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Misshandlung von Flüchtlingen
"Wir haben einen Flickenteppich von Asylgesetzen"

Der Präsident des Deutschen Städtetags Ulrich Maly hat einheitliche Standards für den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland gefordert. Es müsse gesetzlich geregelt sein, wie viel Quadratmeter Platz, wie viele Sozialarbeiter, Sicherheitspersonal und sanitäre Anlagen die Länder bereitstellen müssten, forderte Maly im DLF. Nach den Missbrauchsfällen in einigen Unterbringungen nun komplett auf private Sicherheitsdienste zu verzichten, halte er für falsch.

Ulrich Maly im Gespräch mit Bettina Klein | 30.09.2014
    Porträtbild von Ulrich Maly
    Ulrich Maly (SPD) ist Oberbürgermeister von Nürnberg und Präsident des Deutschen Städtetags (picture alliance / dpa/ Daniel Karmann)
    Nachdem bekannt wurde, dass einzelne Flüchtlinge in NRW von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste misshandelt wurden, hatte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sich bestürzt gezeigt. Maly sagte dazu: Private Sicherheitsdienste nun unter Generalverdacht zu stellen, sei falsch. Mit den meisten Unternehmen gebe es eine reibungslose Zusammenarbeit. Oft seien es gerade die Hausmeister und Mitarbeiter der Sicherheitsdienste, die in den Flüchtlingsheimen ein Mindestmaß an Humanität schafften. Menschliche Verfehlungen Einzelner könnten niemals ausgeschlossen werden.
    Für die Polizei der jeweiligen Länder sei es nicht möglich, in den Flüchtlingsheimen für Sicherheit zu sorgen, da den Ländern hierfür Personal und Geld fehle. "Viele von uns laufen im Krisenmodus", sagte Maly. Er forderte mehr Geld vom Bund für die Unterbringung der Flüchtlinge.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Die Grünen mahnen seit Wochen öffentlich, sich mehr um die Flüchtlinge auch hier in Deutschland zu kümmern, und die jüngsten Vorfälle, so meinen sie, geben ihnen eigentlich Recht. Sie fordern nun einen Gipfel, der sich mit dem Thema auseinandersetzt.
    Am Telefon begrüße ich Ulrich Maly, er ist der Präsident des Deutschen Städtetages. Guten Morgen.
    Ulrich Maly: Guten Morgen, Frau Klein.
    "Es ist falsch, jetzt alle unter Generalverdacht zu stellen"
    Klein: Herr Maly, was ist, spontan gesagt, Ihre Konsequenz? Schluss mit den privaten Dienstleistern in dem Bereich?
    Maly: Nein. Ich glaube, es ist falsch, jetzt alle unter Generalverdacht zu stellen. Das, was da passiert ist, ist unentschuldbar. Ich finde es eklig und widerwärtig und die Menschen müssen auch durch die Justiz zur Verantwortung gezogen werden. Aber wir haben auch ganz andere Erfahrungen.
    Es gibt erstens nicht in jeder Einrichtung einen Sicherheitsdienst, meistens nur in den sehr großen, und oft sind es gerade die Hausmeister und die Kollegen der Sicherheitsdienste, die noch ein Mindestmaß an Humanität in die Einrichtungen bringen, weil wir natürlich überall unterbesetzt sind.
    Ich will die Vorfälle nicht verharmlosen, das ist schrecklich, aber ich denke, man sollte nicht alle Menschen, die jetzt in Asylbewerber-Unterkünften sind, unter Generalverdacht stellen. Das wäre falsch.
    "Natürlich muss das kontrolliert werden"
    Klein: Herr Maly, wir haben uns ja verabredet für das Interview, weil es diese schrecklichen Vorfälle gegeben hat und ganz Deutschland jetzt darüber diskutiert, wie das in Zukunft verhindert werden kann und wie es überhaupt dazu kommen konnte, denn das ist ja erst mal der erste Schritt, um sicherzustellen, dass sich das nicht mehr wiederholt.
    Wir haben gerade den Verband der Sicherheitswirtschaft hören können. Für den liegt die Verantwortung ganz klar bei den Behörden, die versäumt haben, dort Kontrollen durchzuführen. Sehen Sie das auch so?
    Maly: Natürlich muss das kontrolliert werden, das ist überhaupt keine Frage. Die Dienste selbst werden kontrolliert, die einzelnen Mitarbeiter werden kontrolliert und auch der Einsatz vor Ort ist für die Behörden nicht zu Ende, wenn die Unterkunft eingerichtet ist und drei Securities vor der Tür stehen, sondern es ist schon Verantwortung, in dem Fall des Bundeslandes, manchmal auch der Kommunen, sich dort umzugucken und zu schauen, ob unser Anspruch an menschenwürdige Unterbringung auch entsprechend erfüllt ist.
    Da gibt es eine Kontrollpflicht, eine Verantwortung der Behörden.
