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FIFA-Skandal
Blatter könnte noch Gutes tun

Der Reformprozess bei der FIFA werde sehr lange dauern, sagte die Sportbeauftragte Sylvia Schenk von Transparency International Deutschland im DLF. Interessenskonflikte gibt es laut Schenk bis in die National- und Kontinentalverbände hinein. Und ausgerechnet der scheidende Präsident Joseph Blatter könnte seinem Verband bei der Erneuerung noch Gutes tun.

Sylvia Schenk im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 05.06.2015
    Sylvia Schenk, Sportbeauftragte Transparency International (30.05.2013)
    Sylvia Schenk, Sportbeauftragte Transparency International (dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke)
    Joseph Blatter könnte nun regelrecht befreit in seiner noch verbleibenden Zeit als Präsident die Erneuerung der FIFA vorantreiben. Niemand würde mehr etwas von ihm erwarten, sagte die Sportbeauftragte Sylvia Schenk von Transparency International Deutschland im DLF. Daher liege im Skandal eine Chance für den Weltfußballverband. Schenk empfiehlt Blatter ein unabhängiges Kontrollgremium mit hochrangigen Persönlichkeiten wie Kofi Annan an die Seite zu stellen, das den Erneuerungsprozess begleiten könnte.
    Die Reform der FIFA werde sehr lange dauern, denn die Interessenskonflikte zögen sich bis in die nationalen und kontinentalen Fußballverbände hinein. Der Prozess sei ambitioniert, aber doch unumgänglich.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: FIFA-Präsident Sepp Blatter ist ja bekanntlich mit allen Wassern gewaschen. Das zeigt auch die Art und Weise, wie er in den vergangenen Tagen agiert hat. Vier Tage nach seiner Wiederwahl verkündet er seinen Rücktritt, doch geändert hat sich eigentlich nichts. Täglich fährt er ins Büro, als wäre nichts geschehen. Denn frühestens Ende des Jahres soll ein Nachfolger gewählt werden und trotzdem sprechen alle von seinem Rücktritt. Auch sein Generalsekretär Jerome Valcke, der von der ominösen Zehn-Millionen-Dollar-Spende aus Südafrika in die Karibik gewusst haben soll, ist weiter an Ort und Stelle. Da liegt der Verdacht nahe, dass jetzt genug Zeit ist, um etwaige Spuren zu verwischen und die Weichen so zu stellen, dass auch nach dem vollzogenen Rücktritt nichts anbrennt. Und es gibt neue Vorwürfe.
    Sprechen können wir jetzt mit Sylvia Schenk, ehemals Leichtathletin, ehemalige Richterin und ehemalige Präsidentin von Transparency International Deutschland, nun Leiterin des Bereichs Sport dort in dieser Organisation. Schönen guten Morgen, Frau Schenk.
    Sylvia Schenk: Hallo! Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Frau Schenk, die amerikanischen Behörden, die agieren ja auf Grundlage von Gesetzen, die auch gegen die Mafia angewendet werden. Ist die FIFA eine mafiaähnliche Organisation?
    Schenk: Das würde ich jetzt so nicht sagen. Ich glaube, die Mafia hat dann doch noch ein paar andere Aspekte, die man so nicht mit der FIFA vergleichen kann. Sie müssen sich auf dieses Gesetz stützen, sonst könnten sie die ganzen Dinge, die sie im Moment machen seitens der Ermittlungsbehörden in den USA, gar nicht tun. Deshalb betonen die so oft, dass es mafiaähnliche Strukturen sind, sonst müssten sie die Ermittlungen sofort einstellen.
    Heckmann: Die Strafverfolgungsbehörden in Amerika, die begründen ihre Ermittlungen ja wesentlich auf die Aussagen des ehemaligen FIFA-Funktionärs Chuck Blazer, der ja festgenommen wurde und gestanden hat, Schmiergelder angenommen zu haben. Was sind denn Aussagen eines solchen schwer belasteten Mannes eigentlich wert?
    Schenk: Die sind natürlich immer auch mit Vorsicht zu genießen. Andererseits muss man sehen: Wer vor den US-Behörden falsch aussagt, hat auch schwere Strafverfolgung zu befürchten, und von daher kann man dann doch wieder davon ausgehen, dass da nicht ohne Weiteres drauf losgelogen wird. Aber man wird sicherlich - und das werden die Ermittlungsbehörden auch tun oder ein späteres Gericht - sich das sehr genau anschauen, gucken müssen und noch mal gegenchecken.
