Flucht aus der Gefangenschaft

250 Jahre ist es her, dass der Komponist Georg Friedrich Händel das Licht der Welt erblickte. In seinem Oratorium "Israel in Ägypten" geht es, passend zum Pessach-Fest, um die Flucht der Israeliten aus Ägypten.
Georg Friedrich Händel ist nicht nur als Opernkomponist berühmt geworden. Er hat auch eine große Menge an Oratorien mit Figuren aus dem Tanach geschrieben. Während der Komponist historischen Figuren wie Saul, Salomon, Jephtha oder Joschua jeweils eigene Oratorien gewidmet hat, so thematisiert Händel in "Israel in Ägypten" die Flucht des jüdischen Volkes aus der Gefangenschaft. Mit den Klagen der Israeliten über ihr hartes Los in Ägypten beginnt der erste Akt.

Händel beginnt das Oratorium, indem er seinem Helden Moses einen standesgemäßen Auftritt arrangiert. Danach wendet er sich kunstvoll der Ausschmückung der zehn Plagen zu, von denen die Ägypter heimgesucht werden. Die Frösche, die tausendfach kreuz und quer über das Land hüpfen, scheinen förmlich greifbar zu werden. Musikalisch wird das Ganze bezaubernd in Szene gesetzt vom Countertenor Ashley Stafford und den Englischen Barocksolisten. Es dirigiert John Eliot Gardiner.

Für jede der Plagen findet Händel eine andere musikalische Ausdrucksform. Das Trinkwasser wird zu Blut, statt Regen kommen Hagelkörner vom Himmel, und all die Erstgeborenen sterben dahin. Und auch bei der Ausschmückung der großen Finsterniss übertrifft sich Händel. Das weiß auch der Musikwissenschaftler und Händel-Kenner Bernd Lamin:

"Man kann in diesem Fall tatsächlich von einem Chor-Tableau sprechen, also diese Szene, "Er sandte dicke Finsternis" ist ein Rezitativ, eigentlich immer nur Wortbrocken, die auf bestimmten Tonhöhen gesungen werden. Und das Interessante ist dieser merkwürdig schweifende Tonart, die dunkle Tonalität, allesamt Mollklänge, f-moll, h-moll es-moll, a-moll, und das bewirkt dieses Nebelverhangene, auch die Instrumentation, es fehlen die Blasinstrumente, es ist alles ein dicker Streicherklang ohne Höhen und Tiefen, was diese ungeheure Wirkung ausmacht. Eigentlich mit einfachen Mitteln, aber einfach genial. Dass er eben auch keine Tonart festmacht, man kann nicht sagen der Chor steht in der und der moll-Tonart, es ist immer ein Umkreisung."

"”Und dann die Nacht, eines der erstaunlichsten Kompositonen Händels überhaupt. Für mich persönlich ist diese Nacht, dieser Schrecken der Nacht oder hat für mich von der Kompositionsausdruck vom Stil den gleichen Effekt wie Sauls Begegnung mit der Hexe von Endor, weil auch dort Händel außerordentlich modern ist. Es ist eine unglaubliche Modernität, dieses Umkreisen von Tonarten, gar nicht das dingfest zu machen. Alles bleibt in einem Mollgewaber, der Chor flüstert beinahe, also gar nicht mal richtig gesungen, und es ist fast belastend wie eine schwere Depression, wie wenn man nachts auf dem Meer ist und es ist Flaute und es ist dunkel und der Sternenhimmel ist nicht zu sehen, es ist finstere Nacht, man sieht nichts und nichts bewegt sich, das ist schon erschreckend gut komponiert.""

Am Schluss des ersten Aktes teilt sich das Meer und die Israeliten entkommen aus der Gefangenschaft. Bis dahin ist das Oratorium eine packende Angelegenheit. Doch dann trifft Händel in dramaturgischer Hinsicht eine kuriose Entscheidung, die seine Zeitgenossen nicht nachvollziehen konnten. Denn der gesamte zweite Akt des Oratoriums besteht in einer Aneinanderreihung von Lobpreisungen des Helden Moses.

"Das Publikum war vielleicht in diesem Fall ein wenig überfordert, es sind ja gut 20 Chorsätze und da sind es nur vier Arien und drei Duette, diese große Masse an Chören, das ist Punkt A. Punkt B waren die ausführenden Chöre, schlecht vorbereitet, es war eine schlechte Aufführung, und drittens gab es Probleme, die Geistlichkeit sah es nicht gern, dass biblische Texte gesungen werden und auch noch nicht in der Kirche, sondern im Theater. Das war der Grund, weshalb der Moses durchfiel."

Der Geschmack des Publikums sollte sich schon rasch ändern. Im 19. Jahrhundert war "Israel in Ägypten" wegen seiner vielen Chöre neben dem "Messias" eines der beliebtesten Händel-Oratorien. So war etwa Felix Mendelssohn von "Israel in Ägypten" derart begeistert, dass er es 1833 erst in Düsseldorf und später in Leipzig aufführen ließ. Anlässlich des 100. Todestages von Händel wurde das Stück im Londoner Christal Palace aufgeführt: 2765 Sänger und 460 Instrumentalisten haben für ein rauschendes Fest für die Sinne gesorgt. Und das passt ja gut zu Purim.