Formenvielfalt der Natur

Von Gregor Ziolkowski · 17.06.2008
Das Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid zeigt Werke des vor 25 Jahren gestorbenen Künstlers Joan Miró. Der Titel dieser Werkschau lautet "Miró: Erde".
"Erde" – das ist in dieser Ausstellung ein überaus weit gefasster Begriff. Er meint zunächst tatsächlich ein Stück Erde, jenes Landgut Mont-roig in der Nähe von Tarragona, das der Familie Mirós gehörte und auf dem 1918 die ersten Landschaftsgemälde des 25-Jährigen entstehen, die eine dezidiert eigene Handschrift erkennen lassen. "Detaillistisch" hat diese Bilder später ein Kritiker genannt, und in der Tat sind sie lustvoll inspiriert von der Formenvielfalt der Natur.

Und man sieht einen Miró am Werk, der sich geradezu besessen um die Feinheiten an Zweigen, Blättern, Blüten kümmert, eine enorme Bildtiefe herstellt und gleichsam eine Verbindung sucht zu den Landschaftsbildern früherer Jahrhunderte. Über Jahrzehnte hin sollte Miró immer wieder auf dieses Landgut zurückkehren für lange Arbeitsaufenthalte.

"Erde", das sind aber auch die Materialien, mit denen der späte Miró arbeitet: Granit, Ton oder Holz, Sand, selbst Teer sind Stoffe, die der Künstler verwendet. Auf diesem späten, bis zu dieser Ausstellung weniger bekannten und regelrecht unterbewerteten Miró liegt denn auch der inhaltliche Akzent dieser Ausstellung, wie Tomás Llorens, der Kurator, unterstreicht.

T. Llorens: "Das Spätwerk ist die Krönung der Entwicklung seiner Poetik. Und das ist nicht anders als bei Picasso, Tizian oder Michelangelo."

"Erde" – das meint aber auch ein Ausstellungskonzept, das den fast zum Klischee geronnenen Maler der Sonnen und Sterne, den überaus dekorativen Spieler mit Linien und Farben, den geradezu naiv anmutenden Arrangeur von Symbolen rehabilitieren, ihn wieder "erden" will, wie Guillermo Solana, der Chefkustos des Museums, betont.

G. Solana: "Wir sind sehr gewöhnt, vielleicht zu sehr gewöhnt an den Miró der "Konstellationen"-Serie, an den luftigen und himmlischen Miró, an den etwas immateriellen, vor allem den musikalischen Miró, an den Miró der Nacht, den Miró der Vögel und der Sterne. Aber es gibt auch einen anderen Miró."

Mit knapp 70 Arbeiten aus allen Schaffensphasen geht die Ausstellung hochkonzentriert auf die Suche nach jenem "anderen" Miró. Und findet ihn etwa um 1923/24, als er – nach mehreren längeren Paris-Aufenthalten – erneut ein Landschaftsbild malt: "Bestelltes Land". Völlig befreit ist die Komposition, die eigentliche Landschaft ist eine weizengelbe Farbfläche, auf der sich Elemente des Ländlichen finden – Tiere, die wie Fabelwesen anmuten, stilisierte Bäume, ein Menschenohr, das die Geräuschkulisse dieser Landschaft aufzunehmen scheint.

Die sieben Abteilungen dieser Ausstellung zeichnen solche Bruchpunkte in Mirós Schaffen jeweils nach. Sichtbar wird ein Künstler, der jähe Wendungen vollzogen hat. Der Mitte der 20er Jahre nur noch die Linie und flächige Farbelemente gelten lassen wollte. Der Ende der 20er Jahre gar vom "Töten der Malerei" sprach und sich der Collage zuwandte. Der zurückkehrte zur Leinwand mit seinen von ihm so genannten "wilden Bildern" in dunklen, unterirdisch wirkenden Tönen, die von monströsen Wesen beherrscht werden. Oder die in stechenden Farben jenen Weltenbrand anzukündigen schienen, der in Form des Weltkrieges dann auch ausbrach. Der eine erneute Malkrise durchlebte und sich der Keramik zuwandte oder dem Stein, der Skulpturen mit Tierknochen, Fischernetzen, Sackleinen oder Seilen versah. Der immer wieder zurückfand zur Leinwand, aber gleichsam in einem beständigen Kampf mit ihr blieb, wie sein Enkel, Joan Punyet Miró, sich an eine Szene von 1973 erinnert.

J. Punyet Miró: "”Er hat fünf gerade fertiggestellte Bilder in einem riesigen Raum auf dem Boden ausgebreitet und sie mit Benzin übergossen. Dazu hatte er einen Wassereimer und einen Besen bereitstehen, um das Brennen der Leinwände kontrollieren zu können. Ich habe mich lange gefragt, was er mit diesem Ritual ausdrücken wollte. Und ich denke, er wollte demonstrieren, dass diese zerstörerische Gewalt für ihn mit Kreativität verbunden war und dass diese Verbindung ihn lebendig hielt. Er hat damit all jenen, die da meinten, der Surrealist Miró sei ein lebender Leichnam von 80 Jahren, gezeigt, dass er lebendiger war denn je.""

"Zyklen" ist die letzte Abteilung dieser Ausstellung überschrieben, und sie zeigt einen Künstler, der die Materialien ergründet und alle denkbaren Elemente einsetzt, um über Vergänglichkeit und Erneuerung zu reflektieren. Zum Ende seines Lebens hin, so wird berichtet, hat sich Miró eine Welt vorgestellt, in der die Kunst wieder ein kollektiver Prozess und der Künstler wieder ein namenloser Mensch sein würde.