Flüchtlinge

Warum sich Staaten abschotten

Ein Schiff vor Lampedusa mit Flüchtlingen aus Libyen.
Ein Schiff vor Lampedusa mit Flüchtlingen aus Libyen. © imago/Milestone Media
Von Axel Schröder · 14.01.2015
Wanderung ist kein neues Phänomen: Zu allen Zeiten sind die Menschen gewandert, umgezogen, geflohen. Ohne solche Wanderungsbewegungen ist die Geschichte der Menschheit schlicht nicht denkbar. Und zu allen Zeiten hat es sehr kreative und sehr brutale Strategien gegeben, diese Bewegungen zu unterbinden.
"Kein Mensch ist illegal" – diese politische Parole ist ausnahmsweise eine, die die Dinge nicht klammheimlich auf den Kopf stellt, sondern – auch nach gründlichem Nachdenken – eine banale Wahrheit ausspricht: Es gibt Menschen, die illegal, ungesetzlich handeln, aber das Sein des Mensch kann schlichtweg einfach nicht illegal sein. Und die illegale Handlung entsteht erst, nachdem Rechtsnormen sie erschaffen. Flüchtlinge, die die Grenze ohne Erlaubnis passieren, als Illegale zu bezeichnen, verweist schon auf einen bestimmten politischen Standpunkt. Weniger problematisch die Bezeichnung dieser Flüchtlinge als "Sans Papier", als Menschen ohne Papiere. Der Paderborner Migrationsforscher Michael Schubert umschifft den Streit um Begrifflichkeiten von vornherein:
"Dem gehe ich in gewisser Weise aus dem Weg, indem ich aus wissenschaftlicher Sicht diese Regime illegaler Migration beschreibe und von einer staatlichen Illegalisierung tatsächlich spreche. Illegalisierung jedweder Wanderung ist theoretisch möglich."
Ordnung herstellen und Zugehörigkeiten definieren
Ohne diese Wanderungsbewegungen ist die Geschichte der Menschheit kaum denkbar, so Schubert. Und mit diesen Bewegungen gab es schon immer auch Versuche, die Migration zu unterbinden oder zu steuern. In seinen aktuellen Arbeiten geht Michael Schubert nicht zurück zu den Wanderungsbeschränkungen des alten Roms. Er analysiert und vergleicht die Versuche des sich konstituierenden deutschen Nationalstaats im 19. und 20. Jahrhunderts. Nach Schubert gehört zur Herausbildung auch der preußischen Staatlichkeit immer auch die Abschottung nach Außen. Das Ziel: es soll Ordnung hergestellt und definiert werden, wer dazu gehört und wer draußen bleiben soll. Die preußische Verwaltung war kreativ, setzte ihr Regime zur Migrationskontrolle gründlich um:
"Mit einem hohen Polizeiaufwand und auch neuen Methoden der Kontrolle. Die dann die Pässe fälschungssicher machen sollen. Stempel werden entworfen. Es werden geheime Zeichen beispielsweise an den Stempeln ausgetauscht, damit man die nicht so leicht nachmachen kann. Briefmarken werden geklebt. 1813 führt Preußen den Sichtvermerkszwang ein."
... und will auf diese Weise nicht nur arme Menschen von eigenem Territorium fernhalten. Es ging auch, so Schubert weiter, um ...
"... die Abwehr demokratischer und nationaler Ideen, die durch wandernde Handwerker, Studenten und polnische Flüchtlinge – diese drei Gruppen – verbreitet wurden beziehungsweise, war das das Bild der Obrigkeit, dass das die Gruppen sind, die gerade für Gefahr im Staat sorgen, für politische Gefahr."
Getrieben, so Michael Schubert, ist die Obrigkeit dabei vom Wunsch nach geregelten Staatseinnahmen, nach Wohlfahrt für die eigene Bevölkerung und – sehr zentral – nach Innerer Sicherheit. Die totale Migrationskontrolle konnte dadurch nicht erreicht werden. Und war, vor allem aus ökonomischen Gründen, auch nicht gewollt.
Abschottung reicht schon über Europa hinaus
Die polnischen Wanderarbeiter des vorletzten Jahrhunderts waren eine wichtige Arbeitskraftressource. Auch noch zu Zeiten der Weimarer Republik. Die gleiche Porösität des Systems der Illegalisierung von Migranten diagnostiziert die Hamburger Migrationsforscherin Marianne Pieper auch in heutiger Zeit:
"So, wie wir es jetzt auch sehen, dass unterhalb des Radars, der Kontrollen eben auch so eine Menge von Menschen sehen, die kommen, obwohl die Grenzkontrollen ganz hermetisch geworden sind."
Und genau an diesem Punkt zeigt der souveräne Staat, was er kann: Er kann nicht nur die Wanderungsbewegung von Menschen illegalisieren. Er kann auch wegschauen und den eigenen so heftig gegen Kritik verteidigten Kontrollapparat ignorieren. Etwa dann, wenn ein hartes Vorgehen gegen osteuropäische Arbeitskräfte das deutsche Pflegesystem ernsthaft gefährden würde. Michael Schubert spricht von einer Martialisierung des europäischen Grenzkontrollregimes. Und seine Kollegin Marianne Pieper merkt an, dass die Abschottung schon heute über den europäischen Kontinent hinaus ausgedehnt:
"Wir erleben sozusagen etwas wie eine De-Territorialisierung der Grenze, könnte man fast sagen. Beispielsweise haben einige meiner Studierenden in Mali teilnehmende Beobachtung gemacht und beobachtet, dass die Menschen in Mali, bevor sie ihr Herkunftsland verlassen, bereits als illegalisierte Migranten eingestuft und behandelt werden."
Mit der De-Territorialisierung der Grenze verschiebt sich auch die Illegalisierung von Menschen. Das europäische Regime illegaler Migration breitet sich aus. Nur abhalten von der Flucht nach Europa wird es wohl niemanden. Zu groß ist die Hoffnung auf ein besseres Leben und darauf, irgendwo und irgendwann auch die konstruierte Illegalität wie ein fernes Land hinter sich zu lassen.