Filmfestival

Wo die neuen Bilder wachsen

Jury Kurzfilmtage Oberhausen 1962
Die Jury des Jahrgangs 1962 sichtet Filme für die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen: Walter Buhrow (Deutschland), John Halas (Großbritannien) und Pierre Thevenard (Frankreich) © dpa / picture alliance / Heinz Ducklau
Von Bernd Sobolla · 04.05.2014
Während der "1. Westdeutschen Kulturfilmtage" im Jahr 1954 wurde schnell klar: Sie dürfen kein einmaliges Ereignis bleiben. Mit dem neuen Namen "Internationale Kurzfilmtage" wurde das Festival eine Institution. Es gilt als eines der bedeutendsten seiner Art weltweit.
Monika Grütters: "Wenn es nicht die Kurzfilmtage gäbe, würden wir nicht so viel über Oberhausen wissen. Also es ist wirklich eine besondere Güte, dass eine solche Stadt sich um dieses Genre derart kümmert, daran festhält und es zu einer großen Form gebracht hat. Das ist kommunale Kulturarbeit allererster Güte, muss ich wirklich sagen."
Mit vielen warmen Worten wurden die 60. Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen eröffnet, auch wenn es sich bei dem Festival nicht um kommunale, sondern um internationale Kulturarbeit handelt. Zu den Gratulanten zählten neben Kulturstaatsministerin Monika Grütters auch die Ministerpräsidentin von Nordrheinwestfalen, Hannelore Kraft und Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. Doch Festivalleiter Lars Henrik Gass, der die Kurzfilmtage seit 1997 leitet und kontinuierlich für ihren Erhalt kämpfen muss, weiß den Jubel nüchtern einzuschätzen.
"Es geht eher um Fragen, wie man eigentlich die eigene Arbeit noch legitimiert in einer Situation, in der Kurzfilm aus dem Marktgeschehen zumindest nach einer konventionellen Vorstellung von Markt völlig herausgenommen ist. Wir stehen vor einer Situation, dass immer mehr Filme entstehen, auch immer mehr Kurzfilme, die immer weniger kommerziell ausgewertet werden und die nach einer Öffentlichkeit suchen. Und in dieser historischen Situation muss ein Festival wie Oberhausen sich fortwährend legitimieren."
Seine Legitimität beziehen die Kurzfilmtage zum Beispiel daraus, dass hier Werke gezeigt werden, die zwar auf das ganz "normale" Leben schauen, dabei aber immer eine unbekannte Perspektive einnehmen oder ungewöhnliche Formen wählen, die irritieren, zuweilen auch aufrütteln und somit ein tieferes Verständnis möglich machen. Der deutsche Filmemacher Benjamin Schindler zum Beispiel reist für seinen Film "Playhous of A." durch die USA und zeigt Kinos und Filmstudios, historische Plätze des Bürgerkriegs, Indianerreservate und Jahrmärkte, wo oft historische Szenen vor- bzw. nachgespielt werden.
"Welcome, welcome to this famous site of theater! Thank you for joining us for a bit of entertainment here in these very serious times. Pleasures to the playhouse…"
Historische Dimension in vielen Filmen
So mutiert die "Realität" vor den Zuschauern zu einer Kulissenwelt, wie wir sie aus unzähligen Hollywoodfilmen kennen, und das Land wirkt wie eine allgegenwärtige Show. Ganz in die Realität wird dagegen eine Autorin im Film "Now Eat My script" geholt. Die libanesische Regisseurin Mounira al Solh schildert darin, wie eine Autorin in Beirut ein Drehbuch schreiben will, jedoch gestört wird, weil Flüchtlinge aus Syrien vor ihrem Haus ankommen. Während sie nun langsam mit der Kamera über das bepackte Auto gleitet, erzählt sie Teile ihrer Familiengeschichte: von gegenseitigen Besuchen, in denen immer Nahrungsmittel für ein gemeinsames Essen mitgebracht wurden.
Historische Bögen schlagen auffallend viele Filme im diesjährigen Programm - oft mit politischer Dimension: Dazu gehört auch "Threnody for the victims for Marikana" aus Südafrika von Aryan Kaganof. "Threnody" heißt so viel wie Klagelied, und der Film zeigt, wie 2012 bei einem Bergarbeiterstreik in Marikana 34 Streikende erschossen werden, weil sie gegen ihre Hungerlöhne protestierten. Dabei montiert der Filmemacher Zeitlupenaufnahmen von Polizisten, die Demonstranten niederknüppeln mit den traurigen Klängen, die Musiker in der Totenmesse spielten. Ein beeindruckender Film, der zeigt, wie tief verwurzelt die alten "Rituale" in der jungen Demokratie Südafrika noch immer sind.
Oberhausen – noch immer ein Sehnsuchtsort
Einer der längsten Filme des Festivals ist mit 40 Minuten "Afsan´s long way" von Naeem Mohaiemen, der aus Bangladesch stammt. Er schlägt nicht nur historische Bögen, sondern auch geographische. Der Filmemacher untersucht in seinem mehrteiligen Langzeitprojekt die Linke Bewegung der 60er- und 70er-Jahre. Ausgehend von den Tagebuchaufzeichnungen des Journalisten Afsan in Bangladesch schildert er das Scheitern der Linken in dem asiatischen Staat. Zugleich zieht Naeem Mohaiemen Vergleiche mit der RAF in Deutschland, die seines Erachtens auch an der völligen Fehleinschätzung von Bader und Meinhof hinsichtlich ihrer Wirkung und ihres Status' scheiterte.
"Diese Bewegungen zeigen Dramen, die man fast mit Arbeiten von Shakespeare vergleichen kann. Es gab viele Möglichkeiten, die am Ende vertan wurden, viele Ereignisse, die zu nichts führten. Oft wird dann gesagt: Wenn dieses oder jenes besser gelaufen wäre, dann wäre alles anders gekommen. Aber es gab viele Momente des Kampfes, die fehlschlugen, weil im entscheidenden Moment der Mut einzelner fehlte oder sie einfach nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren."
Filme, wie der von Naeem Mohaimen, sind zumindest in Oberhausen am richtigen Ort. Denn die Kurzfilmtage verbreiten noch immer ein wenig die Sehnsucht nach Aufbruch und Veränderung.