen

Einige Proteine und typische Sekundärstrukturen erkennt Markus Buehler mittlerweile am Klang. Doch für ihn und sein Team ist die Proteinmusik nicht nur ein neuer Zugang zu ihren Forschungsobjekten – sie kann auch helfen, neue Proteine buchstäblich zu komponieren. Für einen Menschen wäre das schwierig – allein schon, weil unsere Ohren nicht an die 20-tönige Aminosäurenskala gewöhnt sind. Aber eine künstliche Intelligenz ohne musikalische Vorbildung kann die Sprache der Proteine erlernen.
"Wir haben die sonifizierten Daten genommen, die Klänge tausender Proteine und das neuronale Netzwerk damit trainiert. Es erkennt die Muster in den Geräuschen, die verschiedene Proteine machen, und kann sie reproduzieren. So kann es Proteine komponieren, existierende Proteine verändern, und neue kreieren, die die Natur noch nicht erfunden hat."
Die neu komponierten Proteine können die Forscher im Labor herstellen und testen. So hoffen sie, eines Tages neue Proteine mit nützlichen Eigenschaften zu kreieren – zum Beispiel Materialien, die so stabil und elastisch sind wie Spinnenseide.
"Viele dieser Proteine sind interessant für biomedizinische Anwendungen. Wir wollen zum Beispiel Ersatzmaterialien für menschliches Gewebe herstellen. Dafür braucht man eine Plattform, auf der man Zellen wachsen lassen kann. Das Material ist stabil aber auch biokompatibel: Zellen kommunizieren mit diesem Material und sorgen dafür, dass andere Zellen darauf wachsen."
So könnten neu komponierte Proteine zum Beispiel dafür sorgen, dass verletzte Haut, Knochen oder Organe nachwachsen.

Eine Symphonie lebender Materie

Die hörbar gemachten Schwingungen der Materie sind nicht nur ein Designwerkzeug – sie verwandeln Proteine in Musikinstrumente. Zurück also zu unserem Orchester auf seinen winzigen Stühlen.
"Klang nach diesem Prinzip der Vibrationen zu erzeugen, ist ein universelles Konzept mit dem wir Materie beschreiben können."
Sozusagen eine universelle Sprache, die allem Leben innewohnt.

"Wenn wir die Sprache von Spinnen oder Kühen oder anderen Tieren sprechen könnten, könnten wir dann eine Art Sprache durch Klang schaffen, durch die Menschen mit anderen lebenden System interagieren können?"
Wie in diesem Stück mit dem Titel "Grazing Cows, Bells, a Protein and a Waterfall". Markus Buehler kombiniert die Klänge von grasenden Kühen und menschlichen Stimmen mit dem Sound eines Proteins. Eine Symphonie lebender Materie.
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