Flüchtlinge in Griechenland

"Menschen werden hier wie Tiere behandelt"

Auch in Amygdaleza, nördlich von Athen, befindet sich ein Aufnahmezentrum.
Auch in Amygdaleza, nördlich von Athen, befindet sich ein Aufnahmezentrum. © picture alliance / dpa / Alexandros Vlachos
Von Anna Koktsidou · 10.07.2014
Abschreckung und Zermürbung ist die Taktik, die mit einer neuen Generation von Internierungslagern in Griechenland verfolgt wird. Die dort festgehaltenen Flüchtlinge berichten von menschenunwürdigen Zuständen.
Ein gelbes Gebäude, umzäunt mit Stacheldraht, mitten im Nirgendwo im Norden der griechischen Region Evros: Fylakio heißt der Fleck, unweit der türkischen und der bulgarischen Grenze. Fylakio dient als Aufnahmelager, Zwischen- und Abschiebestation für knapp 400 Frauen und Männer, Flüchtlinge und Migranten aus Osteuropa, Afrika, Asien – aus den Krisenherden dieser Welt. Ihr Vergehen besteht darin, ohne gültige Papiere in Griechenland zu sein. In Fylakio bleiben sie bis zu 18 Monate inhaftiert:
"Höchste Priorität hat für uns, die Lebensqualität dieser Menschen zu verbessern – denn wir haben es mit Menschen zu tun."
... sagt der zuständige Polizeichef Paschalis Syritoudis, umringt von seinen Mitarbeitern. Wir stehen nun im Innern des Gebäudes, in einer Art Besprechungsraum. Die Menschen, die er meint, wurden irgendwo in Griechenland festgenommen – manche von ihnen waren erst vor ein paar Tagen angekommen, manche vor Monaten, manche vor Jahren, geflohen vor Krieg, Hunger und Armut.
Wunderbare Zeit im Lager? "Jede Zelle hat einen Fernseher"
In Fylakio soll festgestellt werden, ob man sie abschieben kann. Ob sie vielleicht freiwillig ausreisen. Oder ob sie womöglich einen Asylantrag stellen. Hört man dem Polizeipräsidenten zu, dann muss für sie die Zeit im Lager wunderbar sein:
"Ein Privatunternehmen putzt täglich die Unterkunft, ein Catering-Unternehmen bringt täglich das Essen; es gibt zwei Mal am Tag Hofgang für je drei Stunden. Seit ich Polizeichef bin, habe ich veranlasst, die Zeit kreativer zu gestalten: mit Büchern, Ausgaben des Koran, Möglichkeiten zu zeichnen. Außerdem hat jede Zelle einen Fernseher, sie können sich so die Zeit vertreiben – und auf einem USB-Stick haben wir Filme, die sie auswählen können."
Dann lässt uns der Polizeichef in den Männertrakt, der hinter den Büroräumen liegt: ein langer Flur, eingeteilt mit Zwischenwänden in große Zellen, die sich bis zu 50 Männer teilen: an der Rückseite schmale Fenster, die nur wenig Licht durchlassen, dazu Toilette und Dusche.
Zum Flur hin sind die Zellen vergittert, durch die Gitterstäbe hindurch schauen die Männer auf Fernseher an der Wand. Die Luft ist stickig, die Männer drängen an die Gitterstäbe, um mit uns zu sprechen. Lebensqualität, von der der Polizeichef spricht – davon kann aus Sicht der Insassen keine Rede sein:
"Hier, schauen Sie. Das ist doch kein Essen!"
"Wir haben Hunger!"
Ein Mann aus dem Sudan zeigt durch die Gitterstäbe ein abgepacktes Croissant und eine kleine Packung Saft: das Frühstück. Zum Abendessen ein belegtes Brötchen mit gleichem Saft und am Mittag oft eine Suppe, die sie auf den Betten sitzend essen – dafür veranschlagt der Catering Service 5 Euro 60 pro Person. Täglich.
"Wie kann man da überleben? Wir haben Hunger!"
