Flügelkämpfe und Coronakrise

AfD im Abwärtstrend

07:22 Minuten
Björn Höcke spricht bei einer Pressekonferenz im Landtag.
Politisch in der Defensive: Björn Höcke, Thüringer AfD-Fraktionschef, präsentiert ein Positionspapier zur Coronakrise. © picture alliance / dpa / Michael Reichel
Von Henry Bernhard · 04.05.2020
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Interne Machtkämpfe und die Coronakrise haben den Höhenflug der AfD gestoppt. Nun treten die Schwächen der rechtspopulistischen Partei offen zu Tage: das ungeklärte Verhältnis zum rechten Rand, Chaos an der Spitze und fehlende politische Konzepte.
Ein aktuelles Video zeigt Björn Höcke vor dem Kyffhäuserdenkmal im Norden Thüringens. Der Rechtsaußen der AfD fühlt sich dem wilhelminischen Trumm sehr verbunden.

"Der Geist des Flügels wird lebendig sein"

"Jetzt stehe ich das letzte Mal vor euch als Vertreter des Flügels", sagt er. "Und ein wenig Wehmut überkommt mich ja jetzt schon. Das gebe ich gerne zu. Der Flügel wird jetzt bald Geschichte sein, aber der Geist des Flügels, der wird lebendig sein in dieser AfD. Halten wir an diesem Geist fest! Wir sind Willens und in der Lage, diese unsere AfD zur einzigen relevanten Volkspartei in Deutschland zu machen."
Seit dem 30. April soll es offiziell vorbei sein mit dem Flügel. So hat es der Bundesvorstand im März beschlossen. Deshalb das Abschlussvideo. Aber ist es wirklich vorbei mit dem Flügel, den der Verfassungsschutz wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe beobachtet?
Höcke selbst relativierte den Beschluss im Gespräch mit dem neurechten Netzwerk "Ein Prozent": "Ich kann ihn nicht auflösen, weil er niemals formalisiert war. Von daher sind mir die Hände gebunden, als ich nichts auflösen kann."

Vorläufiger Höhepunkt im innerparteilichen Machtkampf

Die Auflösung des Flügels ist der vorläufige Höhepunkt im innerparteilichen Machtkampf zwischen rechtsradikalen und moderaten Kräften in der AfD. Ein Machtkampf, der durch den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Partei lange übertüncht wurde. Doch damit scheint es vorerst vorbei.
Bundesweit ist die AfD in den letzten Wochen in Umfragen von 14 auf 9 bis 10 Prozent abgestürzt. Gemäßigte Kräfte wie Sebastian Thieler, bis vor kurzem Fraktionschef der AfD im thüringischen Ilmkreis, haben sich inzwischen zurückgezogen.
"Das hat was mit einer für mich nicht ausreichenden klaren Abgrenzung in die extremistischen Bereiche zu tun", sagt er. "Natürlich: Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war natürlich ein Punkt, dass der Flügel und damit der Landesverband der AfD – und wer weiß, was noch kommt – beobachtet wird!"
Zu all den Querelen am rechten Rand der Partei, der weit in die Mitte greift, kam der für alle Beobachter verblüffende Vorstoß des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, die AfD zu spalten in einen liberal-konservativen und einen völkischen Teil, um getrennt besser marschieren zu können.

Meuthens Vorstoß zeigt das Dilemma der Partei

Der Vorschlag war schnell vom Tisch. Meuthen musste binnen Stunden einsehen, dass er als Vorsitzender nicht mehr die Zügel in der Hand hält.
Meuthens Vorstoß macht das Dilemma der Partei deutlich. Die rechtsradikalen Kräfte haben der Partei im Osten mit über 20 Prozent zwar die größten Wahlerfolge beschert, verschrecken auf Bundesebene aber zunehmend bürgerlich-konservative Wähler. Die formale Auflösung des Flügels dürfte daran nichts ändern.
Der Thüringer Verfassungsschutz-Präsident Stephan Kramer sagt, dass die Auflösung der Flügel-Strukturen für die geheimdienstliche Beobachtung unerheblich sei.
"Für uns kommt es bei diesen Personenzusammenschlüssen darauf an, dass sie sich eben durch eine gemeinsame Weltanschauung und durch öffentliche Propaganda beziehungsweise auch öffentliche Auftritte zusammenhalten", sagt er. "Und das ist ja für den Flügel und auch nach den eigenen Verlautbarungen nach wie vor der Fall. Also insofern hat sich für uns durch diese Aktionen jetzt, wie sie nach außen getragen worden sind, überhaupt nichts verändert."

