Filmdebüt

"100 Prozent Improvisation" in der Uckermark

Dunkle Wolken ziehen über das Boitzenburger Land (Brandenburg).
Dunkle Wolken ziehen über das Boitzenburger Land in der Uckermark. © picture alliance / dpa / Oliver Mehlis
Moderation: Patrick Wellinski · 02.08.2014
Ein frustrierter Geschichtslehrer gründet auf einem Grundstück in der Uckermark seinen eigenen Staat. Regisseur Moritz Laube erzählt im Gespräch, wie die Story seines Films mit der Eurokrise zusammenhängt - und mit wie wenig Geld dieser entstanden ist.
Patrick Wellinski: Kugelmugel, Molossa, Nobinobi oder Seck, das sind Namen von selbst ernannten Königreichen oder Mikronationen. Es sind vor allem abgekapselte Kommunen, deren Bewohner sich mit eigenen Währungen, Hymnen und Gesetzen eine Art Gegenwelt erschaffen haben, und ab Donnerstag stößt dann noch eine Enklave hinzu: "Freiland", so der Titel eines selbst gegründeten Staates in der Uckermark, aber auch der Titel des Langfilmdebüts des deutschen Regisseurs Moritz Laube. Und Moritz Laube begrüße ich jetzt ganz herzlich bei uns im Studio. Willkommen!
Moritz Laube: Hallo!
Wellinski: Im Mittelpunkt Ihres Films steht der Geschichtslehrer Niels Deboos, der erst ein Auge, dann seinen Job verliert, weil er mit Schülern auf eine Eurokrisendemo gegangen ist. Daraufhin gründet er seinen eigenen Staat auf einem Grundstück in der Uckermark, eben Freiland, doch der Ursprung aller Probleme, in die wir jetzt gleich eintauchen werden, das ist Krise – das ist Eurokrise, das ist Finanzkrise –, war das Ihre Grundmotivation, diesen Film zu machen?
Laube: Es kamen mehrere Dinge zusammen. Ich hab schon lange, bevor Finanzkrise aktuell war, zumindest in unseren Köpfen aktuell war, hab ich irgendwo einen kleinen Artikel über eine dieser Mikronationen gelesen tatsächlich, ich fand das ganz spannend, und irgendwo immer im hinteren Teil meines Kopfes hab ich das abgespeichert. Und dann hat uns die Finanzkrise 2008 mit aller Wucht getroffen, und ich wollte irgendwas darüber machen.
Ich hab mich da so ein bisschen eingelesen und habe dann das verbunden mit dem, was in meinem Hirn noch abgespeichert war, und dachte, eigentlich wäre das doch der ideale Nährboden für Leute, die sagen, ich will da nicht mitmachen, ich hab damit nichts zu tun, überschulden tun sich gerade andere, nämlich die Staaten, die wir ja zwar sind, aber das möchte ich nicht, und gründen einen Staat als Arche Noah sozusagen, um diesen ganzen Strudel um uns herum zu überleben und dann neu zu beginnen letzten Endes. Das war die Grundidee.
Wellinski: So ein Konzeptfilm ist für einen Debütfilm ehrlich gesagt sehr mutig. Die meisten drehen ein Roadmovie.
"Wir lassen das Scheitern zu"
Laube: Roadmovie, Beziehungsdrama ... Ja, lustigerweise ist das Drehbuch, was ich in der Tasche hab und mit einem Düsseldorfer Autor schon entwickelt habe, ist ein Roadmovie, ein Beziehungsdrama, aber ich dachte mir, etwas, was ich in der Filmschule nie gemacht hab, auf Improvisationsbasis drehen, das wollte ich mir einmal erlauben.
Diesen Wunsch habe ich mir erfüllt, indem wir gesagt haben, zusammen mit der Filmproduktion, mit der ich das gemacht hab, wir machen das quasi selbstfinanziert, mit extrem schmalem Budget, niemand verdient etwas, wir haben das Geld eigentlich nur für ein bisschen Technik und für einen Großteil Essen ausgegeben, und lassen das Scheitern zu. Und haben gesagt, so, ich will das jetzt so durchziehen, ohne Drehbuch, und wir leben den eigenen Staat mit 20 Darstellern, die alle bereit waren, tatsächlich für die gesamte Drehzeit eigentlich auch wirklich anwesend zu sein, egal ob sie vor der Kamera an dem Tag gespielt haben oder nicht, und haben dann gemeinsam in diesem Staat gelebt. Und das war für mich, jetzt mal abgesehen von dem, was daraus geworden ist als Film, eine extrem interessante Erfahrung.
Wellinski: Also reflektiert Freiland, das Konzept dieses Staates im Staat, auch das Machen des Films "Freiland"?
