Flächensuchhunde

Die Retter tragen Orange und Glöckchen

07:13 Minuten
Ein brauner Rüde steht im Gras vor einem Wald. Er trägt eine orangefarbene Kennndecke mit der Aufschrift "Rettungshund"
Knut, der Hund von Betty Menken, hat vergangenes Jahr in der Prüfung für Rettungshunde die Note "vorzüglich" bekommen. © Deutschlandradio / Anh Tran
Von Anh Tran · 11.02.2020
Audio herunterladen
Flächensuchhunde spüren vermisste Menschen auf – und retten so manches Leben. Ein tierisches Ehrenamt, das auch den Hundehaltern einiges abverlangt: Dreimal wöchentlich wird trainiert.
"Hier! Hier! Hier rüber!" Hundeführerin Betty Menken ruft nach Knut, ihrem sechsjährigen braunen Dobermannrüden. Sie trainieren gemeinsam für die diesjährige Rettungshundeprüfung. "Knut! Fuß. Sitz."
"In der Prüfung wäre das jetzt so: Der Leistungsrichter würde hier mit der Prüfungsleitung stehen. Dann bekommt sie gesagt, wo ihr Suchgebiet ist. Der Knut muss da jetzt in Ruhe ablegen und warten. Sie pudert jetzt und guckt, wie sie die Suchtaktik festlegt. Und er kann’s nicht abwarten", erklärt Sarah Busshoff, Vorsitzende der freiwilligen Rettungshundestaffel Wesel.
Mit Babypuder kontrollieren die Hundehalterinnen und –halter die Windrichtung. Je nachdem, in welche Richtung der Wind weht, nimmt der Hund besser oder schlechter eine Fährte auf. Auch Busshoff und ihr Hund Rock trainieren heute für die Prüfung, die bald ansteht.

Ein TÜV für Rettungshunde

Jedes Jahr müssen die Flächensuchhunde die Prüfung wiederholen, Busshoff spricht liebevoll vom jährlichen TÜV für Hunde. Um den zu bestehen müssen Knut, Rock und die anderen Hunde ein 30.000 Quadratmeter großes Gelände nach menschlicher Witterung absuchen. Das sind ungefähr zwölf Fußballfelder, sagt Busshoff. Die Hunde haben dafür nur 25 Minuten Zeit.
Gesucht wird auch im Training nach echten Menschen. Dafür müssen wir uns erstmal verstecken.
Reporterin: "Ich bin jetzt schon Versteckexpertin."
Helferin: "Ja, man kriegt da relativ schnell einen Blick für, ne? Wo kann man sich denn – ich werde dann auch immer ganz kreativ. Wenn ich einen Baum habe oder was, wo ich drauf klettern kann, mache ich auch gerne so."

Dann heißt es abwarten, eingekesselt zwischen einer entwurzelten Kiefer. Es hat den ganzen Morgen geregnet. Ich sitze auf dem nassen Waldboden. Die Helferin hat mir immerhin ihr Sitzkissen geliehen. Sie selbst hockt neben mir zwischen dem Geäst. Still, wie auf der Flucht vor einem Mörder, harren wir aus – bis es klingelt. Gefunden! Die Hundehalterin gibt das Signal, wir dürfen aus unserem Versteck kommen.
Eine Frau hockt im Unterholz, vor ihr ein Hund.
Training für die Prüfung: Knut hat die Reporterin gefunden. © Deutschlandradio / Anh Tran

Eine Belohnung für Knut

Die Ausbildung funktioniert nach dem Prinzip der klassischen Konditionierung. Wenn die Hunde den Ablauf richtig befolgen – heißt: in den Wald rennen, nach der richtigen Fährte schnüffeln und den gefundenen Menschen mit Bellen anzeigen – dann gibt es eine Belohnung. Die kann unterschiedlich ausfallen: von Leckerli bis Ball spielen. Knut bekommt heute ein quietschendes Gummihuhn.
Die Rettungshunde tragend eine leuchtend orangefarbene Kenndecke. Daran sind Glöckchen angebracht, die immer hörbar machen, wo der Hund sich gerade befindet. Das ist vor allem bei Einsätzen auf unübersichtlichem Gelände oder in der Nacht wichtig.

Rettungseinsätze rund um die Uhr

Ein Notruf kann die Freiwilligen jederzeit erreichen, sagt Zugführer Hendrik Zukowski:
"Wenn wir die Alarmierung kriegen, dann werden alle alarmiert, auch gerade nachts, wenn man nicht gerade Schichtdienst hat, dann weiß man: Ok, man muss dann eben um zwei Uhr aus dem Bett. Und eventuell sucht man dann bis sechs Uhr morgens und fährt dann nach Hause, zieht sich um und fährt dann zur Arbeit."
Als Zugführer der Staffel koordiniert Zukowski jeden Einsatz. Das heißt: Vor Ort teilt er die Suchtrupps aus Hund, Hundehalterin und Helfer und die Suchgebiete ein.
"Je nach Bewuchs oder Steilhanglagen oder so was, dann machen wir das Suchgebiet natürlich viel kleiner. Oder im Hochsommer. Dann sind die 20 Minuten, 25 Minuten in der Suche. Dann kommen sie wieder zurück in den Einsatzwagen."

