Florida

Gruselig idyllisch

USA/ Florida - Orlando, Epcot Center; Future World
Schöne, neue Welt: Celebration basiert auf Disneys Idee des Epcot Centers in Orlando, Florida. © picture alliance / dpa / Foto: Friedel Gierth
Von Samuel Jackisch · 25.09.2014
Mit der Retortenstadt Celebration in der Nähe von Orlando wollte der Disney-Konzern die "perfekte Stadt" bauen. Herausgekommen ist ein unwirklicher Ort unter der Sonne Floridas, an dem es im Dezember täglich Seife schneit.
"Das Interessante an Celebration ist, dass es auf einer Vision von Walt Disney selbst beruht: EPCOT. Das ist eine Abkürzung für 'Experimenteller Prototyp der Gemeinde von morgen'. Diese Vision wollte er zunächst als echte Stadt bauen, dann ist es doch nur ein Freizeitpark hier in Florida geworden. Aber der Geist, der dieser Idee zugrunde lag, der ist später hier in Celebration Wirklichkeit geworden."
"New Urbanism" heißt das Stadtentwicklungs-Konzept, das die Zukunft des Wohnens nicht in anonymen Mega-Metropolen sieht, sondern in der Kleinstadt der wirtschaftlich "Goldenen" 50er- und 60er-Jahre: Kleine Wohnsiedlungen mit bezahlbaren Häusern sind über kurze Wege verbunden mit einem lebhaften Zentrum. Eine Utopie des mittelständischen Idylls.
Die Idee ist: "Lasst uns Häuser in einer Nachbarschaften bauen, in denen Menschen interagieren können. So wie es früher war, als wir noch nicht alle so isoliert voneinander gelebt haben. Ich selbst komme ursprünglich aus Manhattan, ich bin es also gewohnt eng aber anonym zu leben. Das hier ist anders: es erzeugt tatsächlich so ein Nachbarschaftliches Gefühl."
Schlechte Kopie des Originals
Auf europäische Besucher wirkt Celebration befremdlich. Wie eine schlechte, überfärbte Kopie des Originals, das lebendige Abbild eines billigen Klischees. Filme kommen einem in den Sinn wie "Truman Show" oder "Die Frauen von Stepford".
Carey hört das oft. Im Souvenirladen auf der Market Street, verkauft sie Celebration-T-Shirts, Pullover, Mützen, Kaffeetassen, Kugelschreiber und Kühlschrankmagneten. Die Touristen die hierher kommen, sagt sie, stellen ihr immer dieselben Fragen.
"Viele Menschen glauben, das hier sei alles nur eine Fälschung. Dass es keine echte Stadt wäre, sondern nur so hergerichtet, um es wie eine aussehen zu lassen. Sie sind dann immer sehr überrascht, wenn ich ihnen sage, dass das hier tatsächlich eine echte Stadt ist."
Celebration ist berühmt in den USA – und mitunter berüchtigt: Disney als Stadtvater, das klingt nach Straßenlampen in Mickey-Mouse-Form und Donald Duck als Springbrunnenfigur, doch nichts davon ist im Stadtbild zu sehen. Stattdessen wurden zum Beispiel die Bank und das Postgebäude von weltberühmten Architekten entworfen.
"Die Lautsprecher, die Musik, die Menschen die da entspannt am Wasser sitzen. Viele Leute denken sogar, das wären angestellte Schauspieler! Das ist manchmal echt lustig: Sie glauben ernsthaft, hier würden Menschen dafür bezahlt, mit dem Fahrrad durch die Gegend zu fahren, um alles ein bisschen echter aussehen zu lassen."
Schnee bei 30 Grad
Einige der Gerüchte über Celebration sind dagegen wahr, zum Beispiel die Sache mit dem Schnee: Jeden Abend vom 1. bis zum 31. Dezember, um punkt sechs, sieben, acht und neun Uhr abends schneit es in Celebration, bei 30 Grad im Schatten.
"Wir nennen es 'Schneife', weil es Schnee sein soll, aber eigentlich nichts weiter ist als Seife, denn hier in Florida schneit es natürlich nie. Aber es ist ein Riesenspaß! Dann kommt der Weihnachtsmann vorbei, wir haben einen großen Weihnachtsbaum, überall ist Musik – es ist einfach wunderbar. Eine tolle Stadt. Die viel Spaß macht."