... sagt ein 50-jähriger Mann, der aus Ghana stammt. Er zeigt auf die Metallbetten, die zum Teil keine Matratzen haben: manche schlafen in den untersten Reihen auch auf Betonpritschen. Manche verhängen ihre Stockbetten mit Decken oder Pappkartons – und verschaffen sich damit so etwas wie eine Privatsphäre.
Haftzentren wie Fylakio sind voll, weil die griechische Polizei seit Sommer 2012 verstärkt gegen illegale Einwanderer vorgeht. Das Land hatte sich in den Jahren davor zum Tor für Europa entwickelt – aufgrund seiner geografischen Lage mit einer Land- und Seegrenze, die schwer zu überwachen ist.
Zugang zu Asyl glich einer Betonmauer
2010 kamen über 80 Prozent der illegalen Einwanderer in die EU über diese Grenzen. Die DUBLIN-II-Verordnung versperrt ihnen jedoch das Weiterziehen; sie besagt, dass das EU-Land für einen zuständig ist, in das man zuerst eingereist ist. Griechenland aber ließ jahrelang den überwiegenden Teil dieser Männer, Frauen und Kinder sich selbst überlassen.
Der Zugang zu Asyl glich einer Betonmauer, Aufenthaltsgenehmigungen sind an reguläre Arbeit gekoppelt, auch nach mehreren Jahren im Land. Doch solche Jobs werden mitten in der Wirtschaftskrise immer rarer – und von jetzt auf nachher kann jemand zum Illegalen werden.
Auf die steigende Zahl von Migranten, die wachsende Fremdenfeindlichkeit und die zunehmenden Angriffe der Rechtsextremen antwortet nun der Staat mit der Operation "Xenios Zeus" – "Der Gastliche Zeus".
Wer bei diesen Razzien ohne Papiere erwischt wird, erfährt eine andere Art griechischer Gastfreundschaft: er kommt in eines der Haftzentren, die neu errichtet wurden, und wo aufgrund von EU-Recht eine Inhaftierung bis zu 18 Monaten möglich ist. Die Festung Europa, hier hat sie ein Gesicht: Abschiebezentren, die wie Gefängnisse sind.
Protest gegen Haftbedingungen
In Komotini, einem anderem Zentrum in Nordosten Griechenlands, sind die Männer in einzelnen Gebäuden untergebracht, deren jeweilige Etagen zusätzlich verschlossen sind. Notdürftig eingerichtete Zimmer, immer wieder Kartons statt Matratzen. Mobiltelefone sind hier nicht erlaubt. Die sanitären Anlagen sind defekt und verdreckt. Vor eineinhalb Jahren protestierten mehrere Insassen von Komotini gegen ihre Haftbedingungen, zündeten Matratzen an, gingen auch mit Eisenstangen aus den demolierten Metallbetten auf die Polizisten los, warfen Steine.
Ihnen wurde der Prozess gemacht; die elf, die als Anführer galten, wurden zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Nun hat die EU Geld für die Sanierung der Gebäude gegeben, 800.000 Euro müssen bis zum Sommer ausgegeben werden. Wäschetrockner stehen im Land der Sonne bereits parat. Die Wasserhähne aber müssen warten.
Es sind oft ehemalige Polizeistationen, die umgebaut werden, oder wie in Paranesti, einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Drama, eine ehemalige Polizeischule.
Protest bei der Eröffnung eines Flüchtlingszentrums in in Paranesti.
Protest bei der Eröffnung eines Flüchtlingszentrums in in Paranesti.© picture alliance / dpa / Pavlos Sidiropoulos
Durch einen Zaun hindurch dürfen wir mit einem jungen Mann aus Afghanistan sprechen:
"Ich bin seit zwei Jahren in Griechenland. Erst auf Samos, dann bin ich nach Lesbos, ins Zentrum für Minderjährige. Nach acht Monaten wurde es geschlossen, ich ging nach Athen und dann nach Igoumenitsa. Ich versuchte dort, mich auf einem Lastwagen zu verstecken, wollte auf die Fähre nach Italien. Sie haben mich erwischt und nun bin ich hier."
Viele junge Männer behaupten, sie seien minderjährig
Der junge Mann hat seinen Zeichenblock dabei, und zeigt das Bild, das er gezeichnet hat: eine Mauer, die in der Mitte auseinander bricht und Vögel, die durch diese Öffnung zum Himmel fliegen. Eleftheria, Freiheit, hat er dazu geschrieben.
