Filmstart

"Es fliegt einem bereits alles um die Ohren"

Die amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt
Regisseurin Kelly Reichardt bei der Premiere von "Night Moves" beim Filmfestival von Venedig 2013 © dpa / picture alliance / Ettore Ferrari
Moderation: Susanne Burg · 16.08.2014
Es gibt nur noch sehr wenig unberührtes Land, wenn man durch die USA fährt, sagt die Regisseurin Kelly Reichardt. Die Protagonisten ihres Films "Night Moves" proben den Aufstand gegen die Vernichtung der Natur.
Susanne Burg: Kelly Reichardt, ich würde gerne mit dem Anfang des Films beginnen. Als Zuschauerin sieht man, dass ein Mann und eine Frau in den Wäldern Oregons unterwegs sind. Sie haben ein Boot auf dem Wagen, es sieht erst mal wie ein Ausflug aus, die beiden wirken wie ein Paar, aber irgendwas passt dann doch nicht ganz, es liegt eine gewisse Spannung in der Luft, es braucht aber sehr lange, bis man sich zusammenreimt, worum es eigentlich geht. Was ist für Sie der Reiz, alles so offen zu lassen am Anfang?
Kelly Reichardt: Man hat 90 Minuten, um eine Geschichte zu erzählen, und da bringt es nichts, alles gleich im ersten Moment zu zeigen. So haben wir die Chance, in die Welt der Protagonisten einzutauchen, eine Beziehung entstehen zu lassen. So können die Zuschauer die einzelnen Teile selber mit zusammensetzen und erfahren, was in dieser kleinen Welt passiert.
Burg: Einer der Protagonisten, Josh, der lebt auf einem Biobauernhof, einem Kollektiv in Oregon. Auf der einen Seite scheint es hier eine große umweltbewegte Szene zu geben, auf der anderen Seite aber auch viel Tourismus mit Golfplätzen und Ähnlichem. Was hat Sie an Oregon und dieser ökologisch bewegten Szene dieses Bundesstaats interessiert?
Reichardt: Oregon und Washington, also der Nordwesten, ist praktisch der Geburtsort des Ökoaktivismus in den USA. Einer der Gründe ist, dass es dort viele Staudämme gibt, das ist da auch immer wieder Thema in den Nachrichten. Außerdem ist man umgeben von sehr alten Wäldern, deren Abholzung überall sichtbar ist. Man muss nicht erst tief in den Wald hineingehen, um abgeholzte Gebiete zu sehen. Wenn man einen Wald kennt und der einem ans Herz wächst und am nächsten Tag ist er plötzlich nicht mehr da, löst das natürlich etwas aus. Wenn ich an der Ostküste bin, fragen mich Leute manchmal, warum die da so wütend auf diesen Staudamm sind. In Oregon muss ich das nie erklären, hier ist das Teil der Debatte um die totale Neustrukturierung einer Landschaft, den Abbau einer Landschaft, die Vernichtung der Lachsbestände, die Umleitung des Wassers, darum, wer entscheidet, wo das Wasser hingeht. Über all diese Themen wird dauernd gesprochen. Jon Raymond, mein Koautor, ist mit den Farmern befreundet, auf deren Land wir gedreht haben. Er ist über Jahre immer wieder dorthin gefahren und er hat sich sehr für die lokale Kultur um diese Farm herum interessiert. So hat er mich auf diese Farm eingeladen, wir sind zusammen hingefahren, und wir wussten, dass diese Landschaft ein zentrales Thema unseres nächsten Films werden würde.
Burg: Nun haben Sie ja sich auch entschieden, nicht nur die umweltbewusste Szene zu porträtieren, sondern auch Extremisten – die Geschichte handelt ja von Ökoterrorismus. Was hat Sie daran interessiert?
