Folgen der digitalen Überflutung

03.12.2009
"FAZ"-Mitherausgeber Frank Schirrmacher hat mit "Payback" ein Buch über die Folgen der digitalen Überflutung geschrieben. Dadurch besteht seiner Ansicht nach sogar die Gefahr, dauerhafte Hirnschädigungen davonzutragen.
"Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt." Dieses Sprichwort trifft uneingeschränkt auf die Lektüre von Frank Schirrmachers aktuellem Buch zu. Oder anders gesagt: Wer am Ende noch die lesenswerten Vorschläge des "FAZ"-Mitherausgebers zum Umgang mit digitaler Technik zur Kenntnis nehmen möchte, muss sich zuvor durch über 200 Seiten Untergangsrhetorik kämpfen, die nur wenig Anregendes bietet.

Im ersten Teil seines Buches beschreibt Frank Schirrmacher die negativen Einflüsse von Computern und Mobiltelefonen auf den Menschen und wie uns diese deformieren. Während er dabei anfangs noch über seine eigenen Erfahrungen spricht, generalisiert er recht bald und stellt klar: "Wir" alle sind betroffen. Ob "wir" das selbst so sehen, fragt er nicht. Wir alle sind Informationsüberladende, deren Aufmerksamkeit aufgefressen und deren geistige Fähigkeiten dezimiert werden und die drauf und dran sind, sich der Technik auszuliefern.

Als unsichtbare Gesetze, die all das im Hintergrund bewirken, hat der Autor drei Ideologien identifiziert, die uns in Gestalt einer Lebenspraxis dominieren: Taylorismus, Marxismus und Darwinismus. Taylorismus steht für eine Idee, die die Menschen dem Takt der Maschinen unterwirft und sie im digitalen Zeitalter zu Multitasking zwingt, zum ständigen Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Prozessen (wie E-Mail schreiben oder SMS beantworten), um diesen möglichst gleichzeitig gerecht zu werden.

Den Marxismus setzt Frank Schirrmacher als Synonym für die Kostenloskultur und sich selbst ausbeutende Mikroarbeiter im Internet. Der Darwinismus schließlich kommt insofern zum Tragen, als dass derjenige Vorteile hat, welcher der Bestinformierte ist.

Die Folgen dieser Dynamik schildert Frank Schirrmacher wenig überzeugend. Ausgehend von seiner Befürchtung (die vermutlich fast so alt ist, wie die Menschheit selbst), dass der Mensch durch die neue Technik diesmal nun wirklich Schaden nimmt, sammelt er Indizien, um seine These immer wieder neu zu belegen. Das ist redundant, teilweise belässt er es bei Behauptungen, Gegenargumente kommen nicht ins Spiel.

Dass amerikanische College-Studenten zum Beispiel immer weniger in der Lage sind, komplexe Texte zu lesen, ist für ihn ein Beweis für die Veränderung aller Gehirne. Wir geben das Denken nach außen ab, meint Frank Schirrmacher, kapitulieren vor der Fülle an Informationen. Schlüssige Argumente bleibt er schuldig.

Sogar die aktuelle Finanzkrise führt der Autor darauf zurück, dass der Mensch blind Computern vertraut. Dass es vielleicht blinde Profitgier gewesen sein könnte, die das System zusammenbrechen ließ – davon kein Wort. Denn Computer, soviel steht fest, führen zur Unterhöhlung der geistigen Kontrolle.

Glücklicherweise widerspricht sich der Autor im zweiten Teil seines Buches. Er konstatiert: Nicht die Maschine, sondern die Konditionierung von Menschen ist es, die Schwierigkeiten hervorruft. Er fordert einen Perspektivwechsel im Blick auf die neuen Technologien und traut den Menschen nun auch zu, dass ihnen dieses Umdenken gelingt.

Das Potenzial von Computern und Internet hält er für nur unzulänglich erkannt: nämlich, dass es Medien sind, mit denen die Menschen selbst produzieren können und die mehr denn je eigenständiges Denken befördern.

Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die Eindimensionalität des Lernens an Schulen und Universitäten. Sein Fazit: Da Informationen nun von Computern gespeichert werden und immer verfügbar sind, kann es nicht mehr ums Einprägen von Informationen gehen, sondern darum, diese und die Technik kreativ zu nutzen. Die Lerndisziplinierungen der Vergangenheit wieder zu verlernen, den Konflikt zwischen verstaubter Lehre und neuen Kommunikationsformen auszutragen - das ist die kognitive Krise, in der wir heute stecken, resümiert Frank Schirrmacher zu Recht.

Hier wird sein Buch auf den letzten 20 Seiten doch noch spannend und zukunftsweisend. Tröstlich auch, dass sich zumindest für den Autor die kognitive Krise dem Ende zuzuneigen scheint. Auf den letzten Seiten wird ihm plötzlich mit versöhnlichen Worten der Nutzwert seines Computers bewusst. Er stellt fest: "Nie wieder Wegbeschreibungen geben, heißt mehr Zeit haben." Der Leser nimmt es mit Erleichterung zur Kenntnis.

Besprochen von Vera Linß

Frank Schirrmacher: Payback
Blessing 2009, 240 Seiten, 17,95 Euro
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