    "Dass Sepp Blatter von ganz, ganz vielem gewusst hat, ist seit Jahren bekannt"
    Heckmann: Denken Sie denn, dass sich die Vorwürfe auch gegen Sepp Blatter, dass er von vielem gewusst haben muss und gewusst hat, dass die sich werden erhärten lassen?
    Schenk: Das muss man abwarten. Ich spekuliere da nicht. Bisher ist dazu ja überhaupt nichts an die Öffentlichkeit gekommen. Das hätte ja dann schon längst mal auch von den US-Behörden auf den Tisch gelegt werden können. Lassen Sie uns lieber diese Spekulationen nicht führen. Völlig unabhängig davon, ob man was nachweisen kann, dass Sepp Blatter von ganz, ganz vielem gewusst hat, gewusst haben muss, das ist ja eigentlich seit Jahren bekannt.
    Heckmann: Jenseits der Frage, ob und inwieweit Sepp Blatter jetzt selber persönlich involviert gewesen ist, er soll selbst ja bis Ende des Jahres im Amt bleiben, vielleicht sogar darüber hinaus. Trotzdem sprechen viele von seinem Rücktritt, das kann man als genialen PR-Coup im Prinzip bezeichnen. Jedenfalls wäre es ausreichend Zeit, etwaige Spuren zu verwischen. Muss man davon ausgehen, dass das geschieht?
    Schenk: Wenn er irgendwelche Spuren hätte verwischen wollen aus den Jahren vor 2010 oder sonst wann, hätte er das ja längst machen können. Dann hätte er auch sagen können, ich verwische jetzt erst mal Spuren und erkläre meinen angekündigten Rücktritt in zwei Wochen. Diese Spekulationen halte ich für völlig abwegig.
    Heckmann: Dieser Reinigungsprozess, der jetzt stattfinden soll innerhalb der FIFA, kann der zumindest eingeleitet werden, obwohl Sepp Blatter weiterhin bis Ende des Jahres an der Spitze stehen wird?
    Schenk: Das ist nicht völlig ausgeschlossen. Er hat ja gesagt, er will ein ambitioniertes Reformprogramm auf den Tisch legen. Das kann man erst mal tun, selbst wenn man selber unter Beschuss steht wie Sepp Blatter. Das wird man aber sehr genau sich anschauen müssen, man wird ihm auf die Finger schauen müssen. Das Entscheidende wird ja letzten Endes sein, ob der Kongress bereit ist, auch solchen Reformplänen zuzustimmen. Selbst die UEFA hatte ja in der Vergangenheit Schwierigkeiten, bestimmte Schritte mitzugehen, hat einige Reformen geblockt. Möglicherweise ist ein Präsident, der sagt, ich trete sowieso nicht mehr an, ich buhle jetzt gar nicht um Wählerstimmen, ich muss euch nicht bei guter Laune halten, rein theoretisch zumindest eher in der Lage, ganz unangenehme Dinge auf den Tisch zu knallen und zu sagen, so, das müsst ihr jetzt beschließen, wenn ihr wirklich nach vorne gehen wollt mit der FIFA, als jemand, der taktieren muss und schauen muss, hoffentlich vergraule ich mir meine Wähler nicht.
    "Nötig, dass ein unabhängiges Gremium diesen ganzen Prozess begleitet"
    Heckmann: Das heißt, in der Tatsache, dass er noch an der Spitze steht bis Ende des Jahres, darin liegt eine Chance aus Ihrer Sicht?
    Schenk: Könnte drin liegen. Entscheidend ist natürlich, dass nicht doch noch irgendwelche Ermittlungen gegen ihn auftauchen. Dann ist er völlig unhaltbar. Aus meiner Sicht wäre es trotz alledem nötig, dass ein unabhängiges Gremium diesen ganzen Prozess auch in den kommenden Monaten begleitet. Das wäre wichtig, um auch nach außen noch mal zu demonstrieren, da wird nicht noch irgendwas gedealt oder sonst was, sondern da schauen andere mit einer hohen Reputation, die nicht mit der FIFA, mit dem Fußball direkt zusammenhängen, mit drauf. Das wäre hilfreich für den ganzen Prozess.
    Heckmann: Was könnte das für ein unabhängiges Gremium sein?
