Filmdebatte in Indien

Liebe als Politikum

Bei einer Demo im November 2017 fordern Mitglieder der Akhil Rajasthani Samaj Sangh, dass der Film "Padmavati" verboten wird.
Bei einer Demo im November 2017 fordern Mitglieder der Akhil Rajasthani Samaj Sangh, dass der Film "Padmavati" verboten wird. © imago stock&people
Salma Siddique im Gespräch mit Timo Grampes · 28.12.2017
Eine fiktive Liebesszene hat in Indien eine riesige Debatte ausgelöst. Mit Morddrohungen haben radikale Hindus erreicht, dass der Film "Padmavati" vorerst nicht in den Kinos gezeigt wird. Warum interreligiöse Liebe so umstritten ist, erklärt die Filmwissenschaftlerin Salma Siddique.
Ein Bollywood-Film, den noch niemand gesehen hat, sorgt in Indien für Aufregung. In "Padmavati" soll es eine Liebesszene zwischen einem muslimischen Sultan und der hinduistischen Königin Padmavati geben. Zumindest vermuten das radikale Hindus und fürchten die Ehre der Hindufrauen könnte in dem Streifen zerstört werden. Es gab Morddrohungen gegen die Filmcrew, einen Überfall am Filmset und Drohungen gegen alle Kinos, die diesen Film zeigen wollen. Der für den 1. Dezember geplante Filmstart wurde vorerst auf Januar verschoben.
Da der Film noch nicht veröffentlicht wurde, weiß niemand so genau, ob sich die hinduistische Königin in der besagten Filmszene wirklich dem Sultan hingibt. Die Legende, auf der der Film beruht, erzählt jedenfalls, dass die schöne Königin lieber sterben will, als den Sultan zu lieben. Doch weil zu einem typischen Bollywood-Film nun mal auch immer eine Liebesszene gehört, seien radikale Hindus alarmiert, erklärt die indische Filmwissenschaftlerin Salma Siddique:
"Da gibt es zwei Probleme: Weil man erstens nicht weiß, existiert diese Szene so überhaupt? Aber noch viel wichtiger ist, dass davon ausgegangen wird, dass diese Hindi-Filme als Liebes-Filme konzipiert sind. Davon geht man aus. Es ist so, dass man diese historische oder zumindest legendäre Figur nicht in so einem Zusammenhang sehen möchte. Sie soll nicht zusammen mit einem muslimischen Sultan eine Liebesbeziehung eingehen."
Die Konflikte zwischen Muslimen und Hindus reichen bis in die Zeiten britischer Kolonialherrschaft zurück. Schon damals sei das Verhältnis zwischen Muslimen und Hindus angespannt gewesen, erklärt Salma Siddique. Das Ende der britischen Kolonialherrschaft 1947 und die Teilung des indischen Subkontinents in Indien und Pakistan verschärfte diesen Konflikt. Viele Hindus und Muslime ergriffen die Flucht ins Nachbarland oder wurden dorthin vertrieben.
Das beeinflusst bis heute die Arbeit der indischen Filmemacher. So dürfen heute einige in Indien sehr beliebte pakistanische Schauspielern trotz ihrer Popularität nicht in indischen Filmen mitspielen. Dabei gab es vor der Teilung Indiens auch gelungene Beispiele für interkulturelle Zusammenarbeit, erklärt Salma Siddique:
"Wenn man sich aber Bombay anschaut, als den wichtigsten Ort in Indien, wo Filme in Indien produziert werden, muss man aber auch sehen, dass es eine interkulturelle Industrie ist, in der über lange Zeit Muslime, Christen, Hindus, Juden zusammengearbeitet haben. Also eine sehr kulturell gemischte Gruppe von Menschen, die auch sehr kulturell unterschiedliche Erzählungen produziert haben."

Gefährliche Erzählungen

Doch schon damals waren nicht alle diese Erzählungen erwünscht. Manche Geschichten, erklärt Salma Siddique, galten als politisch gefährlich. In den 1940er-Jahren wurden einige indische Filme von der Zensur mit der Begründung verboten, es handle sich um pro-pakistanische Propaganda-Filme. Das habe dazu geführt, dass viele muslimische Filmschaffende nach Pakistan auswanderten und umgekehrt viele hinduistische Filmschaffende aus Pakistan ins indische Bombay zogen.
"Es gab wirklich den Versuch, die Leute, die damals zusammengearbeitet haben, auseinanderzubringen. Aber es hat kein kompletter Bruch stattgefunden. Das heißt die Filmindustrie in Bombay ist immer noch sehr vielfältig."
Doch gerade diese kulturelle Vielfalt indischer Filme sorgt bis heute regelmäßig für Konflikte und Auseinandersetzungen. Salma Siddique zufolge gibt es einige rote Linien in der indischen Filmbranche:
"Das sind zum Beispiel muslimisch-nationale Bestrebungen. Darüber werden in Bollywood keine Filme gemacht. Oder auch interreligiöse Romanzen. Die werden zwar teilweise gemacht, aber immer vor dem Hintergrund des Konflikts. So dass dann Konflikt und Romanze sehr eng zusammenliegen."

"Religionspolizisten" verfolgen Liebespaare

Doch gerade die Diskussion um umstrittene Liebesszenen, wie die im Film Padmavati, zeigen, dass in der indischen Gesellschaft ein Wandel vor sich gehe. Weil sich die indische Gesellschaft ändere, würden sich auch die roten Linien der indischen Filmbranche ändern, erklärt Siddique:
"Jetzt haben wir gerade eine Phase in Indien, in der im echten Leben – nicht nur im Film –interreligiöse Liebe sehr kritisch gesehen wird. Es gibt eine regelrechte Religionspolizei von selbsternannten Wachtgruppen, die eine Art Liebes-Dschihad durchführen. Und extrem rechte Gruppierungen, die dann versuchen solche Paare auseinanderzubringen. Und das zeigt sich dann auch in der Darstellung dieses Themas in Bollywood. Und vor diesem Hintergrund muss man diesen Padmavati-Film sehen und auch diese Szene, diese Traum-Sequenz."
(mw)
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