Flaggenstreit in Massachusetts

Mit Lendenschurz und Schwert

Von Nora Sobich · 28.09.2020
Audio herunterladen
In Massachusetts wird unerbittlich über die Flagge des US-Bundesstaates gestritten. Wie unter einem Brennglas wird dabei der tiefe Spalt in der amerikanischen Bevölkerung sichtbar: Liberale und Linke gegen Trump-Anhänger.
Vor dem Abgeordnetenhaus von Massachusetts, gleich gegenüber dem alten Stadtpark Bostons, ist viel los. Einige Dutzend Trump-Anhänger sind gegen eine geplante Polizeireform aufmarschiert.
Jack steht neben der Ladefläche seines Pickups und malt noch die rechte Parole "Back the Blue" auf ein Protestschild, als vor dem Abgeordnetenhaus schon eine nächste Kundgebung beginnt, die Amerikas radikalisiertes rechtes Lager noch mehr aufwühlt: "Change the Mass Flag" - Ändert die Flagge!

"Mit Waffen suchen wir Frieden und Freiheit"

Auf der ist ein mit Lendenschurz bekleideter Indianer unter einem erhobenen Schwert abgebildet, dazu steht dort auf Kauderwelsch-Latein: "Mit Waffen suchen wir Frieden und Freiheit."
Der Flaggenindianer, gegen den Neuenglands Algonkin-Indianer schon seit Jahrzehnten kämpfen, stammt von 1775 und geht auf das alte englische Kolonialsiegel der Massachusetts Bay Kolonie von 1629 zurück. Zusammen mit dem Schwert, mit dem die Kolonisten eigentlich gegen die Vorherrschaft des englischen Mutterlands aufbegehrten, stößt die imperiale Symbolik heute als gewaltsam und rassistisch auf.
Jetzt auch noch die Flagge ändern zu wollen, geht Jack deutlich zu weit. Die Flagge sei ja auch gar nicht verächtlich gemeint, vielmehr ein Zeichen des Respekts, findet er. Ohne die Native Americans hätten die Pilgerväter ihren ersten Winter und die folgenden Jahre gar nicht überlebt. Der Bundesstaat hätte nicht mal einen Namen.
Neben Jacks Pickup steht ein älterer Mann und nickt: Er trägt einen "Trump 2020"-Button, die obligatorische "Make America Great again"-Basecap und hat einen Stapel Flyer dabei: "Jesus helps". Jesus hilft. Angeblich auch gegen Corona. Gegen die Änderung der Flagge wahrscheinlich aber nicht.

Vor 400 Jahren erreichte die Mayflower die Neue Welt

In Massachusetts haben zehn Prozent der Gemeinden und auch der Senat bereits einer Änderung zugestimmt. Die kritischen Stimmen sind seit der wieder aufgeflammten Rassismusdebatte lauter geworden, auch wegen des anstehenden Großjubiläums: Im November vor 400 Jahren erreichten auf der Mayflower die Pilgerväter die Neue Welt.
Anschließend, so der beschönigende Gründungsmythos, feierten die Glaubensflüchtlinge aus Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme mit ihren indigenen Gastgebern ein erstes Thanksgiving, Erntedankfest. In der Gründungslegende kommen Gewalt und Genozid nicht vor. Alles verlief friedlich wie im Märchen.

Ein zerrissenes Land

In der Auseinandersetzung mit den Gräueltaten des Kolonialismus, die jetzt weltweit stattfindet, seien Europa und selbst Kanada den USA um viele Schritte voraus, meint der Aktivist David Detmold. In Massachusetts habe der Kolonialismus begonnen, und dort müsse jetzt die Erzählweise geändert werden. Die Beseitigung rassistischer Symbole und weißer Deutungsmacht ist für David dabei bloß ein Anfang.
Solche Dekolonisierungsforderungen grenzen für die Trump-Anhänger vor Massachusetts Abgeordnetenhaus schon an Landesverrat. In dem zerrissenen Land geht es wieder unerbittlich zu wie in alten Kolonialzeiten: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.
Mehr zum Thema