Flüchtlinge

Privat wohnt es sich besser

Ein Mann sitzt mit dem Rücken zur Kamera unten in einem zweistöckigen Bett.
Nicht zum Wohlfühlen: Flüchtlingsheim in München. © dpa / Tobias Hase
Von Susanne Arlt · 15.01.2015
Kleine Zimmer, kaum Privatsphäre: Das Leben in Flüchtlingsunterkünften ist trist. In Berlin gibt es eine Alternative. Dort bringt eine evangelische Vermittlungsstelle Flüchtlinge und private Wohnungseigentümer zusammen. Ein Projekt, von dem alle profitieren.
"Der nächste bitte. Welche Sprache? Arabisch."
Sophia Brinck begrüßt jeden Flüchtling mit einem Lächeln. Die 33-Jährige leitet die Vermittlungsstelle des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks. Sie und ihre sechs Mitarbeiter helfen Flüchtlingen im Asylverfahren, eine Wohnung zu finden. Kein leichtes Unterfangen, sagt sie. 2.500 Personen befinden sich zurzeit in ihrer Kartei. Doch viele Eigentümer oder Hausverwaltungen lehnen es ab, an Flüchtlinge zu vermieten.
"Die haben ja auch eine Aufenthaltsgestattung, auf der steht auch, wie lange der Ausweis gültig ist. Der ist maximal sechs Monate gültig. Das heißt, dann stellen die sich natürlich die Frage: Und was ist dann? Das ist die Schwierigkeit. Deswegen finden auch viele Leute keine Wohnung und deswegen sind die Leute auch dementsprechend verzweifelt."
Kollegin Alice Kerpen sitzt an der Telefonhotline. Bislang haben sich 140 Berliner gemeldet, um ihren Wohnraum womöglich an Flüchtlinge zu vermieten. Darunter sind sogar zwei Hausofferten und 45 WG-Angebote.
"Okay, und im Moment ist die Wohnung bewohnt oder steht die leer?"
Die EJF-Mitarbeiterin beantwortet die Fragen der Anrufer und erläutert die Bedingungen des EJFs. In der Wohnung müssen ein Herd und eine Spüle stehen. Die Kosten für eine Einzimmerwohnung dürfen 420 Euro Brutto-Warmmiete nicht übersteigen. Und der Vertrag sollte unbefristet sein:
"Das liegt daran, dass die Mietverträge dem Flüchtling natürlich eine längerfristige Perspektive bieten soll. Für den ist ja auch nicht so gut, wenn er weiß, okay ich wohne hier für ein halbes Jahr, für ein Jahr und was ist die Perspektive danach? Das wäre ja, dass er wieder zurück ins Heim kehren muss."
Flüchtlingen eine Perspektive bieten
Seit elf Monaten leben die Iraner Mohamed und Nasrin Mousavi gemeinsam mit ihrer zehnjährigen Tochter in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Pankow. Das Zimmer liegt im vierten Stock und ist - so steht es am Türschild - exakt 22,19 Quadratmeter groß. Die weißen Wände sind kahl, der Raum wirkt nüchtern. Ihre persönliches Hab und Gut, das die Mousavis in zweieinhalb Koffern aus dem Iran mitgebracht haben, steckt in einem abgenutzten Wandschrank. Privatsphäre gibt es weder für die Eltern noch für die Tochter.
"Hier ist unsere Flur, es gibt ungefähr 15 Zimmer. Und hier ist unsere Küche. Also es ist gemeinsam. Jede vierte Familie hat einen Herd."
Nasrin Mousavi ist eine zierliche, hübsche Person. Ihr schwarzes, schulterlanges Haar trägt die 36-Jährige Muslimin offen. Im iran hat sie Deutsch studiert, aber trotz ihrer Sprachkenntnisse ist das neue Leben in Deutschland alles andere als einfach:
"Als ich hier in Deutschland war, ich fühlte mich so einsam. Also ich hatte irgendwie das Gefühl, ich hatte alles verloren. Und in diesem Zimmer kommt sehr viel Gedanken in den Kopf. Wo war ich, wo bin ich jetzt? Warum muss ich in dieser Situation sein. Bekomme ich wieder alles, was ich hatte. Das Ganze kommt die ganze Zeit, nachts kommt es noch mehr in den Kopf rein."
Beide lassen keinen Zweifel daran, wie dankbar sie sind, dass sie nach ihrer Flucht hier um Asyl bitten durften. Aber jeden Tag zu dritt in diesem Zimmer, das zehrt auf Dauer an ihren Nerven. Doch seit ein paar Tagen schöpfen Nasrin und Mohamed wieder neue Hoffnung. Eine Mitarbeiterin vom EJF hat bei ihr angerufen. Sie können sich eine Wohnung in Zehlendorf anschauen. Ein Berliner Ehepaar hat sich auf den Plakataufruf hin gemeldet.
"Das war das Beste, das Allerallerbeste in dieser letzten Zeit, als ich diese Nachricht bekommen habe."
Vorort-Idylle statt Großstadt-Lärm
Der erste Eindruck ist perfekt. Statt Großstadt-Lärm pure Vorort-Idylle. Man riecht den herben Duft der alten Kiefern, die im Garten des Mehrfamilienhauses wachsen. Kinder spielen mit einem Hund.
"Hallo, Sophia Oppermann, herzlich willkommen."
Die Begrüßung ist herzlich. Sophia Oppermann bietet ihren Gästen ein Glas Wasser an, zu dritt setzen sie sich an den langen Küchentisch. Die Mutter von zwei Kindern erzählt, dass sie nicht lange nachdenken musste, als sie den Plakataufruf sah. Dass sich in der dreieinhalb Millionen-Metropole bislang erst 140 Wohnungsbesitzer gemeldet haben, findet sie ein bisschen dürftig:
"Weil, da gibt es nichts wovor man sich fürchten muss. Das sind total nette Leute, das wird sowieso alles vom Sozialamt geregelt, also man kann ja gar keine besseren Mieter eigentlich haben. Das ist ja alles total einfach und im Grunde genommen sehr profitabel für beide Seiten."
"Also ich freu mich, dass Sie hier sind und wir uns kennenlernen können. Ich hoffe, die Wohnung gefällt ihnen. Die ist nicht so riesig, aber es ist ihre. Ja, das ist das Schöne daran."
Die Besichtigung dauert nicht lange. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss, ist 48 Quadratmeter groß und hat zwei Zimmer. Mohamed und Nasrin sind begeistert. Ein eigenes Heim. Das bedeutet Privatsphäre und Rückkehr in die Normalität. Und es erleichtert uns, in Deutschland endlich ganz anzukommen, sagt Nasrin und lächelt glücklich:
"Ja, besser kann es nicht werden."
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