Florian Frerichs über seinen Film "Das letzte Mahl"

"Die Normalität des Wahnsinns"

Aufnahme von Oben. Filmszene aus "Das letzte Mahl". Die Familie Glickstein beim Tischgebet.
Die Familie Glickstein beim Tischgebet. © Warnuts Entertainment/Apollo Flim
Von Carolin Pirich · 30.01.2019
In "Das letzte Mahl" kommt eine jüdische Familie am 30. Januar 1933 zum Essen zusammen. Regisseur Florian Frerichs schildert darin Hitlers Machtübernahme durch ihre Augen. Am Mittwoch wird der Film in mehr als 130 Kinos bundesweit gezeigt.
Florian Frerichs: "Wir sind hier an einem Gleis, von dem aus die Berliner Juden transportiert worden sind in die Konzentrationslager. Hier standen Tausende von Juden, die es nicht glauben konnten, was ihnen hier passiert, in ihrer eigenen Stadt."
Gleis 17, S-Bahnhof Grunewald. Jenseits der Bahnstrecke der winterliche Wald. Diesseits gepflegte Villen. Das mondäne, reiche Berlin war hier auch vor 86 Jahren mondän und reich, als Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde.

Es ist ein eiskalter Januarnachmittag, die Sonne steht tief und leuchtet auf den stillgelegten Bahnsteig, heute ein Mahnmal. Florian Frerichs, ein großer Mann Mitte 30, ist in schwarz gekommen, schwarze Jacke, schwarze Hose, die Sonnenbrille: ziemlich dunkel.

"Wir sind doch Deutsche, was soll uns passieren"

Florian Frerichs: "Ich bin bei meinen Recherchen darüber gestolpert, dass besonders in Berlin viele Juden lange das ignoriert haben, dass ihnen etwas zustoßen könnte. Weil sie gedacht haben: Wir sind doch Deutsche, was soll uns passieren."
Aus der Recherche ist Florian Frerichs erster abendfüllender Spielfilm geworden: "Das letzte Mahl". Eine jüdische Familie kommt am 30. Januar 1933 zum Abendessen zusammen. Die Tochter beschließt, nach Palästina auszuwandern. Der Sohn, überzeugt von den nationalsozialistischen Ideen, will los zum Fackelzug der SA am Brandenburger Tor.
Florian Frerichs: "Eigentlich möchten wir ein Abbild der deutschen Gesellschaft geben, aber eben durch die Augen einer jüdischen Familie, die genauso deutsch ist und deutsch gedacht hat wie alle anderen auch, da gibt es alle politischen Richtungen. Die Normalität des Wahnsinns. Und darum geht es in unserem Film."


Florian Frerichs ist in Berlin-Wilmersdorf aufgewachsen, radelt als Jugendlicher nach der Schule oft in den Grunewald. Er nimmt eine Videokamera mit und einen Freund, der Sprengkörper bastelt. Tief im Wald zünden sie sie und filmen die Explosionen.
Beim Dreh von "Das letzte Mahl". Die Familie Glickstein beim Tischgebet.
Filmszene von "Das letzte Mahl". Die Familie Glickstein beim Tischgebet.© Warnuts Entertainment/Apollo Flim
Bis heute fasziniert ihn das: Vor dem Film "Das letzte Mahl" hat Frerichs Science-Fiction-Kurzfilme gedreht. In denen kracht es, gewaltig sogar. Die Kurzfilme lassen an die überzogene Gewalt von Tarantino-Filmen denken. Frerichs entwirft darin Dystopien, in denen es immer einen gibt, der sich gegen das System stemmt:
"Ich hab mal was Gutes bei Nietzsche gelesen, der gesagt hat: Ein Autor möchte diese Figuren schreiben, die er selbst nicht ist."

Idee zum Film entstand mit Geschichtslehrer

"Das letzte Mahl" ist Frerichs' erster Langspielfilm, eine Art Kammerspiel. Entwickelt hat er die Idee mit Stephan Warnatsch, seinem früheren Geschichtslehrer. Mit ihm schreibt er heute Drehbücher und produziert die Filme selbst. Der neue Film sollte wieder Science Fiction sein, eine finstere Zukunftsvision, aber:
"Die ultimative Dystopie, die hatten wir hier schon. Die gab es bei uns in Deutschland."
Hitlers Machtübernahme - und das, was folgen sollte, aber sich noch kaum jemand vorstellen konnte. Als er für den Film recherchiert, trifft Frerichs Juden in Berlin. Er spricht mit ihnen darüber, wie ihre Großeltern und Eltern die Zeit erlebt haben. Eine seiner Gesprächspartnerinnen ist Daphna Rosenthal.
"Ihr Großvater, der konnte das nicht glauben. Der wurde noch gewarnt am Tag bevor die Gestapo zuschlug und ihn verschleppt hat. Da hat ihn jemand gewarnt, geh´ nicht zur Arbeit. Er ist dann trotzdem gegangen. So haben wir ein sehr persönliches Profil geschaffen. Ich glaube, dass der Film authentisch erzählt. Wir wollten wirklich aus der Perspektive erzählen, um das verständlich zu machen."
Im Film spielt Daphna Rosenthal die Großmutter der Familie Glickstein. Authentisch sollte auch das Mahl sein, das die Familie gemeinsam einnimmt, jüdisch-deutsche Küche der 30er-Jahre. Die Kleidung der Schauspieler besteht aus Originalen bis hin zum überdimensionalen BH und dem steifen Stoff der Anzüge.
Im vergangenen Jahr lief der Film bereits auf einigen Festivals in Europa und den USA.

Damals und heute: Wenn wir "die Augen verschließen"

"In unserem Film verschließen Teile der Familie Glickstein die Augen vor dem, was dort passiert. Ich habe das Gefühl, dass wir auch vor gewissen Strömungen die Augen verschließen."
Das wird schon nicht so schlimm werden, denkt man sich leicht, sagt Frerichs. Man hat ja zu tun. Der Alltag. Der Job. Die Kinder. Das sei ja auch verständlich. Nur:
"Das Fatale ist immer die schweigende Mehrheit. Leute, die einfach geschehen lassen."

Der erste Spielfilm "Das letzte Mahl" (2017) von Florian Frerichs, der am Abend der Machtergreifung Hitlers in Berlin spielt, wird bundesweit am Mittwoch, 30.1.2019 um 20.00 Uhr in mehr als 130 Kinos in der Hauptvorstellung präsentiert. Sie sind einem Aufruf der Produzenten und des Verleihs gefolgt, ein Zeichen gegen rechts zu setzen.

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