Laube: Richtig, genau. Wir haben chronologisch gedreht, wir haben ab der Fahnenhissung und dem Aufspielen der Blaskapelle bis zum endgültigen Scheitern haben wir das Ding durchgespielt und durchgelebt. Und als praktische Erfahrung, jetzt jenseits von irgendwelchen Ideologien, kann man eigentlich sagen, ich hoffe, dass uns der nächste Crash, von dem ich tatsächlich glaube, immer noch, dass er uns treffen wird – das waren alles so die Vorwehen 2008 –, dass uns der eher im Frühling ereilen wird. Weil wir haben im Herbst gedreht, und das Schwierige war tatsächlich, man konnte nichts mehr anbauen.
Das Einzige, was wir dann gemacht haben, war, wir haben ein paar Pilze angebaut und noch auf dem Feld ein paar abgeerntete Maiskolben gefunden, und das hat unsere Schauspieler so ein bisschen ins Dilemma gebracht.
"Zwei Seelen wohnen auch in meiner Brust"
Wellinski: Kommen wir noch mal zurück zur Ausgangslage: Also da ist dieser Lehrer, Niels Deboos, und ohne dass wir viel von ihm erfahren, wissen wir sofort, so von seiner Sprechhaltung, von seinen Argumenten, in ihm ist eine unglaubliche Wut – noch bevor er mit seinen Schülern auf diese Demonstration geht, ist da diese Wut. Und irgendwie zieht sich das, ehrlich gesagt, so als Antriebsmoment aller Figuren durch, die sind alle wütend. Woher kommt diese Wut?
Laube: Diese Wut, also gerade bei Niels Deboos, kommt das dort, ich sag jetzt mal dort draußen, also das, was uns umgibt, die Eurokrise, all das, was dort auf Ebenen geschieht, auf die wir keinen Einfluss so richtig mehr haben oder zumindest das Gefühl haben, keinen Einfluss mehr zu haben. Ich glaube, das ist das, was uns wütend macht, und dass es dort Leute gibt, die aufgrund ihrer Machtlosigkeit eigentlich sagen, ich muss irgendwas machen, ich kann aber nichts machen, weil es ist mir alles zu hoch, das ist alles zu weit weg, das passiert in Brüssel oder sonst wo, also gründe ich meinen eigenen Staat.
Wellinski: Können Sie diese Wut also nachvollziehen?
Laube: Zwei Seelen wohnen auch in meiner Brust. Einerseits kann ich's nachvollziehen, andererseits glaube ich tatsächlich auch an den europäischen Gedanken, der als Ideologie relativ alt ist, die Wirtschaftsunion ist nicht so wahnsinnig alt, aber deswegen, ich kann es nachvollziehen, will aber nicht aufgeben, an Europa und alles, was damit zusammenhängt, auch Euro et cetera zu glauben.
Wellinski: Deboos steigt sofort zum Chef, Staatschef auf, müsste man sagen, und ist gekennzeichnet seit seinem Unfall auf der Demonstration mit einer Augenklappe. Ist natürlich ein Piratensymbol.
Laube: Es ist erst mal ein Piratensymbol, aber ob man jetzt glaubt oder nicht, so war's gar nicht gedacht, also weil viele dann auch an die Parteipartei, die ja damals, als wir das dann gedreht haben, die da ihre Hochzeit hatte. So war das gar nicht gedacht, obwohl es hat sich relativ organisch aus allem ergeben. Ich hab natürlich versucht, so ein paar Dinge, die man aus den Medien so kennt, dort reinzubringen.
Diese blutenden Augen, das ist ein Bild von Stuttgart 21, ein älterer Herr, der dort demonstriert hat – ich hab letztens irgendwann gelesen, er ist tatsächlich irgendwie zu großen Teil blind auf diesen beiden Augen. Das war für mich so der Anlass für diese Idee mit Niels Deboos und der Augenklappe. Dann gibt's diverse andere Bilder, die ich versucht hab zu verwenden, die alle irgendwie in irgendeiner Form mit Ideologie oder Leuten, die an etwas glauben, zu tun haben.
"Egoismus trifft's ganz gut"
Wellinski: Im ersten Moment ist das ja im Film so zu sehen, Freiland wird gegründet, es kommen einige erste Staatsbürger an, der Apparat bildet sich, und eigentlich ist es zunächst eine Art friedliche Übernahme – man kauft ja auch dieses Grundstück, man entert das nicht, man besetzt das Haus ja gar nicht –, und ich hatte so diese Idee, aha, das geht so in die Richtung von so Ökodörfern oder wie in Dänemark vielleicht ganz bekannt Christiania, eine positive Utopie, aber Ihr Film kippt, ehrlich gesagt, und es wird dann doch ein sehr pessimistischer Blick. Liegt das vielleicht daran, dass diese positive Utopie Ihrer Figuren nicht gelingt in dem Film, weil sie in sich kein Utopiepotenzial tragen beziehungsweise das sind ja am Ende alles eigentlich müde, träge Egoisten.
