Filme über New Yorker Parallelwelten

Das Leben in Bubbles

Menashe Lustig und Ruben Niborski in dem Film "Menashe" von Joshua Z Weinstein (Filmstill/Berlinale-Pressefoto)
Menashe Lustig und Ruben Niborski in dem Film "Menashe" von Joshua Z Weinstein © Federica Valabrega
Von Christian Berndt · 13.02.2017
Trotz Vielfalt in Metropolen wie New York - andere Lebenswelten berühren das eigene Umfeld kaum. Einige bemerkenswerte Filme auf der Berlinale greifen das Problem kultureller Blasen auf – teils humorvoll, teils erschreckend.
Obama: "For too many of us, it's become safer to retreat into our own bubbles, whether in our neighborhoods or on college campuses…"
In seiner Abschiedsrede kritisierte Präsident Obama, dass zu viele Amerikaner in einer Art Blase leben – in eigenen Nachbarschaften, religiösen Gemeinden und sozialen Netzwerken, wo nur noch Ideen akzeptiert würden, die in das entsprechende Weltbild passen.
Dabei ist das Nebeneinander der Communities immer amerikanische Realität gewesen und das Leben in der eigenen Blase – der Bubble – ist nirgendwo so augenfällig wie in New York. Wie separiert eine Gruppe hier leben kann, zeigt der Spielfilm "Menashe". Die Geschichte spielt in einem jüdisch-orthodoxen Viertel in Brooklyn, in dem Regisseur Joshua Z. Weinstein zwei Jahre recherchiert hat.
Weinstein: "Es ist so, als würde ich dahin zurückkehren, wo meine Urgroßeltern aus Polen herkommen wie in den Dreißigerjahren. Die Leute nutzen keine Handys, kein Facebook und kein Kino. Die Leute dort stellten mir ganz naive Fragen, wie: Was ist ein Film, was passiert in einer Bar?"

Film trotz Filmverbot in jüdischer Gemeinde

Die Tragikomödie erzählt vom jungen Witwer Menashe, dessen Sohn auf Anweisung des Rabbis zu Menashes Schwager ziehen soll. Denn laut Talmud muss ein Kind bei einem Ehepaar aufwachsen. Weinstein inszeniert den Film mit dokumentarischem Realismus – gesprochen wird Jiddisch – und die Hauptfigur spielt Menashe Lustig, auf dessen Biografie der Film beruht.
"Der gesamte Plot sollte authentisch sein. Als ich in dem Viertel Menashe traf und er mir erzählte, dass seine Frau gestorben war und er deshalb das Sorgerecht für seinen Sohn verloren hatte, wusste ich, das ist der Film-Plot. Menashe ging ein enormes Risiko damit ein, mitzumachen."
Filme sind in Menashes Gemeinde verboten, aber Regeln lassen sich umgehen. Der Film erzählt davon, wie die gläubigen Juden versuchen, nach der Religion zu leben und trotzdem ihre Bedürfnisse zu verwirklichen. Menashe Lustig findet den Film authentisch:
Menashe Lustig: "Jo, es is a richtige, echtes Erzählung, in Menschen haben sehr lieb, das is echt."
Und ganz weltfremd leben die orthodoxen Juden in Brooklyn nicht, mehrheitlich hat man die Demokraten gewählt.
Auch "Golden Exits" spielt in Brooklyn. Aber gegensätzlicher zur jüdisch-orthodoxen Gemeinde könnte die Welt im Film des gefeierten amerikanischen Indie-Regisseurs Alex Ross Perry nicht sein. Es geht um eine Gruppe von Mittelklasse-Intellektuellen, die das Leiden an einer gewissen inneren Leere verbindet. Perry lässt die Mittvierziger über verpasste Chancen reden, während die Jüngeren irgendwie auch schon alles hinter sich haben.
Hadern die Protagonisten in "Menashe" mit komplizierten, aber festen Grundsätzen, fehlen den melancholischen Helden in "Golden Exits" jegliche Ideale. Sie hungern nach äußeren Anstößen, aber ihr Bewegungsradius reicht nicht über ihre angesagte Neighborhood hinaus. Eine New Yorker Bubble, in der man indifferent um sich selbst kreist.
Für die Menschen, um die es im Dokumentarfilm "Strong Island" geht, sind das Luxusprobleme. 1992 wurde der 24-jährige Afroamerikaner William Ford von einem weißen Mechaniker, mit dem er wegen einer fehlerhaften Autoreparatur im Clinch lag, erschossen. Die weißen Geschworenen lehnten es ab, Anklage zu erheben.
Der Filmemacher und Bruder des Erschossenen, Yance Ford, hat über den Fall einen Film gemacht, den er als exemplarisch ansieht.
Ford: "'Strong Island' handelt in gewisser Weise davon, wie einfach es ist, Schwarze zu töten in den USA. Das war 1992 wahr, und ist es heute immer noch."

Segregation nach rassistischen Mustern

Yance geht es nicht um die Klärung des Falls, sondern um die Folgen für die Familie. Weil der Mechaniker nicht angeklagt wurde, traf die Familie das Stigma, William müsse wohl schuldig gewesen sein. Für die Eltern, die den Aufstieg ins gehobene Long Island geschafft hatten, brach eine Welt zusammen.
"Mein Eltern glaubten, das System würde funktionieren, weil ihre Kinder nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Was sie nun lernten war, dass auch, wenn sie es in die Vorstadt geschafft hatten, der amerikanische Traum nicht für alle gleich gilt."
Filmstill aus "Strong Island" von Yance Ford (Berlinale-Pressefoto)
Filmstill aus "Strong Island" von Yance Ford© Yanceville Films
Bis heute existiert die Segregation nach rassistischen Mustern in Long Island. Yance Ford lebt inzwischen in New York City, was für ihn als Transgender eine zusätzliche Befreiung ist.
"New York ist ein wunder-, wundervoller Ort, es fühlt sich an, wie eine Blase. Aber nicht politisch, sondern als ein Ort, an dem jeder willkommen ist."
New York City als Insel, hier lässt man sich in Ruhe. Ist das jene Ignoranz, die Obama meinte, als er vom Leben in der Blase sprach? Zumindest ist hier die Toleranz größer als außerhalb des Melting Pots. In Berlin fühlt sich Yance Ford beim ersten Besuch zur Berlinale jedenfalls auch schnell heimisch.
"I’m loving Berlin, and I’m looking forward to explore the city!"