Am Ende der Market Street beginnt die Uferpromenade, an den großen, mit Seerosen dekorierten Teich. Lake Rianhardt, benannt nach Dick Rianhardt, ein mittlerweile verstorbener Bürger, der 2004 das jährliche Wett-Angeln zum Gründungstag der Stadt eingeführt hat, erklärt eine Gedenktafel. Am Ufer sitzt Matt, der gerade erst hergezogen ist. Anfang 30, das Basecap leicht zur Seite gedreht, in der Hand das neueste Smart Phone.
"Ich denke, das hier ist einfach der Inbegriff des Amerikanischen Traums: Freundliche Leute, freundliche Umgebung. Du mähst deinen eigenen Rasen, hast deinen eigenen Pool, zwei Autos und ein Fahrrad vor der Tür. Du gehst die Straße entlang und von zehn Leuten sagen zehn ´Hallo!`, auch wenn du sie gar nicht kennst. Alle hier sind super-freundlich, wie eine Familie."
Entlang der Promenadenstraße mit seinen Wasserspielen bietet Celebration ein Bild aus der "guten alten Zeit" Amerikas: ein Hotel mit kolonialer Fassade, ein viktorianisches Restaurant und ein Kino im Art Déco-Stil mit senkrechter gelber Leuchtschrift „CELEBRATION“. Um den Schriftzug auf ein Foto zu bekommen muss Avigail ein paar Schritte zurück gehen. Die gebürtige Israelin ist Dozentin für Architektur und Stadtentwicklung in Kalifornien wollte immer schon hierherkommen. Doch was die nun von einer Stadt halten soll? Avigail ist sich nicht ganz sicher.
Im Besitz des Disney-Konzerns
"Mein Problem, das ich mit diesem Ort habe, ist die Tatsache, dass es auf dem privatem Grund und Boden eines Unternehmens gebaut ist, das dem Disney-Konzern gehört. Es sieht zwar aus wie ein öffentlicher Ort, so wie Sie ihn aus Deutschland kennen, oder ich aus Jerusalem, aber das ist alles nicht real! Deshalb bin ich hin- und hergerissen: Zwischen der Tatsache einerseits, dass dieser Ort überhaupt existiert, im Gegensatz zu all den langweiligen Vorortsiedlungen und Einkaufszentren. Auf der anderen Seite finde ich das hier einfach nicht echt. Weil es nicht öffentlich ist, weil es so viele Regeln gibt, und all das hier Privatbesitz ist."
Zwar hat sich der Disney-Konzern inzwischen offiziell zurückgezogen, regiert wird Celebration aber nicht von einem gewählten Bürgermeister, sondern von einer Betreiber-Gesellschaft. Stromversorger, Telefongesellschaft und Grünflächenbetreiber sind Tochterunternehmen – und die machen die Regeln: Nur wer ein Bewohner der Stadt ist oder deren Gast darf den Spielplatz oder das Schwimmbad besuchen. Für Avigail ist das alles ziemlich fragwürdig.
"Die Tatsache, dass es hier keinen Raum gibt, in dem sich Dinge unabhängig entwickeln können. Alles hier wurde einfach hingestellt, und fertig. Als Architektin glaube ich aber viel mehr an ein langsames, schrittweises, ein – wenn man so will – ´unordentliches` Wachstum, das dafür öffentlich ist und manchmal auch umstritten."
Streit ist nicht vorgesehen in Celebration, dafür sorgt ein dicker Katalog an Regeln und Vorschriften: Wer sein Haus streichen will, hat genau sechs Farben zur Auswahl. Wer seinen Rasen nicht gründlich trimmt, bekommt eine Verwarnung. Shirlei DeVito findet das nicht schlimm. Im Büro der Immobilienmaklerin an der Celebration Avenue läuft das offizielle Werbevideo der Hausbesitzergemeinschaft in Dauerschleife.
"Wie in jeder Planstadt gibt es hier Regeln und Vorschriften. Sie richten sich jedoch vorrangig danach, den Wert des Eigentums zu erhalten. Du darfst zum Beispiel dein Haus nicht schwarz anzustreichen, weil das eben nicht zum Rest der Gemeinde passen würde. Celebration ist da keine Ausnahme, auch wenn es hier vielleicht ein paar mehr Regeln sind, weil wir Disney hier hatten."
