Flüchtlinge

Hilfe für besonders Schutzbedürftige

Die Frau mit Kopftuch hat einen Jungen an der Hand. Beide tragen Taschen. Im Hintergrund sind weitere Flüchtlinge an den Gleisen zu sehen.
Ein Flüchtlingsfrau und ein Kind laufen die Gleise entlang - wenn die Frau alleine mit dem Kind ist, gilt sie als besonders schutzbedürftig. © AFP / VLADIMIR SIMICEK
Von Gudula Geuther · 08.01.2016
In einer Berliner Unterkunft leben Flüchtlinge, die besonders schutzbedürftig ist: Es sind Alleinerziehende und Schwangere, Menschen mit Lähmungen, Blinde - aber auch Frauen, die traumatisiert sind. Der Bedarf an solchen Schutzräumen ist aber deutlich höher.
"Das ist jetzt ein Vierbettzimmer, und das eigene Bad ist dann hier."
Weiße Fliesen, gelbe Handläufe, in der Duschecke, barrierefrei, eine blaue Babybadewanne. Ein eigenes Bad – unerhörter Luxus.
"Das ist natürlich für die Leute absolut super vor allem für die schwerkranken, krebskranken, chronisch kranken, Chemopatientinnen und so weiter. Dass das natürlich hygienisch und alles ok ist und sie nicht auf eine Gemeinschaftstoilette oder ähnliches gehen müssen."
Oder für Frauen, die so sehr traumatisiert sind, dass sie jeden Kontakt meiden. Claudia Da Silva steht in dem funktionalen Flüchtlingszimmer, Betten aus hellem Holz stehen locker über Eck, orange-gelbe Bettwäsche schafft eine freundliche Atmosphäre. Die Leiterin des Marie-Schlei-Hauses, das die Arbeiterwohlfahrt betreibt, erzählt Aydan Özoguz, warum eine vermeintlich luxuriöse Unterbringung nötig sein kann – Standard in jeder Wohnung, aber beileibe nicht für Flüchtlinge. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung sucht praktische Anschauung im Umgang mit besonders Schutzbedürftigen.
"Für uns ist es eben besonders wichtig die Lücken zu finden: Wo sind besonders Lücken in unserem System, wo könnten wir noch sinnvoll tatsächlich etwas an dieser Stelle strukturieren?"
Wo? Überall, so scheint es. Die Flüchtlinge selbst sind überwiegend nicht in der Verfassung, mit Politikern und Journalisten zu reden. Claudia Da Silva berichtet von einer Osteuropäerin, konkreter will sie zum Schutz der Frau nicht werden.
"Das ist eine vergewaltigte und gefolterte Frau, die wir aufgenommen haben. Sie hat dann am ersten Abend schon einen Selbstmordversuch gemacht, kam dann in die Psychiatrie. Ich fand sie dann fixiert im Bett auf der Intensivstation und ich hab' dann gesagt, dass das nicht geht mit einer schwer traumatisierten Frau mit dem Hintergrund."
Wie viele Schutzbedürftige in Berlin ankommen, ist unklar
Die Einrichtungsleiterin dringt auf Verlegung und kann gerade noch verhindern, dass ein uniformierter Polizist neben der Frau im Krankenwagen mitfährt – es waren Uniformierte, die sie gefoltert und vergewaltigt hatten. Es fehle schlicht am Wissen über den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen, glaubt da Silva. Die kräftige Blondine spricht energisch, engagiert. Und es fehlt an Betreuung, sagt sie. Das Marie-Schlei-Haus im Berliner Nordwesten ist die erste solche Einrichtung in Berlin, mit 190 Plätzen, meist langfristig belegt.
"Die Forderung ist, dass sehr viel mehr Einrichtungen für besonders Schutzbedürftige geschaffen werden."
Sagt der Kreisvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt Manfred Nowak.
Besonders schutzbedürftig sind nach EU-Recht traumatisierte Gewaltopfer wie die Osteuropäerin. Es sind Alleinerziehende und Schwangere. Es sind Menschen mit Beeinträchtigungen, mit Lähmungen etwa oder Amputationen, Blinde. Opfer von Menschenhandel und mehr. Wie viele davon in Berlin ankommen, ist nicht bekannt. In jedem Fall aber sind es viel, viel mehr als die spezialisierten Unterkünfte aufnehmen können.
Drei weitere gibt es in Berlin, die nehmen aber auch andere Flüchtlinge auf. Wenn sie melden, dass Plätze frei sind, sagt Da Silva, würden diese gefüllt ohne auf den besonderen Zuschnitt zu achten. Es sind extreme Fälle, die die Anstaltsleiterin schildert. Von der traumatisierten taubstummen Afrikanerin, die nicht beim Amt vorsprechen konnte und deshalb ohne unbürokratische Hilfe keine Unterkunft bekommen hätte. Vom Beinamputierten Syrer, den Schlepper am Straßenrand ausgesetzt haben. Aber unter den Flüchtlingen gibt es von solchen Geschichten mehr.
Und die Integrationsbeauftragte Özoguz weiß, dass auch besonders Schutzbedürftige nicht immer die Hilfe bekommen, die sie brauchen.
"Wenn die Frauen überhaupt in der Erstaufnahme ankommen, wissen sie ja gar nicht: Wo bekomme ich Hilfe, wenn ich welche brauche. Deutsche Flyer nutzen da in der Regel nichts. Und da haben wir schon darüber nachgedacht, ob man nicht grundsätzlich über das Hilfesystem, was es ja in Deutschland gibt, aufklären müsste."
Da herrscht Einigkeit. Das wäre schon etwas. Es bleibt viel zu tun.
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