Forsa-Chef erwartet hohe Wahlbeteiligung bei Erstwählern

Manfred Güllner im Gespräch mit Ute Welty · 29.08.2013
Die Wahlbeteiligung der Erstwähler war bei vergangenen Wahlen immer hoch, sagt der Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner. Am Anfang überwiege die Neugier. Zweitwähler hingegen seien von der Politik enttäuscht und enthalten sich eher.
Ute Welty: Es ist einer der Termine, die ihm liegen dürften – Bundespräsident Joachim Gauck trifft heute Vormittag diejenigen, die am 22. September zum ersten Mal wählen dürfen, und man muss kein Prophet sein, um sich vorstellen zu können, mit welchem Enthusiasmus Gauck von der Errungenschaft des Wählens sprechen wird, und vielleicht wird er auch von seinem ersten Mal berichten. Nur gut möglich, dass seine Botschaft gar nicht ankommt, denn Erstwähler sind sehr schnell auch Nichtwähler und auf jeden Fall Forschungsobjekt für den Demoskopen Manfred Güllner, der das Forsa-Institut leitet. Guten Morgen!

Manfred Güllner: Ja, schönen guten Morgen!

Welty: Auf was für Menschen muss sich der Bundespräsident heute früh um zehn einstellen? Würden die ihn unter normalen Umständen überhaupt erkennen, auf der Straße?

Güllner: Man darf das nicht unterschätzen oder auch hier Mythen verbreiten, so als ob die Erstwähler nun völlig desinteressiert wären an dem, was in ihrer Gemeinde, was in Deutschland und was in der Welt passiert. Die sind durchaus interessiert. Und es ist ja auch so, wenn man an Wahlen denkt, dass die Erstwähler, solange es im demokratischen Deutschland Wahlen gab, immer häufiger zur Wahl gegangen sind als die Zweitwähler, also, die dann zum zweiten Mal wählen können. Das war auch 2009 nicht anders, wo die Wahlbeteiligung bei den Erstwählern deutlich höher war als bei der nachfolgenden Altersgruppe.

Welty: Ich habe gelernt, dass die Wahlbeteiligung der Erstwähler bei 65 Prozent lag, während sie im Durchschnitt bei rund 71 Prozent lag.

Güllner: Das ist richtig, dass die Jungen natürlich weniger als der Durchschnitt wählen, aber bei den Zweitwählern, da lag die Wahlbeteiligung deutlich unter 60 Prozent, bei 58 und etwas Prozent. Also hier noch ein Sprung, der dann erst gemacht worden ist, nachdem man einmal noch zur Wahl gegangen ist, weil man das doch ganz interessant fand, weil man ein bisschen Neugierde hatte. Zum Teil natürlich auch, weil die Erstwähler noch im Elternhaus wohnen und dann vom Haushalt mitgenommen werden. Also das ist diese Differenz zwischen Erst- und Zweitwählern, die zieht sich durch seit allen Wahlen in der Bundesrepublik.

Welty: Der Reiz des Neuen hält also kein zweites Mal?

Güllner: Ja, was dann kommt, ist natürlich das, was auch manche Menschen in die Wahlenthaltung treibt, dass man doch enttäuscht ist von der Politik. Und das ist ja das, was uns wiederum diejenigen sagen, die nicht mehr zur Wahl gehen, dass sie die Politik nicht mehr verstehen, dass die eine Sprache hat, die unverständlich ist, und dass man sich nicht mehr aufgehoben fühlt in dem, was die Politik macht. Das ist einer der größten Vorwürfe. Man wird also, wenn man jetzt aus einer gewissen Euphorie zum ersten Mal gewählt hat, von der Politik enttäuscht.

Welty: Es handelt sich ja um eine nicht ganz kleine Zahl: Drei Millionen Deutsche dürfen eben am 22. September zum ersten Mal ihre Stimme abgeben. Wie viele von denen werden das dann tatsächlich auch tun? Sind das wieder um die 65 Prozent oder rechnen Sie mit einer noch schlechteren Wahlbeteiligung an dieser Stelle?