"Den ganzen Tag zeichnen, essen, schlafen. Polizist sagt, sie machen hier eine Schule, aber bisher ist nichts passiert. Polizist sagt, er hat viel zu tun, wir müssen warten. Er ist alleine."
Bei dem Jungen steht zumindest einwandfrei fest, dass er unter 18 ist. Das bedeutet: er wird von den Erwachsenen getrennt untergebracht, bekommt einen Vormund gestellt und wird bald in eine Unterkunft für Minderjährige verlegt. Auch in den anderen Zentren behaupten viele junge Männer, sie seien minderjährig.
In Komotini bestreitet das der zuständige Polizeichef, man hätte alle medizinisch untersucht, sagt er. Doch ein Mitarbeiter des Griechischen Flüchtlingsrats bestätigt die Aussage der Inhaftierten, 60 bis 70 Unter-18-Jährige sollen demnach in Komotini sein.
"Das geht auf die Psyche"
Zurück nach Fylakio. Als es 2007 gebaut wurde, war es eines der ersten Aufnahmezentren Griechenlands überhaupt. Ein Fünf-Sterne-Hotel, sagte damals ein Politiker der Region. Der Polizeichef Paschalis Syritoudis sieht es etwas pragmatischer:
"Da der Aufenthalt in einem geschlossenen Raum stattfindet, versuchen wir, die Umstände so angenehm wie möglich zu gestalten. Denn eines dürfen wir nicht außer Acht lassen: es handelt sich um eine Inhaftierung. Das geht auf die Psyche."
Angenehm – das heißt zum Beispiel, dass ein Beamter abgestellt ist, der sich um die Männer und ihre Belange kümmert. Dafür sorgt, dass sie sich rasieren:
"Wir haben hinten einen Raum, wo ich sie in Zehner-Gruppen hinführe, damit sie sich rasieren können. Am Schluss zähle ich immer die Rasierklingen, es müssen zehn sein. Sicher, wenn sich jemand etwas antun will, tut er das so oder so. Aber ich will nicht verantwortlich sein."
Dieser Polizist, der immer in Zivil da ist und der seinen Namen nicht genannt wissen will, ist für die persönliche Ansprache zuständig. Der Typ Kumpel. Er zeigt den Rasierraum, der hinter dem Männertrakt liegt, an den Zellen vorbei. Am Tag unseres Besuchs wird ein junger Afghane schön gemacht. Nach 18 Monaten Haft kommt er frei:
"Ich gehe nun nach Athen, ich habe einen Asylantrag gestellt."
Das Paradoxe an der Situation
Das ist das Paradoxe an dieser Situation: Wer in diesen 18 Monaten nicht abgeschoben werden kann, wird wieder freigelassen. Wer noch ein offenes Asylverfahren hat, oder einen anderen triftigen Grund, kann im Land bleiben. Sonst muss er Griechenland innerhalb von 25 Tagen verlassen. Wird er danach erneut ohne legalen Status erwischt, kann er wieder eingesperrt werden.
Direkt hinter dem gelben Gebäude, in dem die Menschen ohne Papiere inhaftiert sind, gibt es ein weiteres Grundstück, abgetrennt ebenfalls mit Zäunen und verschlossenen Toren. Auf diesem Gelände stehen mehrere Containerhäuschen. Neu, sauber, gepflegt. Errichtet mit Zuschüssen der EU.
Ein Erstaufnahmezentrum, also für jene, die ganz neu über die Evros-Grenze gekommen sind. Hier werden sie über ihre Rechte informiert, so der Leiter Christos Christakoudis:
"Wer einen Asylantrag stellen möchte, wird an die entsprechende Stelle hier im Camp verwiesen, wer freiwillig ausreisen möchte, bekommt ebenfalls die nötigen Informationen dazu. Weitere wichtige Aufgabe ist, Personen herauszufiltern, die besonderen Schutz benötigen: unbegleitete Minderjährige, Alleinerziehende, Senioren, Opfer von Folter oder Menschenhandel."
