Film zu Rostock-Lichtenhagen 1992

Aus Orientierungslosigkeit wird ziellose Wut

Randalierer bei den ausländerfeindlichen Krawallen 1992 in Rostock-Lichtenhagen.
Vor einem brennendem Trabi wirft dieser junge Mann einen Stein bei den ausländerfeindlichen Krawallen 1992 in Rostock-Lichtenhagen. © dpa / picture alliance / Bauer
Von Josef Schnelle · 18.01.2015
Im Sommer 1992 stürmten Rechtsextreme in Rostock-Lichtenhagen ein Asylbewerberheim - begleitet vom Beifall der Zuschauer. Der Regisseur Burhan Qurbani hat die Ereignisse in "Wir sind jung. Wir sind stark" in fiktiver filmischer Form umgesetzt.
"Eins versprech ich Euch. Morgen um dieselbe Zeit ist Rostock ausländerfrei."
Diesen Zungenschlag kennt man doch. In diesem Film sagt das ein Jugendlicher zwei Jahre nach der Wiedervereinigung. Ohne Aussicht auf einen Job oder eine Zukunftsperspektive hängt er mit seinen Freunden herum und langweilt sich. Wenig später am 24. August 1992 tobte ein entfesselter brauner Mob vor dem "Sonnenblumenhaus", einem trostlosen Plattenbau, in dem Asylbewerber untergebracht waren. Molotow-Cocktails wurden geworfen und Ausländer mit dem Tod bedroht. Der Filmemacher Burhan Qurbani - selbst Sohn afghanischer Einwanderer - hat sich mit den realen Ereignissen in Rostock-Lichtenhagen, bei denen 3.000 normale Bürger einer Gruppe von Gewalttätern zujubelten, in fiktiver filmischer Form beschäftigt. Er betreibt Ursachenforschung und erzählt die Geschichte aus der Sicht der jugendlichen Täter. Anfangs beschreibt er deren Orientierungslosigkeit, die sich zunächst in ziellose Wut verwandelt. Nur einer in der Gruppe klopft Nazisprüche. Die anderen - unter ihnen der Politikersohn Stefan - sind so sehr mit ihrer inneren Leere beschäftigt, dass es nicht einmal dazu reicht. Da fallen pubertäre Heldengeschichten vom Kampf gegen die übermächtige Polizei auf fruchtbaren Boden.
"Einer kommt auf mich zu. So'n Schrank. Helm auf'm Kopf. Brüllt mich an. Und ich denk: Na gut, woll' mer mal sehen, was so'n Helm aushält.“
Innere Widersprüche und Irrwege der Protagonisten
Burhan Qurbani, dessen Erstlingsfilm "Shahada" 2010 verschiedene Geschichten aus dem muslimischen Milieu zu einem Porträt einer verlorenen Generation von Einwanderern verdichtete, nimmt sich diesmal einer anderen Generation an. In der Nachwendezeit brach sich bekanntlich das in der DDR unter den Teppich gekehrte ausländerfeindliche Potenzial Bahn. Film ist immer von Emotionen geprägt. Eine gewisse Sympathie mit seinen Identifikationsfiguren ist unbedingt notwendig. Qurbani skizziert sehr präzise innere Widersprüche und Irrwege seiner Figuren. So bewegt sich der Film auf einem schmalen Grat. Er will den damaligen Ausbruch von Gewalt verständlich machen und dennoch nicht als Propagandafilm für die gerade wieder erstarkende rechte Szene in Ostdeutschland dienen. Das macht den im Übrigen äußerst kraftvollen Film manchmal akademisch übervorsichtig. Nur so kann er sich Momente wie diesen leisten.
"Hier und Heute beginnt die völkische Revolution."
Gespräche mit inzwischen ausgestiegenen Neo-Nazis bestätigen, das in der einschlägigen Szene damals dieses Aufbruchsgefühl herrschte. Der frustrierende Alltag der Jugendlichen und die Vorgeschichte des Angriffs auf das Asylbewerberheim ist übrigens als nüchterner fast dokumentarisch wirkender Schwarz-Weiß-Film gedreht. Erst wenn die bekannten Ereignisse vor dem Sonnenblumenhaus eintreten, flammt die Farbe auf.
Spektakuläre Bilder mit der Handkamera
Der Film wandelt sich zum Breitwandfilmformat Cinemascope und nach den ruhigen von Stativ und Steadycam aus gedrehten Aufnahmen in ersten Teil wurden die nachgestellten Bilder des Pogroms in der Nacht von Kameramann Yoshi Heimrath spektakulär mit einer Handkamera aufgenommen. Noch einen Aspekt betont der Film, der ihn aktueller macht, als er ursprünglich geplant war. Stefan stammt, wie man so sagt, aus der "Mitte der Gesellschaft". Sein Vater, gespielt von Devid Striesow, ist sogar Kommunalpolitiker, der sich von Fremdenfeindlichkeit distanziert, doch seinem Sohn so wenig Zuwendung gibt, dass der ihn nicht mehr versteht. Der folgende Dialog ist eine kurze Geschichte Deutschlands.
"Mein Vater hat gegen die Demokraten gekämpft, weil er Faschist war. Und ich habe gegen meinen Vater gekämpft, weil ich Kommunist bin. Dann hast Du gegen mich gekämpft, weil Du Demokrat sein willst. Und jetzt frag ich mich, was Stefan gerade tut."
Offenbar sind die Probleme der Generationen miteinander ein endloses Missverständnis und ein endloser Kampf. Burhan Qurbani hat einen der eindrucksvollsten deutschen Filme, des noch jungen Jahres 2015 gedreht.
Mehr zum Thema