Wegen der Coronakrise in der Defensive

Für die AfD sind das schlechte Nachrichten. Ohnehin ist sie derzeit politisch in die Defensive geraten. Wegen der Coronakrise.
Björn Höcke: "So, da ist in der Ecke mein Platz. Guten Tag! Anderthalb Meter – oder!?"
Björn Höcke sucht seinen Platz im Sitzungsaal der Thüringer AfD-Fraktion. Es ist genügend Raum, sich zu verteilen. Außer den drei Abgeordneten von der AfD und deren Pressesprecher sind nur noch vier Journalisten anwesend. Höckes Fraktion stellt ein Positionspapier vor, Titel: "Mit gesundem Menschenverstand das Land aus der Coronastarre befreien".
"Ich will betonen, dass die deutschen Regierungen, besonders aber die Bundesregierung, in den letzten Wochen und Monaten keine gute Arbeit gemacht haben", sagt Björn Höcke. "Man kann sogar regelrecht von Stümperei sprechen."
Dennoch findet Höcke in diesen Tagen auch lobende Worte für die Landesregierung: Im Krisenmodus manage die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow das Land pragmatisch.

Parolen haben keine Konjunktur

Wie anders klang das bei Höcke noch vor nicht allzu langer Zeit: "Dieses Land wird von Idioten regiert! Merkel hat den Verstand verloren. Sie muss in den politischen Ruhestand geschickt werden oder in der Zwangsjacke aus dem Bundeskanzleramt abgeführt werden."
In Zeiten aber, in denen über 80 Prozent selbst der AfD-Wähler die Maßnahmen der Bundesregierung zu Eindämmung der Coronapandemie richtig finden, vertrauen die Bürger eher auf handelnde Politiker, weniger auf Parolen.
Zumal die AfD große Schwierigkeiten hatte, zu einer gemeinsamen Haltung zu Corona zu finden. Ist Corona nun gefährlich? Hat die Bundesregierung zu spät reagiert oder zu lasch? Oder stecken gar geheime Mächte hinter dem Virus?

Fehlende inhaltliche Linie

Die AfD verzettelte sich in internen Positionskämpfen. Und sucht nach einer inhaltlichen Linie in der Coronakrise. Jetzt will sie sich zum Anwalt derer machen, die eine schnelle, umfassende Wiederbelebung von Wirtschaft, Handel, Gesellschaft befürworten.
Alexander Gauland sagte im Bundestag: "Die Menschen halten Abstand voneinander, versammeln sich nicht, warten geduldig vor Geschäften, tragen Mundschutz. Die Quarantäne-Maßnahmen laufen längst selbst organisiert. Der Staat ist dabei weitgehend überflüssig."
Die AfD ist aus dem Tritt geraten. Das große Thema der Partei, der Zustrom von Ausländern, zieht angesichts geschlossener Grenzen kaum noch. Die AfD dringt in der Coronakrise nicht mehr durch mit ihren radikalen Botschaften, sagt der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje – auch nicht in den sozialen Netzwerken, die die Partei bislang so erfolgreich bespielt hat.
"Und da merkt man eben, dass gerade die Beiträge zu Corona sehr viel weniger Zuspruch erhalten als Beiträge aus anderen Monaten zu anderen Themen", erklärt Johannes Hillje. "Eine Ausnahme gibt es allerdings: Die erfolgreichsten Posts der AfD zu Corona verbinden die Pandemie mit dem Themenkomplex Flüchtlinge und Migranten. Also die AfD stigmatisiert Flüchtlinge als Beschleuniger für die Verbreitung des Virus."

Alle Oppositionsparteien verlieren an Zustimmung

In Zeiten der Krise vertrauen die Bürger offenbar lieber Angela Merkel und der Tagesschau als der AfD und den Bloggern und in ihrem Umfeld, die krude Verschwörungstheorien zu Ursprung und Wesen des Coronavirus verbreiten.
Dies dürfte mehr zu schlechten Umfragewerten beigetragen haben als der Ärger um Flügel, Spaltung, Rechtsradikale in der Partei. Schließlich verlieren momentan alle Oppositionsparteien an Zustimmung.
Sven Tritschler hält das für ein vorübergehendes Phänomen. Mittelfristig macht sich der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, um den Erfolg der AfD keine Sorgen.
"Können wir uns den vielen grünen Luxus", fragt er, "den wir uns Anfang des Jahres noch vorgenommen haben, können wir uns den noch leisten? Können wir uns zum Beispiel auch noch eine Flüchtlingspolitik in der Form leisten, wie wir sie bisher gemacht haben? Also mache ich mir über die längere Perspektive für die AfD eigentlich keine Sorgen."
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