Reichardt: Wir haben mit der Idee eines fundamentalistischen Protagonisten begonnen, der in seiner Ideologie vollkommen gefestigt ist, der absolut an seine Intuition glaubt. Einen solchen Charakter hätte man gut in der Tea-Party-Bewegung verorten können. Das schien uns aber zu offensichtlich, weniger vielschichtig und auch weniger interessant. Und da gab es ja diese vielseitige Welt, in die wir ihn setzen konnten. Aber im Prinzip geht es uns vor allem um den Fundamentalismus und seine Demontierung. Unsere drei Protagonisten sind alle politische Menschen, aber jeder auf seine Art, sie haben nicht die eine Sicht der Dinge. Uns hat interessiert, wie Leute denken und handeln, wenn sie alleine sind, und wie sie sind, wenn sie in einer Gruppe sind. Es treten verschiedene Gruppensituationen im Film auf. Da gibt es die Kooperative, in der Leute zusammenleben, ihre Kinder erziehen, ihr Essen anbauen. Da sind diejenigen, die sich politisch organisieren, politische Filme sehen und die Situation analysieren. Und dann gibt es noch die Gruppe, die sich trifft, um zusammen eine Bombe zu bauen.
Jesse Eisenberg als Josh und Dakota Fanning als Dena in einer Szene des Films "Night Moves".
Jesse Eisenberg als Josh und Dakota Fanning als Dena in einer Szene des Films "Night Moves". © picture alliance / dpa / MFA+ FilmDistribution e.K.
Burg: Die linke Szene genießt ja in der, sagen wir mal, Independentfilm-Szene vielleicht doch ein höheres Ansehen als die rechte fundamentalistische Szene. Wie schwierig war es für Sie, den Film zu realisieren?
Reichardt: Ich glaube nicht unbedingt, dass das heutzutage noch so zutrifft. Es gibt kaum noch eine Linke in den USA, aber es gibt eine Menge christlicher Propaganda, die sich in den Teenagerfilmen versteckt, die zurzeit rauskommen – nehmen Sie die "Twilight"-Serie. Ich habe nur einen Teil davon gesehen, weil ich Dakota Fanning sehen wollte, die da mitspielt, und ich dachte, oh, mein Gott, diese ganze mormonische Agenda – gegen Abtreibung, kein Sex vor der Ehe –, das zielt genau auf eine bestimmte Altersgruppe ab. Aber nun ja, alle versuchen ihre Botschaften unterzubringen. Wenn es die Guten und die Bösen gäbe, könnte man sich entscheiden und sagen, die sind gut, die sind schlecht, das ist auch leichter finanziert zu bekommen. Dieses Uneindeutige ist viel schwieriger zu verkaufen. Die Leute mögen keine undefinierten Zwischenräume. Die Amerikaner wollen wissen, welche Seite sie anfeuern sollen, sie wollen klare Grenzen. Die Mehrdeutigkeit des Films war das, was die Finanzierung erschwert hat, und tatsächlich wurde er auch nicht mit amerikanischem Geld finanziert.
Burg: Die US-amerikanische Regisseurin Kelly Reichardt ist mein Gast hier im Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über ihren neuen Film "Night Moves". Wenn wir mal ein bisschen auf Ihre anderen Werke schauen ... Ein älterer Film, da haben Sie gesagt, für "Wendy and Lucy" haben sie italienische neorealistische Filme gesehen und fanden, dass das gut in die Bush-Jahre passte, dass die Leute in den Bush-Jahren ähnlich hoffnungslos waren, wie sie es in dem Film "Wendy und Lucy" porträtieren. In Ihrem neuen Film wirken die Protagonisten ja sehr viel aktiver – herrscht jetzt eine andere Ära und haben Sie sich auch durch andere Werke in der Filmgeschichte inspirieren lassen?
Reichardt: Ich unterrichte Film und beschäftige mich von daher immer wieder mit anderen Epochen der Filmgeschichte. Es kann sein, dass man einem bestimmten Weg folgt, wenn man einen Film macht. Für mich geht es in allen meinen Filmen in erster Linie um die Protagonisten. Bei manchen Filmen aus der Bush-Ära spürt man dieses Abdriften des Landes nach rechts, das so dramatisch verlief, dass es einem den Atem verschlug und einem das Gefühl totaler Verlorenheit gab. Jetzt haben wir einen Demokraten im Amt, der gerade erst eine Rede für das Fracking gehalten, es Europa aufdrängen möchte. Das heißt, wir leben in der traurigen Erkenntnis, dass wir wohl noch längere Zeit einer rechten Politik ausgeliefert sein werden. Es geht ja auch nicht mehr wirklich um rechts oder links, die ganze Welt hängt mit drin.