Menschen erschnüffeln ist anstrengend

Denn die Hunde müssen sich regelmäßig erholen, die Suche ist anstrengend für die Tiere, erklärt Zukowski:
"Wenn die arbeiten und diese Witterung suchen. Das ist eine sehr intensive Arbeit für die Hunde. Da kannst du zwei Stunden Fahrrad fahren. Dann sind die nicht so kaputt wie wenn die zehn Minuten intensiv mit der Nase arbeiten, weil das kognitiv für den Hund viel anstrengender ist."
Ein Aunstralian Shepherd mit Kenndecke mit der Aufschrift "Rettungshund"
Auch der Australian Shepherd Rock, der Hund von Sarah Bushoff, gehört zum Team der Rettungshunde. © Deutschlandradio / Anh Tran
Die harte Arbeit der Hunde kann im Ernstfall Leben retten. An einen seiner letzten Einsätze kann sich Zukowski noch besonders gut erinnern:
"Da waren wir hier in Schermbeck. Da gibt es ein Lühlerheim, das ist so ein Wohnheim für ehemalige Obdachlose oder Alkoholiker. Und da war eine männliche Person abgängig gewesen, die auch irgendwie zwei Tage vorher aus der Psychiatrie entlassen wurde und eventuell unter Wahnvorstellungen unterwegs war. Dieses Heim war sehr ländlich gelegen, also im Umkreis von 15 Kilometern waren nur Wälder, Wiesen. Und da war eventuell die Vermutung, weil auch ein Hubschrauber erst im Einsatz war, dass er ertrunken wäre. Wir konnten ihn dann Gottseidank in der Nähe des Heims auffinden."
Nachts, nach 1,5 Stunden Suche.

Ehrenamtliche Unterstützung für die Polizei

Ein Einsatz läuft immer Hand in Hand mit der Polizei ab. Die beschäftigt zwar selbst Hunde, diese sind aber oftmals anders ausgebildet – können beispielsweise die Spur eines Menschen ganz genau nachverfolgen. Auf weitläufigem Gelände, wie im Wald oder auf Feldern, ergänzen die Flächensuchhunde die Arbeit der Polizei.
Geld bekommt die freiwillige Rettungshundestaffel dafür allerdings nicht. Trainings und andere Ausgaben werden durch Spenden, Sponsoren und Mitgliedsbeiträge finanziert. Vorsitzende Sarah Busshoff hat Verständnis, dass die öffentlichen Gelder knapp sind:
"Weil die natürlich auch nur begrenzt Budget haben, ne? Ich glaube, das ist eben auch eine Frage, wie sie das begründen könnten. Und alles, was natürlich zusätzlich kostet, das machen sie natürlich nicht so gern, ne?"

Drei Trainings pro Woche

Zur Mittagspause sitzen alle gemeinsam auf dem Parkplatz im Campingstuhl oder in ihren Kofferräumen. Für die Menschen gibt es Kaffee aus der Thermoskanne und Schnitten von Zuhause. Für die Hunde gibt es extra Hundefleischwurst.
Jedes Wochenende trainiert das Team, 16 Stunden lang, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Donnerstags gibt es ein optionales Training – nochmal vier Stunden.
Fehlen ist zwar hin und wieder erlaubt, auch an diesem Wochenende sind nicht alle 21 Menschen und 23 Hunde dabei. Trotzdem: Warum tut man sich das an?
"Überzeugung!" "Aus Überzeugung, genau." "Und einen an der Klatsche haben."
"Durch meinen Hund kam bei mir überhaupt die Idee, dass ich sowas machen möchte", sagt Sarah Busshoff. "Also hat mich mein Hund überhaupt dazu geleitet. Und ich war dann hinterher immer mehr davon überzeugt, dass das eine gute Sache ist, womit ich auch irgendwo meinen Beitrag in der Gesellschaft leisten kann, Menschen zu retten."

Ein "Vorzüglich" für Knut

Betty Menken und Knut reisen für die Trainings sogar aus dem Münsterland an den Niederrhein. Dafür sei sie heute schon vor sieben aufgestanden, sagt sie. Das mache sie gerne:
"Das ist ja mein bester Freund, der Knut, meine große Liebe. Der hatte letztes Jahr Prüfung: 30.000 Quadratmeter, keine fünf Minuten – und hat ‚vorzüglich‘ bekommen. Das ist noch besser als ‚sehr gut‘. Und ich hab‘ voll geheult."
Mehr zum Thema