Güllner: Das ist immer schwer einzuschätzen, weil ja – das ist ja auch das Interessante, dass sich Nichtwähler eigentlich nicht als Nichtwähler fühlen, sondern uns sagen, eigentlich sind wir Wähler, eigentlich möchten wir wählen. Wir sind quasi Wähler auf Urlaub, wir können nur im Augenblick nicht wählen. Und deshalb sagt man sich selbst nicht, dass man nicht zur Wahl geht, und das sagt man dann unseren Interviewern auch nicht. Und deswegen können wir die Wahlbeteiligung so schwer vor einer Wahl mit Hilfe von Umfragen messen. Es sagen uns Leute, darunter natürlich auch die Erstwähler, ich will Partei A, B, C oder D oder E wählen, aber man sagt uns nicht, dass man nicht zur Wahl geht.

Welty: Das ist ja eigentlich gemein, oder?

Güllner: Na gut, also …

Welty: Also für den Demoskopen.

Güllner: Wir haben das schon 1970 festgestellt, wo wir wirklich aus den Wählerverzeichnissen Nichtwähler herausschreiben durften damals noch, und da hat die Hälfte derer, die tatsächlich nicht zur Wahl gegangen sind, uns nachher gesagt, man hätte gewählt. Das heißt, man hat sich auch damals schon eher als Wähler gefühlt, nur die Politik macht das dann vielen schwer, zur Wahl zu gehen.

Welty: Schämt man sich auch ein bisschen?

Güllner: Das glaube ich eigentlich nicht. Man hält die Wahl schon für wichtig, und das ist ja auch interessant: Wenn wir auch die Wähler, Nichtwähler und die Erstwähler fragen, ist es eigentlich unwichtig, wer die Wahl gewinnt, dann sagen sie nein, das ist nicht unwichtig, das bestimmt auch unseren Alltag. Also man ist sich schon der Bedeutung der Wahlen bewusst.

Welty: Jetzt tritt ja eine Partei bei dieser Wahl an, die versucht, diese Klientel abzufischen, nämlich die Partei der Nichtwähler. Kann man so aus der Not eine Tugend machen?

Güllner: Nein. Ich glaube, das ist mehr eine Spielerei, und das durchschauen auch diejenigen, die Unmut über die politischen Akteure haben, und die greifen jetzt nicht nach dem Strohhalm einer solchen Partei, sondern die – es wird eine andere Hülle gewählt, die Piraten zum Beispiel haben ja bei den vier Landtagswahlen, wo sie in die Landtage gekommen sind, davon profitiert, von diesem Unmut. Sie waren quasi eine solche Hülle für Unzufriedenheit.

Welty: Sind die Piraten eine Adresse für Erstwähler?

Güllner: Ja. Das können wir deutlich sehen. Vor allen Dingen für die männlichen. Die Piraten sind ja, wie etwa die Linke, die FDP, aber auch die AfD eher eine Partei für Männer, und zwar die der jungen Männer. Und bei den Erstwählern haben die Piraten eine sehr hohe Sympathie.

Welty: Welche Chancen haben die etablierten Parteien, das Potenzial der Erstwähler für sich abzuschöpfen, und was müssen sie dafür tun?

Güllner: Es ist ja so, dass ein Teil, das hatten wir ja schon angesprochen, der Erstwähler noch bei den Eltern wohnen, und da überträgt sich teilweise die Parteipräferenz des Haushaltes, sodass auch die etablierten Parteien, auch die beiden großen Parteien, durchaus von einem Teil der Erstwähler gewählt werden.

Welty: Warum gibt es da nicht mehr Widerspruch? Also, normalerweise sagt man doch, also ich mach alles so, aber auf gar keinen Fall so, wie meine Eltern.

Güllner: Ja gut, das ist immer ein Widerspruchsgeist, der sicherlich da ist, aber man macht ja nicht alles anders, nicht, und beim Wahlverhalten wird sich bei einem Teil der Erstwähler zumindest überträgt sich die politische Haltung der Eltern auch auf die Kinder.

Welty: Was der Bundespräsident über Erstwähler schon immer wissen wollte, wenn er sich heute mit ihnen trifft oder bevor er sich heute mit ihnen trifft – Forsa-Chef Manfred Güllner packt aus. Ich danke für diesen demoskopischen und sonstigen Weitblick!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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