Formstark, aber blutarm

Von Christoph Leibold · 18.03.2009
Der Stoff stammt aus der Antike. Hans-Ulrich Becker hat die Tragödie für das Münchner Cuvilliés-Theater neu inszeniert. Seine Andromache ist zerrissen zwischen Stolz und verzweifelter Mutterliebe, sein Pyrrhus ein Kriegsmüder, gebrochener Held. Zwei tolle Schauspieler, aber kein voller Erfolg.
Der Stoff stammt aus der Antike, das Stück aus dem französischen Klassizismus: 1667 schrieb Jean Racine die Tragödie "Andromache" - bei der Uraufführung sein erster großer Erfolg, heute – zumindest in Deutschland - eher selten gespielt. Im Münchner Cuvilliés-Theater steht das Stück nun wieder einmal auf dem Spielplan, inszeniert von Hans-Ulrich Becker, formstark aber blutarm.

Racines Figuren sind Gefühlsextremisten. Sie kennen nur heiß oder eiskalt. Lauwarm gibt es nicht. Sie lieben mit Leidenschaft, und wo ihre Liebe nicht erwidert wird, schlägt sie in Hass um. "Wo mein Herz nicht lieben darf, da kann es nur noch hassen", sagt Pyrrhus, der König von Epirus, nachdem Andromache seine Liebe abgewiesen hat. Ganz ähnlich hört sich das bei Hermione an, die ihrerseits Pyrrhus vergeblich liebt: "Ich liebte ihn zu sehr, drum muss ich ihn jetzt hassen."

Pyrrhus hat im trojanischen Krieg den Prinzen Hektor erschlagen. Nun wirbt er ausgerechnet um dessen Witwe Andromache, die seine Gefangene ist. Die Griechen wollen Andromache den Sohn wegnehmen, um mit ihm Hektors Sippe vollends auszulöschen. Nun versucht Pyrrhus seine Gefangene zu erpressen: erwidert sie seine Zuneigung, rettet er ihren Sohn. Andernfalls liefert er den Knaben ans Messer.

So radikal Racine seine Figuren ihre Leidenschaften ausleben lässt, so rational hat er sein Stück gestaltet: kühl konstruiert, keine Emotion bleibt unausgesprochen, kein Gefühl geheim. Doch wo Emotionen restlos erklärbar sind, fehlt ihnen das, was sie ausmacht: das irrationale Moment.

Hans-Ulrich Becker folgt in seiner Inszenierung der klaren Linie Racines. Ein riesiger Knochenberg erhebt sich auf der Bühne des Münchner Cuvilliés-Theaters – plakatives Sinnbild für eine Welt nach dem Krieg. Dazu sorgsam, sinnträchtig im Raum positionierte Darsteller und oft gleißendes Licht - als sollte das Stück bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet werden. Doch wo es keine Geheimnisse gibt, lässt sich kaum Licht ins Dunkel bringen. Vielmehr tritt die Geheimnislosigkeit des Stücks noch deutlicher zu Tage.

So wird - was bei Racine schon deutlich genug ist – bei Hans-Ulrich Becker oft überdeutlich, und damit letztlich uninteressant. Immerhin: Ulrike Arnold und Stefan Hunstein sorgen für intensive Momente. Ihre Andromache: eine tragisch Zerrissene zwischen Stolz und verzweifelter Mutterliebe. Sein Pyrrhus: ein Kriegsmüder, gebrochener Held. Zwei tolle Schauspieler, aber kein voller Erfolg.