Eine neue Asylbehörde eingerichtet
Nach langem Druck seitens der EU und von Menschenrechtsorganisationen hat Griechenland inzwischen eine neue Asylbehörde eingerichtet, und damit das Verfahren von der Polizei abgekoppelt. Am leichtesten bekommen momentan Syrer einen Schutz als Flüchtlinge: So wie dieser Mann aus Damaskus: der so schnell wie möglich weiterreisen darf – nach Deutschland:
"Meine ganze Familie ist in Deutschland, meine Großmutter, alle in Köln."
Die Container strahlen in der Sonne. Die meisten stehen leer. Als der Bau beschlossen wurde, kamen über diese Grenze um die 250 Menschen täglich, 2010 waren es insgesamt rund 50.000. Doch drei Jahre später sank ihre Zahl auf gerade mal 1100. In der Zwischenzeit hatte Griechenland einen Zaun errichtet, der das Stück Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei hermetisch abriegelt. Zudem wird inzwischen der Grenzfluss mit einem riesigen Polizeiaufgebot und modernster Technik überwacht, stark unterstützt durch Beamte der FRONTEX, der Grenzschutzagentur Europas Christos Christakoudis:
"Meiner Meinung nach hat nicht der Zaun, sondern die verstärkte Polizeipräsenz zum Rückgang der Zahlen geführt. Man kann jedoch nicht ewig Personal aus anderen Regionen dafür abziehen. Würde man damit aufhören, würde der Migranten-Strom wegen der geografischen Lage des Landes wieder ansteigen."
Zaun an der türkisch-griechischen Grenze.
Zaun an der türkisch-griechischen Grenze.© picture alliance / dpa / ANA-MPA
Momentan haben sich die Routen verlagert: die Flüchtlinge versuchen verstärkt über die Inseln vor der griechisch-türkischen Insel nach Griechenland zu gelangen. Oder mit den Booten über das Mittelmeer nach Italien.
Wenn im Erstaufnahmezentrum bei einem Neuankömmling innerhalb von 25 Tagen keine Lösung gefunden wird, kann es sein, dass dieser nach nebenan, ins alte Gebäude verlegt wird. Er gilt ja als illegaler Einwanderer. Statt Containerhäuschen nun Großzelle. Statt Matratze nacktes Eisengestell. Unwürdige Bedingungen, die die inhaftierten Menschen nebenan in Fylakio zur Verzweiflung bringen:
"Menschen werden hier wie Tiere behandelt"
Der 50-jährige Ghanaer weiß nicht mehr weiter: Er lebt seit zwölf Jahren in Griechenland. Mittlerweile ohne legalen Status, seine sogenannte Rosa Karte, die ihm einen Aufenthalt garantierte, habe er verloren, erzählt er. Drei Rechtsanwälte habe er beauftragt, um sie wiederzubekommen, ohne Erfolg.
Als ihn die Polizei bei Schwarzarbeit erwischte, kam er in Abschiebehaft. Doch er hat in Athen Frau und Kinder, die dort legal leben – darf er da überhaupt abgeschoben werden?
"Was soll ich tun, meine Frau in Athen und ich hier?"
Niemand hilft mir, schreit er und fängt an zu weinen. Auch die anderen Männer wissen nicht weiter; in der Theorie haben sie alle Rechte, und jeder Polizeipräsident erklärt, dass diese auch wahrgenommen würden: doch in der Praxis gibt es eine Hürde nach der anderen. Für kostenlose Rechtsberatung gibt es eine einzige Rechtsanwältin des Griechischen Flüchtlingsrats – sie hat alle Hände voll zu tun.
Manchmal dauert es Monate, um einen Asylantrag zu stellen. In mancher Haftanstalt, wie in Komotini, kann es sein, dass Anträge von einem Stockwerk ins andere Wochen brauchen. Von Verschleppung könne keine Rede sein – alles liefe nach Recht und Gesetz, versichern die Beamten überall. Doch gerade von diesem Europa hatte sich dieser junge Georgier mehr erhofft:
"Ich weiß, dass ich hier illegal bin, aber ich bin nicht kriminell und ich bin kein Tier. Und ich möchte nach europäischen Maßstäben behandelt werden."
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