    Schenk: Dass man sich vier, fünf Leute weltweit holt mit einer hohen Reputation, einen Kofi Annan oder was weiß ich, die einfach die ganzen Schritte begleiten, denen das vorgelegt wird, damit es nicht direkt immer heißt, aha, da hat Blatter möglicherweise was unter den Tisch fallen lassen, möglicherweise einen Vorschlag lieber doch nicht vorgelegt oder wie auch immer. Das könnte man sicherlich ohne Weiteres so machen.
    Heckmann: Frau Schenk, jetzt ist ja in diesen Tagen immer wieder von dem System Blatter die Rede. Ist das eigentlich aus Ihrer Sicht eine zutreffende Beschreibung, denn profitiert haben ja ganz offenbar ganz viele innerhalb der FIFA. Müsste man da nicht eher von einem System FIFA sprechen?
    Schenk: Mir ist es eigentlich relativ egal, wie man das System nennt oder wie man das Problem bezeichnet. Blatter stand oder steht als Symbol dafür, was unter seiner Präsidentschaft in ganz vielen Ecken der FIFA, aber auch des Fußballs - das ist ja nicht alles direkt FIFA, sondern weltweit verteilt - schiefgelaufen ist. Deshalb verkürzt man das auf diesen Begriff. Aber man darf sich nicht der Illusion hergeben, dass alleine der Rücktritt von Herrn Blatter, wenn der weg ist, dass dann auf einmal alles in Ordnung ist, sondern wir brauchen einen personellen Neuanfang an ganz, ganz vielen Ecken, auch an der hauptamtlichen Spitze mit Jerome Valcke. Das ist ja schon bekannt, dass das eigentlich auch nicht mehr geht, dass er da vorne sitzt als Generalsekretär. Und wir brauchen wirklich grundlegende Reformen in der FIFA und das wird auch ein längerer Prozess werden. Deshalb bitte nicht verkürzen auf FIFA-System oder Blatter-System; es geht viel weiter in die Nationalverbände rein, in die Kontinentalverbände rein und im Grunde ja auch in Fernsehrechte-Händler, Marketing-Unternehmen und andere, denn Bestechung hat immer zwei Seiten und es war die Wirtschaft, die bestochen hat, und es ist in vielen Ländern auch die Politik, die viel zu dicht am Fußball dran ist. Da gibt es Interessenkonflikte noch und noch.
    "Das ist eine eigene Rechtspersönlichkeit, die FIFA"
    Heckmann: Eine grundlegende Reform ist notwendig. Kann aber eine Organisation wie die FIFA und die ganzen Unterorganisationen überhaupt von innen heraus reformiert werden, oder bedarf es da eines beherzten Eingreifens von außen, beispielsweise ja auch vonseiten der Sponsoren?
    Schenk: Eingreifen können die Sponsoren nicht. Die können nur Druck machen. Das haben sie zum Teil ja schon gemacht. Über die Presseerklärungen hinaus habe ich Informationen, dass da auch sehr, sehr ernste Gespräche im Hintergrund geführt worden sind. Eingreifen kann niemand. Das ist eine eigene Rechtspersönlichkeit, die FIFA, und die lebt davon, dass der Kongress - das ist das höchste Organ wie bei einem Verein in Deutschland auch - Entscheidungen fällt und das Exekutivkomitee wählt. Insofern muss das von innen heraus oder über diese rechtlichen Schienen kommen. Es muss der Kongress Reformen beschließen. Aber der Druck muss natürlich von außen da sein und der muss jetzt nicht nur international da sein und nicht nur auf Herrn Blatter oder die paar Menschen im Exekutivkomitee, sondern da muss es auch auf nationaler Ebene Druck geben in den jeweiligen Mitgliedsländern und dann müssen die Nationalverbände auch mal was tun.
    Heckmann: Auch in Deutschland?
    Schenk: Auch in Deutschland, wobei ich davon ausgehe, dass der DFB schon weiß, was er zu tun hat. Gerade die Europäer sind ja Gott sei Dank die letzten Wochen und Monate aufgewacht. Es hat aber eine Zeit gedauert, bis seitens der UEFA auch mal halbwegs eine klare Linie erkennbar war.
    Heckmann: Sylvia Schenk war das, die ehemalige Präsidentin von Transparency International. Sie leitet jetzt den Bereich Sport dieser Organisation. Frau Schenk, danke Ihnen für Ihre Zeit!
    Schenk: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.