Flüchtlingsdebatte

"Journalistisches Rudelverhalten"

Eine Demonstrantin zeigt am 04.10.2014 in Berlin ein Schild mit der Aufschrift "Ich fordere: Mindestrente Euro 1250,-".
Altersarmut - ein Thema, das 2015 in deutschen Medien zu kurz gekommen sei © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Klaus Deuse · 11.02.2016
Die Flüchtlinge seien im vergangenen Jahr das dominierende Thema in den Medien gewesen, kritisiert Hektor Haarkötter von der Initiative Nachrichtenaufklärung. Andere Probleme seien damit in den Hintergrund gedrängt worden. Dies habe politischen Parteien in die Hände gespielt.
Altersarmut, die Menschenrechtslage in der Türkei, deutsche Waffenexporte – laut der Initiative Nachrichtenaufklärung allesamt wichtige Themen, die in den deutschen Medien im vergangenen Jahr vernachlässigt worden seien. Stattdessen hätte die Medienlandschaft allzu stark über die Flüchtlingsproblematik berichtet und somit anderen Themen keine angemessene Aufmerksamkeit geschenkt.
Prof. Hektor Haarkötter, Medienwissenschaftler und Geschäftsführer der Initiative, wirft den Medien ein "journalistisches Rudelverhalten" vor – Fernsehen und Radio hätten zu häufig die prominente Flüchtlingsberichterstattung von Tageszeitungen kopiert. Als Folge daraus hätten politische Parteien das Flüchtlingsthema für eigene Zwecke instrumentalisiert und Medien als Plattform für die Vermittlung ihrer Positionen genutzt.
Haarkötter ruft die Medienlandschaft deshalb auf, bei der Themenauswahl nicht vorrangig auf Quoten und Auflagen zu achten. Der Vorwurf der "Lügenpresse"-Berichterstattung sei, so Haarkötter, allerdings haltlos.

"Ganz offensichtlich hat diese sehr breite Berichterstattung zu der sogenannten Flüchtlingskrise zu einer Verdrängung anderer Themen in den Medien geführt."
Stellt der Geschäftsführer der Initiative Nachrichtenaufklärung Prof. Hektor Haarkötter nüchtern fest. Nach Einschätzung von Beobachtern des Medienmarktes ging der Anteil anderer Themen um ein gutes Drittel zurück. In jedem Jahr erreichen die Initiative Nachrichtenaufklärung einige hundert Vorschläge aus der Bevölkerung, von Organisationen, aber auch von Journalisten, aus denen die Jury dann die zehn wichtigsten auswählt.
Vermisst wurden u.a. weiterführende Informationen über den Ukraine-Konflikt, die schwelende griechische Finanzkrise oder die Verletzung der Menschenrechte in der Türkei. Aber auch Themen von bundespolitischer Relevanz wie etwa Altersarmut, digitale Überwachung, steigender Einfluss von Lobbyverbänden oder deutsche Waffenexporte. Zeitungen, sagt Haarkötter, haben nur eine begrenzte Seitenzahl, Radio- und Fernsehnachrichten nur eine limitierte Sendezeit. Das heißt:
"Einzelne Probleme werden extrem gehäuft behandelt"
"Wir können empirisch feststellen, dass einzelne Themen regelrecht Konjunktur haben in den Medien. Dass also einzelne Fragen, einzelne Probleme quer durch die Programme, Kanäle und Sendungen extrem gehäuft behandelt werden."
Medienwissenschaftler wie Hektor Haarkötter sprechen auch mit Blick auf das vorherrschend fokussierte Flüchtlingsthema von einem Konsonanz-Effekt.
"Wenn also die großen Zeitungen, vielleicht gerade die großen Boulevardzeitungen bestimmte Themen prominent besetzen, kommen manche Sendungen im Fernsehen und im Radio gar nicht umhin, auch diese Themen zu behandeln... Das ist journalistisches Rudelverhalten."
In Folge davon finden andere wichtige Themen keine angemessene Berücksichtigung. Selbst solche, die sich ursächlich nicht von dem Zustrom der Flüchtlinge trennen lassen, aber nicht im eigenen Land stattfinden.
"Die deutsche Bundeswehr beteiligt sich gerade an einem kriegerischen Einsatz in Syrien. Dazu sind deutsche Soldaten in der Türkei und im Mittelmeer und im Libanon stationiert. Erfahren wir davon in den Medien, wird uns diese Lage, die dort unten herrscht, täglich reportiert? Nein, wird es nicht... obwohl doch genau dieser Einsatz ganz vehement mit der von den deutschen Medien so vehement gefeatureten Flüchtlingskrise zusammenhängt."
Das Interesse an Zusammenhängen scheint nicht sonderlich groß
Das Interesse an den Zusammenhängen, moniert Haarkötter, scheint nicht sonderlich groß – und verweist auf die Berichterstattung über die Lage in Syrien.
"Das zeigt sich ja auch am Beispiel der belagerten Städte, wo Menschen, wo Frauen und Kinder offenbar des Hungers sterben. Und das nicht erst seit den letzten zwei Wochen... ohne dass es bisher Interesse bei den Medien gefunden hätte."
Wenn einzelne Themen quasi eine dominante Konjunktur erleben, dann müsse man davon ausgehen, dass dabei auch politische Interessen in den Medien ihren Niederschlag finden.
"Bei der Flüchtlingskrise können das zum Beispiel Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern sein."
Immerhin: Der Vorwurf der "Lügenpresse" sei unhaltbar
Sprich: Parteien nutzen Medien als Plattform für die Vermittlung ihrer Position. Das gilt nicht nur für den Streit innerhalb der Großen Koalition, sondern auch für die AfD. Nachrichten sind nun einmal eine einträgliche Handelsware. Gerade darum mahnt die Initiative Nachrichtenaufklärung, dass Medien bei der Auswahl der Themen nicht vorrangig auf die Auflage oder die Quote schielen dürfen. Eine Unterstellung aber, und zwar die der "Lügenpresse", die können die etablierten Medien mit Fug und Recht zurückweisen.
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