Flüchtlinge in Sachsen

Trügerische Idylle

Teilnehmer einer friedlichen Kundgebung, darunter die Fraktionsvorsitzenden im sächsischen Landtag (v.l.), Antje Hermenau (Grüne) und Steffen Flath (CDU)protestieren am 16.11.2013 in Schneeberg (Sachsen) gegen eine rechte Kundgebung. Rechte Sympathisanten und NPD-Mitglieder hatten gegen ein Heim für Asylbewerber in Schneeberg (Sachsen) demonstriert. Die von einem Rechtsextremisten als Privatperson angemeldete Kundgebung auf dem Schneeberger Marktplatz hatte Zulauf von etwa 1500 Menschen.
Menschen in Schneeberg protestieren im November gegen eine rechte Kundgebung. © picture alliance / dpa / Foto: Hendrik Schmidt
von Nadine Lindner · 30.01.2014
Organisiert hatte die rechtsextreme NPD: Mehrmals gab es im vergangenen Herbst im sächsischen Schneeberg Demonstrationszüge gegen Flüchtlinge. Viele Bewohner waren darüber empört und helfen seitdem den Asylsuchenden am Ort.
Gemütlich ist sie, die Pfarrstube von Pastor Frank Meinel in Schneeberg im Erzgebirge: In einem Altbauhaus am Rande der Innenstadt steht eine Kerze auf dem Tisch, es gibt Kekse und Kaffee aus Thermoskannen. Draußen wird es langsam dunkel.
Chadi S. aus Tschetschenien will an diesem Abend über ihre Flucht und ihre Ankunft in Schneeberg sprechen. Dem Ort, an dem im vergangenen Herbst mehrmals über 1000 Menschen gegen Asylbewerber demonstriert haben, die dort einquartiert wurden. Also auch gegen Chadi. Die Demos wurden organisiert von der rechtsextremen NPD.
Pastor Meinel will als erstes wissen, warum Chadi Tschetschenien verlassen hat. Ein Gemeindemitglied übersetzt.
Die 53-Jährige wirkt, als ob sie lange nachdenken muss, bis sie all das, was sie in ihrer Heimat erlebt hat, in Worte fassen kann.
Die Frau mit den dunklen Haaren, die von zarten grauen Strähnen durchzogen sind, denkt lange nach. Auf einmal fängt sie an zu schluchzen.
"Chadi ganz ruhig"
Pfarrer Frank Meinel schaut sie mitfühlend an und beruhigt sie. Er spricht auf Deutsch. Egal, es wäre auf jeder Sprache der Welt zu verstehen, dass er Trost spenden will. Dann beginnt die Frau aus Tschetschenien zu sprechen. Ganz leise, ganz vorsichtig, als müsste sie sich an die Antwort herantasten:
"Der Bruder wurde von den Russen irgendwelcher Verbrechen beschuldigt. Und die Leute haben ihnen gesagt, dass es besser wäre, von hier zu verschwinden."
Die 53-Jährige Tschetschenin hat Angst zu viel zu erzählen, das könnte Nachteile für sie haben. Sie will sich und ihre Helfer schützen.
Pfarrer Frank Meinel kennt das, die meisten Flüchtlinge sprechen nicht gerne über ihre Flucht. Chadis Geschichte kennt er in den Grundzügen:
Frank Meinel: "Also ich weiß, dass sie sich irgendwann ein Ticket gekauft haben und über die Ukraine nach Polen gekommen und sich dann irgendwie über die Grenze geschlagen haben. Vielleicht zu Fuß oder so."
Seit April ist sie mit zwei ihrer vier Kinder in Deutschland. Einer ihrer Söhne, der mit ihr ausgereist ist, ist Epileptiker.
Woraus schöpfst du Hoffnung für die Zukunft? fragt der Pfarrer.
Chadi antwortet leise. Wie jemand, der nicht oft seine Stimme erhebt. In ihr Gesicht haben sich viele feine Linien gegraben. Sie sieht bedrückt aus – und viel älter als 53.
"Die Sorge gilt natürlich dem kranken Sohn. Der fühlt sich deutlich besser, weil er hier medizinisch versorgt wird. Sie sagt, dass sie sich eigentlich fast wie im Paradies fühlt."
Wenn sie über ihren Sohn spricht, dann erhellen sich schlagartig ihre Gesichtszüge.
Aufmarsch in Schneeberg
Dann fragt der Pfarrer nach den Demonstrationen, die das idyllische Schneeberg in die Schlagzeilen gebracht haben. Demonstranten marschierten auf, die keine Flüchtlinge in Schneeberg wollen und gegen alle sind, auch gegen Chadi.
"Sie hat nichts mitbekommen, sie kommt aber auch nur selten raus, sie hat es von den Angestellten erfahren. Aber sie sagt, dass sie nicht trinken, nicht rauchen und nicht klauen. Sie sind sich keiner Schuld bewusst."
Frank Meinel geht los, zur Friedensandacht in die Wolfgangskirche. Eigentlich wollte Chadi mitkommen, aber ihrem Sohn geht es nicht gut. Der Pfarrer bringt sie zurück in ihre Unterkunft. Die liegt sechs Kilometer außerhalb des Ortes.
Wie immer am Montagabend spricht der Pfarrer ein Friedensgebet gegen Fremdenfeindlichkeit. Rund 40 Besucher hören zu, als er an die menschliche Nächstenliebe appelliert.
Draußen vor der Tür auf dem Marktplatz ist die Stimmung anders.
Umfrage Mann: "Ich bin nicht rechtsradikal, aber Deutschland sollte eine andere Ausländerpolitik betreiben, Deutschland kann nicht jeden aufnehmen."
Umfrage Frau: „Ich will mich dazu nicht äußern."
Aber im Rathaus sitzt ein kämpferischer CDU-Mann: Frieder Stimpel, seit fast 20 Jahren Bürgermeister von Schneeberg. Er hält dagegen.
"Manche tun ja so, als ob sie die Schnitte vom Teller geklaut bekommen. Aber keinem geht es schlechter, nur weil wir hier in paar Menschen Obdach gewähren."
Rückblickend auf die Demonstrationen im Herbst ist er immer noch schockiert, wie schnell und umfangreich die Mobilisierung der NPD funktioniert hat. Die Rechtsextremen, so glaubt er, instrumentalisieren die Ängste der Bürger und betreiben so vorgezogenen Wahlkampf.
Für Stimpel ist klar: Asyl ist ein Grundrecht. Und er ist optimistisch. Denn der christliche Glaube, so Stimpel, sei im Erzgebirge viel weiter verbreitet als in anderen Teilen Sachsens:
"Man muss sich klar positionieren, da gibt es kein Wegducken, kein Abducken. Sondern man muss sich den Aufgaben stellen. Und dazu gehört es auch, dass man Menschen, die nun mal hier sind, die auch schwere Schicksale haben, wie sagte es eine Frau aus Tschetschenien, die viel Leid erlebt hat: Man hat mir gesagt, die Deutschen sind gut und die Deutschen helfen."
Die meisten Schneeberger wollen im Grunde ihres Herzens helfen, das glaubt der Bürgermeister. Und darauf hofft auch der Pfarrer, stellvertretend für alle Flüchtlinge.
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