Flüchtlingsfamilie aus Syrien

Dankbar, beschämt und voller Heimweh

Das syrische Paar Razan Skeif und Wael Sabia
Razan und Wael Sabia: Babyglück und viel Heimweh © Deutschlandradio / Bettina Straub
Von Sabine Adler · 27.07.2016
Wael und Razan Sabia sind aus Syrien nach Deutschland geflohen, hier kam ihr Sohn Noah zur Welt. Das Paar ist dankbar für die Sicherheit, in der sie hier leben können. Doch wenn Frieden in Syrien herrscht, will das Paar zurückkehren.
Wael Sabia kitzelt seinen Sohn im Kinderbett am offenen Fenster. Der drei Monate alte Säugling lässt sich nicht stören, nicht von seinem Vater, nicht vom Straßenlärm, er starrt gebannt auf das Mobile.
Noah haben die Eltern haben ihren Erstgeborenen genannt, Noah - zur Erinnerung an die zwölftägige dramatische Flucht von Vater Wael über das Mittelmeer, über die wir vor einem Jahr berichteten. Von Latakia, nach Tartu, Mersin in der Türkei, nach Sardinien, Rom, Hamburg, Berlin.
Razan, Noahs Mutter, war nach Beirut geflohen und durfte dann mit Papieren der deutschen Botschaft nach Berlin zu ihrem Mann Wael fliegen. Weil Razans Vater die Wahl seiner Tochter nicht billigte, hatte sie heimlich das Haus der Eltern verlassen. Dort wohnte auch Waels Familie.

Mit der Geheimnistuerei vor den Eltern ist Schluss

Als Kinder wuchsen sie zusammen auf, in der weltoffenen Hafenstadt Latakia, in der man vor dem Krieg keinen Unterschied machte zwischen Alewiten, wie Razan und Sunniten wie Wael. Mit der Geheimnistuerei vor den Eltern ist Schluss, der Krieg hat alle vor ganz andere Probleme gestellt.
"Wir müssen nichts mehr verbergen."
"Sie wissen, dass wir ein Baby haben und meine Mutter freut sich für mich. Sie haben so viele Tote und so viel Schreckliches gesehen. Sie freut sich, dass ich mit Wael ein so gutes Leben habe und glücklich bin."
Eine Flucht heute sei fast unmöglich, Syrien sei wie ein Käfig, der Alltag geprägt von Stromsperren, Bomben, Kampffliegern. Nahe ihrer Heimatstadt Latakia befindet sich der russische Luftwaffenstützpunkt.
Razan Skeif und ihr Sohn Noah
Razan Skeif und ihr Sohn Noah© Deutschlandradio / Sabine Adler

In Latakia mag man die Russen

In Latakia mag man die Russen, sagen beide. Denn in die Nähe der russischen Kampfflieger wagt sich so schnell keiner.
Genau ein Jahr nach ihrer Flucht kam Noah zur Welt und tröstete seinen jungen Vater zumindest ein wenig über die anhaltende Arbeitslosigkeit hinweg. Bei der Registrierung des Kinds erfuhren die Eltern, dass die deutschen Behörden ihre Eheschließung in Syrien nicht anerkennen, sie müssen auf dem Standesamt noch einmal heiraten.
Immer wieder suchen sich ihre Finger, streicheln sie ihren Sohn, der geplant zur Welt kam, denn sie wussten, dass es dauern würde mit einem Job und dem Deutschlernen. Inzwischen haben sie die B1-Prüfung abgelegt. Wael zögert zu sprechen, Razan nicht.
"Noah mag es rauszugehen. Spazieren. Guckt immer in den Himmel und nach den Menschen. Seine Augen sind groß und offen."

Razan probiert ihre Deutschkenntnisse aus

Die 28jährige Syrierin, die Englisch studiert hat, probiert ihre Deutschkenntnisse an der älteren Dame im Haus aus, die immer "Ach so" sagt, wenn sie Razan versteht. Und Razan verpasst keinen einzigen Mütter-Baby-Treff, denn auch dort kann sie Deutsche kennenlernen.
"In Deutschland gibt es so viele Angebote für Mütter und Kinder."
"Wir haben uns schon für einen Kita-Platz angemeldet."
"Als ich im achten Monat war, sagte mir eine Freundin, ich soll zur Kita gehen und Noah anmelden. Im August 2017 bekommen wir den Platz. Ich bin schon etwas überrascht, was in Deutschland so alles geplant wird."
Immer wieder trüben schlechte Nachrichten das Familienglück, machen Angst. Der Münchener Amoklauf, das Attentat von Ansbach, die Übergriffe in Köln zu Silvester. Die ständige Sorge: Hoffentlich ist kein Syrer beteiligt. Was dann doch der Fall war.

"Ich schäme mich und möchte ihn schlagen"

"Ich schäme mich. Und ich möchte ihn schlagen. Denn wir sind dankbar, dass wir hier sein, in Sicherheit gut leben dürfen. Warum tun die so etwas?"
Das junge Paar aus Latakia kam, bevor sich Hunderttausende 2015 auf den Weg machten. Der Anblick so vieler Landsleute in den Flüchtlingstrecks stimmte sie nachdenklich.
"Ich bin ein bisschen traurig, denn es kommen fast nur junge Leute. Wer soll Syrien denn wieder aufbauen?"
Sobald es Frieden gibt in Syrien, werden sie zurückkehren, mithelfen, sagt Wael. Razan nickt, sie hat Heimweh, das sich oft ganz unverhofft meldet.

"Wenn ich einkaufen gehe und nicht weiß, was ich kochen soll, würde ich in Syrien meine Freundinnen oder Schwestern anrufen und fragen: Was gibt‘s bei dir heute? Das vermisse ich."
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