Filmfestspiele in Venedig

Politische Affären prägen das Programm

04:30 Minuten
Filmstil aus "The Laundromat": Meryl Streep an Schließfächern
In Steven Soderberghs "The Laundromat" kommt die Witwe Ellen Martin (Meryl Streep) den Machenschaften der großen Finanzplayer auf die Spur. © Claudette Barius / Netflix
Von Patrick Wellinski · 02.09.2019
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Steven Soderberghs "The Laundromat" handelt von den Panama Papers, Costa-Gavras thematisiert die Euro-Krise, Roman Polanski die Dreyfus-Affäre: Auf den Filmfestspielen in Venedig sind viele politische Spielfilme zu sehen – und das mit Starbesetzung.
Laut, zynisch und voller ernst gemeinter Finanztipps, stellen sich Gary Oldman und Antonio Banderas dem Publikum vor. Sie spielen in Steven Soderberghs Netflix-Produktion "The Laundromat" die beiden Rechtsanwälte Jürgen Mossack und Ramon Fonseca, die mit ihrem Rechtsdienstleistungsunternehmen für über 14.000 Klienten Offshore-Finanzplätze gründeten. Die Machenschaften flogen 2016 im Rahmen der Panama-Papers-Affäre auf.
Soderbergh, der das gleichnamige Buch des mehrfachen Pulitzer-Preisträgers Jake Bernstein verfilmt, schildert die Affäre als grelle Farce, die in mehreren Kapiteln die unterschiedlichen Funktionsweisen der Offshore-Finanzwirtschaft entlarvt. Meryl Streep spielt darin eine trauernde Witwe, die durch den Tod ihres Mannes hinter die Machenschaften der großen Finanzplayer kommt.
In Venedig wies Meryl Streep darauf hin, dass bei allem Witz und Humor des Films die ganze Affäre ernsthafte Konsequenzen hat – und erinnerte unter anderem an den Tod der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia, die wegen ihrer Recherchen ermordet wurde.

Politische Erpressung und Intrigen

"The Laundromat" steht damit in einer ganzen Reihe an erstaunlich politischen Spielfilmen in Venedig, die sich mit unterschiedlichen Herangehensweisen an unserer Gegenwart abarbeiten. Das Zeugnis, das sie dabei ausstellen, ist düster und pessimistisch.
Politische Erpressung und Intrigen stehen im Mittelpunkt von "Adults in the Room" von Costa-Gavras, der die griechische Euro-Krise anhand der Erinnerungen von Yanis Varoufakis erzählt, inklusive Ulrich Tukur als erpresserisch auftretender Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
Neben dieser recht direkten und manchmal auch plumpen Abrechnung mit politischen Machenschaften überzeugen derzeit auf dem Lido die Filme, die den Überwachungsstaat mit seinen außer Rand und Band geratenen Geheimdiensten thematisieren – wie in dem Biopic "Seberg", in dem gezeigt wird, wie das FBI in den 1960er-Jahren die Schauspielerin Jean Seberg in einen Selbstmordversuch trieb.

Ein ernüchternder Blick auf die Bürokratie der Lüge

Der Regisseur Olivier Assayas erzählte etwas langatmig in "Wasp Network" vom kubanisch-amerikanischen Spionagekrieg in den 1990er-Jahren. Und auch Roman Polanski erzählte in seinem Historien-Thriller "J’accuse" von einem der berühmtesten europäischen Spionagefälle.
Filmausschnitt aus "J’accuse": ein Zeitungsjunge.
In "J’accuse" inszeniert Roman Polanski die Dreyfus-Affäre.© Filmfestspiele Venedig
Die Dreyfus-Affäre inszeniert Polanski als spannendes Kammerspiel mit ernüchterndem Blick auf die Bürokratie der Lüge, die Korruption der Macht und den stets präsenten Antisemitismus. Damit wird dieser fast schon klassizistisch inszenierte Kostümfilm zu einem erstaunlichen Spiegelbild unserer Gegenwart, die sich mit Wahrheiten und Fakten schwertut und sich allzu häufig von Stimmungen und Empörungswellen treiben lässt.

Revolte der Abhängten und Vergessenen

Welche Auswirkungen dieses Schüren von vagen Ressentiments auf den Einzelnen haben kann, das fasst der eindrücklichste Film auf dem Lido zusammen: Das unmenschlich rohe Lachen von Joaquin Phoenix in Todd Phillips‘ Comic-Verfilmung "Joker" ist das tragische Signal eines Gescheiterten, der aus schierer Verzweiflung an den gesellschaftlichen Umständen zur Waffe greift.
Regisseur Phillips macht aus dem "Joker" einen Wiedergänger von Martin Scorseses "Taxi Driver". Doch wollte Vietnam-Veteran Travis Bickle als schwarzer Engel die Stadt von Pornografie und Inzucht säubern, ruft der Joker jetzt zur kollektiven Anarchie auf – oder wird er von der revoltierenden Meute von Abhängten und Vergessenen, die zum Mord an den Reichen der Stadt aufrufen, zum Anführer gemacht? Ganz so klar wird das nicht in diesem dunklen Spielfilm, der seine eigene politische Agenda ständig in der Schwebe hält.
Phoenix spielt das mit einem harten Körpereinsatz, abgemagert an der Grenze zur Bulimie, mit tiefen Augenringen und gekrümmter Haltung. Eine Performance, die ihn ohne Frage zum größten Anwärter auf einen Darstellerpreis macht. Aber "Joker" ist mehr: das Psychogramm eines Menschen, der an den komplexen Widersprüchen dieser Welt zerbricht. Das ist düster und verstörend, weil es unserer Zeit näher ist, als wir vielleicht wahrhaben wollen.
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