    Maly: Kontrollen schützen nicht vor individuellen Verfehlungen
    Klein: Aber die ist offensichtlich nicht durchgeführt worden, denn man hat von diesen Leuten ja keine polizeilichen Führungszeugnisse angefordert und man hat auch nicht auf bestimmte Standards gedrungen, die nun im Nachgang zu dieser Geschichte ja erst eingefordert werden. Wie kann es denn dazu kommen, dass das vorher nicht passiert ist?
    Maly: Das müssten wir die zuständigen Behörden fragen. Das ist alles schon gesetzlich geregelt. Jeder Mitarbeiter, der bei einem Sicherheitsdienst tätig ist, muss sein Führungszeugnis vorlegen und die zuständige Ordnungsbehörde muss das kontrollieren. Der Dienst selber wird durchgecheckt bei uns in regelmäßigen Abständen.
    Das schützt Sie aber nicht vor individuellen Verfehlungen. Vor den individuellen Verfehlungen kann man sich nur bedingt schützen, aber besonders dadurch, dass man als zuständige Behörde in die Einrichtungen dann auch reingeht und die nicht sich selbst überlässt.
    Maly: Bundesweite Mindeststandards bei der Unterbringung erforderlich
    Klein: Experten kritisieren jetzt allerdings auch, unter anderem Kay Wendel. Der hat im Auftrag von Pro Asyl eine umfangreiche Studie zur Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland veröffentlicht. Er sagt zum Beispiel, es ist das Versagen der Landesregierung, Mindeststandards verbindlich einzuführen für diese privaten Betreiber und ihre Subunternehmen.
    Also muss da ganz klar nachgebessert werden und ganz klar dafür gesorgt werden, dass diese Standards auch eingeführt werden?
    Maly: Das wäre sicher hilfreich, aber nicht nur in einem Bundesland, sondern in allen Bundesländern, dass man für die Unterbringung von Asylbewerbern, auch für deren Sozialbetreuung, auch für die Frage der Beschulung und der Gesundheitsbehandlung Mindeststandards einführt, die dann auch für alle verbindlich sind.
    Wir haben im Moment einen Fleckenteppich von 16 verschiedenen Asylausführungsgesetzen, die komplett unterschiedlich sind. Sie sind in Nordrhein-Westfalen ganz anders unterwegs als in Bayern und bei uns wieder anders als in Schleswig-Holstein.
    Die Menschen haben aber alle den gleichen Flüchtlingsstatus; insofern spräche viel dafür, dass Bundesländer gemeinsam mit dem Bund, der wieder Verantwortung fürs Asylbewerber-Leistungsgesetz trägt, sich Gedanken machen, was ist eigentlich unsere Mindestanforderung an Humanität, denn das steckt letztlich dahinter.
    Klein: Die Unterbringung wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Jeder macht es irgendwie so, wie er oder sie möchte. Welche Gesetzesänderung wäre Ihrer Meinung nach zum Beispiel notwendig, um dem abzuhelfen, um da eine größere Vereinheitlichung in der Frage herbeizuführen?
    Maly: Ich denke, die Bundesländer müssen sich auf klassische Standards verständigen, wie viele Quadratmeter, welche Unterbringungen gelten für Familien, wie viele Sanitäreinrichtungen, wie viele Sozialarbeiter pro 100 oder 150 Asylbewerber, wie schnell muss ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling beschult werden.
    All diese Dinge sind höchst unterschiedlich und es wäre sicherlich wichtig und richtig, das auch zu regeln. Das muss nicht unbedingt durch ein Gesetz geschehen; es langt, wenn sich die Innenminister verständigen und man das dann auch tatsächlich in ganz Deutschland gleich umsetzt.
    Klein: Was die Kontrolle der Mitarbeiter zum Beispiel von Subunternehmen angeht, wo Experten sagen, es ist schon öfter mal aufgefallen, dass im Wachschutz Neonazis angestellt wurden und auch Leute, die eine Geschichte als Gewalttäter haben. Haben Sie einen konkreten Vorschlag, wie in Zukunft sichergestellt werden kann, dass bei Städten und Kommunen so was nicht mehr vorkommt?
    Maly: Wenn man die bestehenden Regeln einhält, Frau Klein, dann darf es eigentlich nicht vorkommen. Dies ist aber offensichtlich hier nicht geschehen. Insofern rufe ich da jetzt gar nicht nach neuen Gesetzen, sondern es geht schlicht darum, dass das, was als Standard gilt für die Überwachung solcher Unternehmen, auch vernünftig umgesetzt wird.
    Zwei Sicherheitsleute misshandeln in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach (Nordrhein-Westfalen) einen am Boden liegenden Flüchtling.