Utopia nur für Reiche
Die konstante Wertsteigerung der letzten Jahre ist für Celebration zum Segen und Fluch gleichzeitig geworden: Jahrelang haben die Komitees für Bewerber um einen Platz in Celebration versucht, Disneys Idee aufrechtzuerhalten, von einer sozio-ökonomischen Durchmischung von arm und reich. Den rasanten Preisanstieg für Häuser und Apartments konnten sie trotzdem nicht aufhalten. Heute sei Celebration nicht mehr für jedermann, sagt Shirlei, und lässt es klingen, als sei das etwas Gutes, etwas Exklusives.
"Es geht immer um Angebot und Nachfrage. Es gibt genug leere Häuser rund um Celebration herum, aber nicht hier in der Stadt. Das führt dazu, dass Celebration in eine eigene Kategorie fällt – es ist eine Marke geworden. Für die bezahlt man und deshalb sind die Preise hier natürlich höher, als außerhalb. Aber es gibt für jeden etwas: Wenn Sie eine Einzimmerwohnung suchen, können sie die hier kaufen. Wenn Sie lieber eine Villa wollen, dann können sie die hier natürlich auch kaufen."
Seit 2000 hat sich der mittlere Verkaufswert eines Hauses in Celebration mehr als verdoppelt. Kein schlechtes Geschäft für Spekulanten. Die Folgen der Preisentwicklung in Celebration kennt Bill nur allzu gut. Der kleine stämmige Mann mit den grauen Haaren betreibt eine Reinigung auf der Market Street, zusammen mit seiner Frau. Aus dem Norden sind sie nach Florida gezogen, weil die Ärzte ihnen das wärmere Klima empfohlen hatten. Eigentlich sind sie im Ruhestand, doch weil das Geld nicht mehr reicht arbeiten beide weiter.
"Diese Stadt wird schon als etwas vornehm angesehen. Es gibt hier einfach eine Menge Leute mit einer Menge Geld. Früher waren hier mal eine Menge Leute ohne Geld, es war ein guter Mix. Heute stehen hier mehr teure Häuser, man hat sich entwickelt."
Mit der Immobilienkrise von 2007 sei alles noch schlimmer geworden, erzählt Bill: Auch in Celebration gab es Zwangsvollstreckungen, wie überall in den USA wurde aus dem Haus geworfen, wer seine Hypotheken nicht mehr bedienen konnte. Übrig geblieben seien vor allem einkommensstarke Familien der Mittel- und Oberklasse, dazu ein paar betagte Pensionäre.
"Das ist hier fast überall so: Entweder haben sie junge Kinder oder sie sind schon in ihren 80ern. In meiner ganzen Straße ist das so. Man kommt hier nicht so sehr zusammen als Nachbarschaft, wie wir das aus dem Norden gewohnt waren."
Die vergessene Idee des Miteinanders
"Eine Stadt wie jede andere" sei Celebration, sagen seine Bewohner – und meinen damit weniger die kitschigen Fassaden, oder das Glockenspiel, das jeden Tag um 18 Uhr die Erkennungsmelodie der Gemeinde spielt. Wie an so vielen Orten der USA auch ist in Celebration von einer Idee des idealen Miteinanders nicht mehr geblieben, als ein Städtchen der weißen Oberschicht, eine gescheiterte Utopie. In Celebration hat man damit ebenso wenig ein Problem wie anderswo in den USA.
Auch Scott nicht, der freundliche Fremdenführer von der Market Street. Ob er sich als New Yorker wirklich wohlfühlt, unter all dem Biedermeier mit seinen künstlichen Seen, künstlichen Mieten und künstlichem Schnee? Nein, die Entwicklung der vergangenen Jahre sei vielleicht nicht unbedingt eine gute gewesen. Aber:
"In Manhattan habe ich früher immer genossen, dass alles so heterogen ist und multikulturell. In Celebration ist zwar alles etwas homogener, aber jeder Ort hat eben seine Stärken und Schwächen. Jetzt, wo ich eine Dreijährige großziehe, finde ich es großartig, dass sie einfach so auf die Straße laufen kann oder im Park herumtoben kann. Und wenn ich diese Freude sehe, die mein Kind hier hat, das ist so unverfälscht. Selbst wenn die Stadt und der See und der Schnee künstlich sind – diese Gefühle sind echt."