Laube: Ja, Egoismus trifft's ganz gut, weil letzten Endes reflektiert das, finde ich, auch das, was wir auch in der Eurokrise um uns herum sehen. Was ich interessant fand, war, dass eine Utopie oder der Glaube an eine Sache alle in diesem Moment zusammengeschweißt hat und über eine Zeit zusammengeschweißt hat, wo schon jeder, der von draußen draufguckt, sagt, wieso machen die da eigentlich mit. Aber ich glaube, dass man, wenn man denkt, man ist auf einer Arche Noah und um einen herum herrscht gerade blankes Chaos – und diese Innensicht haben die Leute ja, weil sie bekommen von außen nur das mit, was Niels ihnen sagt –, ich glaube, das ist das, was letzten Endes zusammenschweißt.
Wenn dann aber alles wirklich nur auf diesen einen Moment zusammenhält, dann, glaube ich, dann brauch's nur einen kleinen Kratzer dieser Ideologie, irgendein externes oder internes Momentum, was dann alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lässt. Und das beobachten wir ja auch ein bisschen jetzt gerade. Es gibt dann die Gier weniger, siehe Argentinien jetzt gerade als aktuelles Beispiel, die letzten Endes das Potenzial hat, ein ganzes Staatskonstrukt zusammenfallen zu lassen. Meine Sorge ist tatsächlich, dass es nur so ein externes oder vielleicht doch ein zweites Ereignis braucht, um das ganze Kartenhaus, was wir weltweit im Moment uns aufgebaut haben, in sich zusammenfällt. Und daher auch mein Wille damals, zu sagen, okay, das Ding kann oder ich möchte, dass es am Ende scheitert an sich selbst oder an überzogenen ideologischen Vorstellungen oder einer sehr monothematischen Sicht auf die Dinge.
"Es hatte was Fließendes"
Wellinski: Sie hatten es ja schon erwähnt, Sie wollten auch Improvisation zulassen, wie viel Improvisation ist denn jetzt drin in dem Film?
Laube: Alles. Wirklich, es ist 100 Prozent Improvisation, also wirklich auch großer Dank an die Schauspieler, ohne die das so nicht möglich gewesen wäre. Das Einzige, was nicht improvisiert wurde, weil das kann man nicht improvisieren, sind die Reden. Und es war spannend, weil wir haben teilweise szenisch gearbeitet, wo ich wusste, okay, das wird die Szene sein und darüber improvisieren wir jetzt, teilweise habe ich aber auch drei-, viermal in dieser gesamten Drehzeit es so gehalten, dass ich einmal mich hingestellt hab auf dieses Gelände, ganz laut gerufen habe, bitte!, und dann haben sämtliche Darsteller, die dort auf diesem gesamten Gelände und im Haus verteilt waren, haben angefangen zu improvisieren, egal ob die Kamera da war oder nicht, und wir sind für drei Stunden mit der Kamera einfach durchgegangen.
Das hatte einen unglaublichen Reiz, weil wir sind dann einer Aktion gefolgt, und im Hintergrund passierte etwas anderes, oder ein Bürger hatte eine kurze Frage an Christian Darré und ist wieder losgegangen und so. Es hatte was Fließendes, man hatte wirklich das Gefühl, so mittendrin zu sein. Daher auch so dieser dokumentarische Charakter, weil der Kameramann, auch wenn wir mal geprobt haben, nie wusste, was passiert. Also wenn wir mal geprobt haben, ist er rausgegangen, und er hat sich das wirklich als Zeitzeuge sozusagen angeschaut.
Dramaturgisch knirscht es ab und zu, aber was ich an dem Film wahnsinnig gerne mag, dass der so ne Urwüchsigkeit hat, der hat so ne Kraft, so ne Energie, und die kommt zu 100 Prozent aus der Tatsache, dass wir eben improvisiert haben.
"Mir fehlt auch ein Stück weit das Element Drehbuch"
Wellinski: Was auch so im deutschen Kino, wenn man jetzt ganz viele deutsche Filme sieht, auch ganz selten ist, das stimmt, nur eine gewisse Vitalität ist auf jeden Fall da. Ist das jetzt eine Art von Regiestil, den Sie sich aneignen wollen, also dieses improvisierende Arbeiten? Jetzt kann man das noch fragen, wenn die Regisseure dann alt sind, hundert Filme gedreht haben und alle Preise gewonnen haben, sagen sie, ja, ich denk mir immer alles vorher aus oder ich improvisiere nur. Wie ist das denn jetzt so am Anfang der Karriere?
Laube: Ich weiß, was ich an der Improvisation hab und was einem das bringen kann, ich weiß aber, dass ich in der Form, also mit der 100-prozentigen Improvisation, mit großer Wahrscheinlichkeit – sag niemals nie –, aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht noch mal arbeiten werde, weil mir fehlt auch ein Stück weit das Element Drehbuch, also dass man viel besser wirklich dramaturgisch Sachen ineinander verweben kann.
Diese Möglichkeit hat man bei der reinen Improvisation nicht in dem Maße, und ich glaube, es ist für mich eine gute Übung insofern gewesen, dass wenn ich mal ein Drehbuch hab, dass man dann sagt, man improvisiert über diese Szene und schaut, wie man sich der auch anders nähern kann, dass man diese beiden Welten zusammenbringt. Aber ja, Erfahrung war definitiv da.
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