Finnlands Popvermächtnis

Humppa und Luftgitarrespielen

Die Leningrad Cowboys, aufgenommen am 27.05.2012 auf dem Schloßgrabenfest in Darmstadt.
Die Leningrad Cowboys mit ihren spitzen Tollen im rechten Winkel. Alle Hörnchenträger waren neidisch. © picture alliance / dpa / Susannah V. Vergau
Von Laf Überland · 06.12.2017
Die spitzen Tollen der Leningrad Cowboys oder die Latexmasken von Lordi fallen einem ein, wenn man an finnische Bands denkt. Neben Metal und Tango kommt aus diesem Land auch ein ganz eigener Stil wie Humppa, mit der man dort die Charts der Welt nachspielt.
Es ist doch überaus erstaunlich, auf was für Ideen Menschen so alles kommen, wenn es ein halbes Jahr lang nicht hell wird und sie nichts anderes tun könnten als Nachtwanderungen machen den lieben langen Tag und Depressionen kriegen oder eben seltsame Sachen anstellen – zum Beispiel sich die Haare als dicke spitze Tollen an der Stirn im rechten Winkel einen halben Meter weit nach vorne toupieren, sodass sie manchmal sogar länger sind als die unglaublich langen Spitzen der Leningrad-Cowboy-Stiefel.

Musik der Tundra und der Wodkaparties

Allen Hörnchenträgern aus den Rock- und Sonstabilly-Szenen wurden vor Neid die einlackierten Tollen ganz schlabbrig damals Ende der Achtziger – selbst, als die finnischen Cowbillies mit dem Chor der Roten Armee sangen. Aber vor allem sandten die Leningrad Cowboys erste Signale von der Seltsamkeit finnischer Popmusik in die außerfinnische Welt und von deren Freude an laut polternder und polkander Musik der Tundra und der Wodkaparties.
Diese Musik heißt Humppa und war mal eine finnische Variante des Foxtrott, klingt aber heute eher wie Ska, nachdem nämlich die überalterte Musik der Sechziger von einer Band namens Eläkeläiset (auf deutsch "Die Rentner") den Stil wieder in die Jugendkneipen brachten, indem sie eigentlich die gesamten Charts der Welt, ob Michael Jackson, Black Sabbath oder Van Halen, als Humpaa nachspielte.

Von finster bis fröhlich

An eigenen Stilen haben die Finnen nicht so viel hervorgebracht außer Humppa und Luftgitarrespielen. Aber dafür sind sie Weltmeister im Metal! Von finster bis fröhlich ist alles dabei und Hitparadenrock sowieso. Inzwischen hat Metal in Finnland den Schlager als Mainstream abgelöst: Die Encyclopaedia Metallum zählte im Jahr 2016 630 Metalbands auf eine Million Einwohner: fast zehn Mal so viel wie in England.
Angeblich liegt diese Beliebtheit daran, dass Metal so gut die finnische Seele ausdrücken kann: Melancholie, Isolation und Trotz – in einer enormen Palette von Metal-Unterstilen. Und die Welt weiß das spätestens, seit die grotesk maskierte Latexmasken-Zombiecombo Lordi 2006 tatsächlich den Eurovision Song Contest gewann.

Melancholie des finnischen Tango

Diametral entgegengesetzt ist die Melancholie des finnischen Tango: Der ist nun keine Kopie des Argentinischen, ist nicht so machohaft sentimental, sondern tieftodtraurig – eigentlich: Denn der Volksheld des finnischen Tango M. A. Numminen ist eine Art finnischer Helge Schneider, krächzt herzerweichend meist auf Deutsch und hat neben Liedern über geschiedene Frauen, traurige Pferde und schweigende Telefone tatsächlich ein Traktat des Philosophen Wittgenstein vertont.
Natürlich kommen und gehen auch in Finnland inzwischen die globalisierten Trends: Mit der letzten Jahrzehntwende war vorübergehend Elektropop zum Spitzentrend der finnischen Popmusik geworden. Aber was das Unverwechselbare der finnischen Popmusik ausmacht, das bleiben die Sturheit und diese fast schmerzhafte Skurrilität, und die werden jede Globalisierungsinvasion überdauern.

Programmtipp: Konzert, 6.12.2017, 20:03 Uhr "Festkonzert 100 Jahre Finnland - blau weiß stolz melancholisch", Aufzeichnung aus dem Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin

Mehr zum Thema