Filmfestspiele Venedig

Polanski vergleicht sich mit Alfred Dreyfus

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Roman Polanski lächelt freundlich in Richtung des Betrachters.
Der Regisseur Roman Polanski hat seinen Fall mit der Dreyfus-Affäre Ende des 19. Jahrhunderts verglichen. © Starface Panoramic / imago-images
Patrick Wellinski im Gespräch mit Johannes Nichelmann · 30.08.2019
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Die Ankündigung des neuen Films des umstrittenen Regisseurs Roman Polanski im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig sorgte für große Ablehnung. Kritiker Patrick Wellinski konnte aber miterleben, dass "J'accuse" Publikum und Presse sehr gefiel.
Der neue Film von Roman Polanski wurde sowohl bei der Pressevorführung als auch bei der abendlichen Premiere sehr positiv und mit ausgiebigem Applaus aufgenommen, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski: "Es gab keine Pfiffe oder Buhrufe und auch keine groß angelegten Proteste wie vor anderthalb Jahren bei einer Polanski-Retrospektive in Paris. Das heutige Wohlwollen war schon erstaunlich, wenn man bedenkt, dass viele Kritiker es ablehnen einen Film von Roman Polanski anzusehen und das Festival wegen der Aufführung kritisieren."

Festivalpräsidentin nimmt nicht am Galadinner teil

Auch die Festivalpräsidentin Lucrecia Martel hat es abgelehnt an einem Galadinner zum Film teilzunehmen. "Ihre Haltung finde ich okay. Sie möchte Polanski keinen Applaus geben, aber sie möchte seinen Film fair diskutieren und bewerten und so sehe ich auch meine Aufgabe als Filmkritiker, nicht als Moralkritiker oder Staatsanwalt", so Wellinski.
Polanski hat mit "J'accuse" den Roman "Intrige" des britischen Journalisten und Schriftstellers Robert Harris verfilmt, in dem die Dreyfus-Affäre um die Verurteilung des unschuldigen jüdischen französischen Offiziers Alfred Dreyfus und der daraus erwachsene Skandal behandelt wird.

Ein Kammerspiel mit gelungener Ausstattung

"Polanski erzählt diesen Skandal wie ein Kammerspiel, das fast ausschließlich in Innenräumen stattfindet, mit sehr viel Gespür für die Sprache und die Hierarchie innerhalb des Militärs. Auch die Ausstattung ist ganz wundervoll. Das Paris des "Fin de siècle", des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wird ganz haptisch und erlebbar. Das wesentliche Mittel ist aber der Dialog, da werden große Debatten geführt und da zeigt sich auch der brutale Antisemitismus der dritten Republik. Filmisch ist das nicht revolutionär sondern eher klassisch erzählt, aber sehr spannend und sehr überzeugend gespielt".
Roman Polanski hat vor wenigen Tagen in einem Interview gesagt, dass er Parallelen zwischen seinem Fall und dem Fall Dreyfus sieht.
"In diesem Interview sagt er, dass in der Empörungsspirale, die schon die Nennung seines Namens auslöst, wegen des herrschenden Zeitgeists und um Ressentiments zu bedienen Fakten ignoriert werden. Dazu gehört auch, dass als die #MeToo-Bewegung losging, zwei Frauen behaupteten von ihm vergewaltigt worden zu sein. Diese Fälle sind, was die Faktenlage anbetrifft, sehr problematisch. Da sieht man dann schon gewisse Parallelen zu Dreyfus und in "J'accuse" schwingt sehr viel Gegenwart mit, auch der Fall Polanski", so Wellinski.
(rja)
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