Florian Werner liest Musik

Schillers "Räuber" als Rockoper

Reimer Bustorff (l-r) und Marcus Wiebusch, Musiker der Band Kettcar sowie Daniel Karasek, Generalintendant des Schauspiels Kiel, vor dem Plakat zur Inszenierung "Die Räuber"
Indie-Rocker spielen Schiller: Reimer Bustorff und Marcus Wiebusch von "Kettcar" mit dem Kieler Generalintendanten Daniel Karasek © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Von Florian Werner · 30.06.2016
Beim Sommertheater in Kiel feiert eine Neufassung von Friedrich Schillers "Die Räuber" Premiere. Nicht nur spannend für Theaterfreunde: Die Indie-Rocker der Hamburger Band Kettcar spielen den Soundtrack zu dem Stück. Florian Werner hat sich "Tod oder Freiheit" angehört.
"Wir atmen Guillotine
Wir schmecken einen Galgen
Zerfetzt unsere Körper, brecht unsere Knochen
Ihr könnt uns niemals aufhalten."
Es ist ein alter Topos, bewährte Punk-Attitüde: Tod, Folter, Verstümmelung drohen - aber das kann uns, die Sänger, Sprecher, den Chor, nicht einschüchtern. Ihr mögt die Macht haben - wir haben den Durchhaltewillen. Ja, im vorliegenden Fall sogar die Unsterblichkeit:
"Uns kann nichts töten
Nichts, kein Heer und keine Armee."
Aber wie ist das möglich?
"Wir sind eine Idee
Freiheit oder Tod
Und ihr könnt niemals umbringen
Was in unserem Inneren wohnt"
Klar: Die transzendente Ideenwelt ist gegen schnöde irdische Mordinstrumente wie Galgen und Guillotine immun. Obwohl man sich fragen kann, ob nicht auch die beste Idee einen Kopf aus Fleisch und Blut, am Besten mit Rumpf untendran, braucht, um in der Kohlenstoffwelt verwirklicht zu werden.
"Tod oder Freiheit
Wir wollen Tod oder Freiheit
Wir wollen Tod oder Freiheit
Wir wollen Tod oder Freiheit."

Refrain ist wörtliches Zitat von Schiller

Der Refrain - und zugleich der Titel - des Songs stammt nicht aus der Feder der beiden Kettcar-Musiker Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff, sondern ist ein wörtliches Zitat von Friedrich Schiller. "Tod oder Freyheit" - das ist der Wahlspruch, mit dem sich die "Räuber" in Schillers gleichnamigem Drama gegen die Auslieferung ihres Hauptmanns Karl Moor wehren.
"Kein Gott, kein Staat
Kein Herrscher und kein Apparat
Kein Knecht, kein Diener
Kein König und kein Hohepriester
Sprengt - die Ketten
Zerfetzt - die Fesseln
Zertrümmert - die Ordnung
Zertrümmert - die Ordnung!"
"Kein Gott, kein Staat": Im neunzehnten Jahrhundert wurde das anarchische Freiheitsstreben der Räuber als Absage an den Absolutismus verstanden. Aber "kein Apparat"? Das tönt heute, in der chaotischen Woche nach dem britischen Referendum, eher wie eine Absage an die EU und den Brüsseler Bürokratismus.
"Ich fühle eine Armee
Armee in meiner Faust
Die Faust will die Idee
Und hier bricht sie aus."
"Izt sind wir frey – Kameraden! Ich fühle eine Armee in meiner Faust": Diesen Gedanken von Karl Moor mögen auch so manche Brexit-Befürworter im Kopf gehabt haben, als sie, den Stift in der geballten Hand, ihr Kreuzchen für den Austritt machten. Ob ihr "Ausbruch" allerdings tatsächlich zu größerer Freiheit führt oder doch eher, wie im Schillerschen Trauerspiel, zu neuer Gefangenschaft, bleibt abzuwarten. Bislang handelt es sich ja nur um eine …
"… Idee!"
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