    Dieses von der Polizei NRW zur Verfügung gestellte Bild zeigt zwei Sicherheitsleute in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach und einen am Boden liegenden Flüchtling. (picture-alliance / dpa / Polizei Hagen)
    "Man wird nicht in jedem Fall auf Sicherheitsdienste verzichten können"
    Klein: Der Regierungsbezirk Arnsberg etwa hat nun gesagt, was er alles anders und besser machen möchte. Das heißt, es galten ja dort offensichtlich Standards nicht gesetzlich zumindest; sonst wäre ja ganz klar, dass Leute dort sich eines Gesetzesverstoßes schuldig gemacht haben.
    Maly: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich die Regelungen in Nordrhein-Westfalen nicht im Einzelnen kenne. Aber ich gehe davon aus, dass es dort auch zuständige Menschen gibt und geregelte Prozessabläufe für die Frage von Sicherheitsunternehmen. In dem Einspieler vorher haben wir ja auch gehört, dass die Landesregierung einräumt, dass es hier Versäumnisse gibt.
    Insofern gilt, diese Versäumnisse abzustellen. Das ist, denke ich, sicher richtig. Man wird nicht in jedem Fall auf Sicherheitsdienste verzichten können. Wir in Nürnberg zum Beispiel haben keinen in unseren Einrichtungen. Aber in den großen Einrichtungen braucht es das manchmal. Und noch mal: Es gibt auch sehr gute Erfahrungen. Es ist die Frage, Sicherheitsdienst ja oder nein, nicht entscheidend, sondern es ist eher die Frage entscheidend, welcher Sicherheitsdienst mit welcher Qualität und mit welcher Überwachung wird dort eingesetzt.
    Klein: Wie groß ist denn Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass gerade in der Situation jetzt, wo sehr, sehr viele Menschen als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sich so etwas auch andernorts wiederholen kann?
    Maly: Ich denke, dass der Vorfall uns alle jetzt dazu bringt, noch genauer hinzugucken. Ganz ausschließen kann man menschliche Verfehlungen nie, aber ich hoffe schon, dass es den Behörden insgesamt gelingt, diesen Anspruch an Humanität, der gegenüber den Flüchtlingen ja ganz besonders gelten muss, bei der Geschichte, die die hinter sich gebracht haben, den auch wirklich flächendeckend umzusetzen.
    "Viele von uns laufen im Krisenmodus"
    Klein: Leiten Sie daraus jetzt eigentlich weitere Forderungen aus Sicht der Städte und Gemeinden ab, denn die haben ja seit Wochen sich darüber beklagt, dass sie mit den vielen Menschen, die nach Deutschland kommen, im Grunde genommen überfordert sind?
    Maly: Nein, wir leiten keine zusätzlichen Forderungen ab. Wir haben vor zwei Wochen in Münster gesagt, was wir brauchen, nämlich eine Renovierung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes, mehr Geld, mehr Personalressourcen auch bei den zuständigen staatlichen Behörden. Das ist leider nicht anders zu lösen.
    Viele von uns laufen im Krisenmodus im Moment, was die Unterbringung von Asylbewerbern anbelangt. Darum herumzureden, wäre sich in die Tasche gelogen. Deswegen müssen Bund, Länder und Gemeinden gemeinschaftlich an diesem großen gesellschaftlichen Auftrag, ein Land zu sein, das Asylbewerbern Schutz bietet, arbeiten.
    Maly: Bestehende Gesetze müssen eingehalten werden
    Klein: Würden Sie auch so viel Geld fordern, dass man diese hoheitlichen Aufgaben, wie jetzt zum Beispiel auch die Deutsche Polizeigewerkschaft beklagt, in Zukunft auch wieder von staatlichen Stellen durchführen lässt und dann nicht private Firmen engagieren muss?
    Maly: Ich sage es noch mal: Ich würde jetzt die privaten Firmen an der Stelle nicht unter Generalverdacht stellen. In vielen, vielen Fällen klappt das gut und sind die Menschen auch wirklich mit humanitärem Anspruch im Einsatz. Man kann aus so einer einzelnen Verfehlung, die fürchterlich ist, ohne jeden Zweifel, nicht immer gleich den Ruf nach neuen Gesetzen oder so ableiten, denn dort ist gegen Gesetze, die es bereits gibt, verstoßen worden.
    Es geht darum, die bestehenden einzuhalten. Es wird die unterschiedlichsten Formen der Betreuung dort geben. Ganz oft ersetzt eine gute Sozialarbeit jeden Sicherheitsdienst, das ist mir immer die liebste Variante, und dort, wo Sicherheitsdienste notwendig sind, um auch die Einrichtungen selber vor möglichen Übergriffen von außen zu schützen - das ist ja auch noch eine Dimension der Sicherheit -, da wird man auf die nicht verzichten können. Schön wäre es, wenn all diese Dinge die jeweilige Landespolizei erledigen könnte, aber ich mache mir da auch keine Illusionen.
    Klein: Ulrich Maly, der Präsident des Deutschen Städtetages, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk zu den nötigen Konsequenzen nach den Misshandlungen von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Maly.
    Maly: Bitte schön, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.