Ich weiß nicht, wie ich das im öffentlichen Radio sagen soll, aber der Haufen ist echt am Dampfen, es fliegt einem bereits alles um die Ohren. Entweder tritt man ganz schnell in Aktion oder eben nicht. Als wir anfingen, den Film zu machen, hatten wir bestimmte Ideen im Kopf. Ich wollte, dass die Protagonisten sich auf diesen Dampf vorbereiten wie auf einen klassischen Raubüberfall, bei dem Jungs frisch aus dem Gefängnis gekommen sind, sich in irgendeinem Keller treffen und noch einen letzten Banküberfall planen. Dann breiten sie den Grundgriss der Bank aus, plötzlich stellt sich raus, dass der Fahrer nicht derjenige sein wird, mit dem gerechnet wurde, dann die Frage, ob man dem neuen Mann trauen kann, all so was. All diese Elemente eines Überfallfilms oder eines Thrillers in einem Film zu packen, in dem es um den Anbau von Biogemüse und die Sorge um die Lachspopulation geht, schien mir eine gute Grundlage dafür, Spaß beim Drehbuchschreiben zu haben.
Burg: In einem Gespräch mit dem Filmmacher Gus Van Sant hat dieser mal vor ein paar Jahren gesagt, dass Sie sehr am Zerfall interessiert seien, also zum Beispiel am Zerfall einer Freundschaft in "Old Joy", der Fall in die Hoffnungslosigkeit bei "Wendy and Lucy", indem Wendy auf der Reise nach Alaska ihren Hund verliert, ihr Auto und dann auch immer weiter abrutscht. Wie sehen Sie das, was interessiert Sie am Zerfall?
Reichardt: Ich würde sagen, dass der Verfall den Geschichten gewissermaßen innewohnt. Ich könnte jetzt auch Jon Raymond verantwortlich machen mit seiner Besessenheit vom Verfall. Wissen Sie, ich habe so viel Zeit damit verbracht, zwischen New York und Oregon hin und her zu fahren, diese Überlandreisen habe ich seit meiner Kindheit gemacht – und ich bin jetzt schon ziemlich lange kein Kind mehr. Auch wenn man diese Reise nur alle fünf Jahre macht – und zurzeit mache ich sie manchmal sogar viermal pro Jahr –, dann ist der Verfall ziemlich offensichtlich. Aber das ist kein Verfall in dem Sinne, dass irgendetwas Risse bekommt oder zerbricht, nein, hier geht es um meilenweite, immer gleiche Einkaufszentren, jeder Bundesstaat sieht aus wie der davor, mit dem identischen Angebot von schlechtem Essen in schlechter Architektur. In Gegenden ohne Landschaftsplanung, ohne Überlegungen, wie die Natur in die Leben der Menschen mit einbezogen werden könnte. Alles ist nur auf Konsum ausgerichtet. Da fällt es schon schwer, sich nicht vorzustellen, wie viel besser das alles sein könnte.
Ich weiß nicht, ob wir darin übereingekommen sind, es eben so zu machen, oder ob es einfach passiert ist – wobei ich nicht ganz sicher bin, was da passiert ist. Aber es fühlt sich so sehr nach einer verlorenen Schlacht an. Vielleicht haben die indigenen Amerikaner so gefühlt, als sie Schlacht um Schlacht verloren haben. Es gibt sehr wenig unberührtes Land, wenn man durch die USA fährt, man muss schon recht weit von der Straße abweichen, um wirklich unberührtes Land zu finden. Ich habe ja noch nicht mal was dagegen, dass etwas mit dem Land gemacht wird, ich hab nur etwas dagegen, dass das auf so schäbige Art und Weise passiert. Wie auch immer, das ist schon eine Art von Verfall, und ich denke, so ein Verfall verändert die Seelen der Menschen. Außerdem fehlt dem Ganzen jede Form von Kunst, und ein Mangel an Kunst ist wirklich schlecht für das Gehirn. Wahrscheinlich hätten wir weniger Fundamentalismus auch in der Mitte unseres Landes, wenn es mehr Kunst gäbe. Es gibt da wohl diese Tendenz in all den Filmen, den Verfall, die Auflösung zu zeigen.
Burg: Bei diesem hoffnungsvollen Ende belassen wir es dann. Kelly Reichardt, vielen Dank fürs Gespräch! Thanks for talking to us!
Reichardt: Okay, thank you!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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