Film "The Riot Club"

Einblicke in die britische Klassengesellschaft

Sam Claflin als Alistair Ryle (links) in einer Szene des Kinofilms "The Riot Club" von Lone Scherfig
Sam Claflin als Alistair Ryle (links) in einer Szene des Kinofilms "The Riot Club" von Lone Scherfig © picture alliance / dpa
Lone Scherfig im Gespräch mit Patrick Wellinski · 04.10.2014
Im Film "The Riot Club" zeichnet die dänische Regisseurin Lone Scherfig das Milieu der studentischen, sehr elitären Geheimbünde in Großbritannien nach. Dass es auf der Insel "so wenig gesellschaftliche Mobilität" gebe, breche ihr das Herz, sagt sie im Interview.
Susanne Burg: Mittlerweile ist Lone Scherfig zu einer heiß begehrten Regisseurin geworden, auch im englischsprachigen Raum. Nach "An Education"; "Zwei an einem Tag" kommt nun am Donnerstag die britische Produktion "The Riot Club" in die Kinos. Eine Theateradaption des gleichnamigen Theaterstücks von Laura Wade. Mein Kollege Patrick Wellinski hat Lone Scherfig getroffen. Wie hat sie auf ihn gewirkt?
Patrick Wellinski: Sie ist eine sehr fröhliche, eine offene Frau. Sie kam ja zu uns ins Funkhaus und war erst mal sehr begeistert von der Architektur, von den alten Studios, die sie an ihre Zeit als Feature-Regisseurin erinnert haben – Feature, die sie in den 90er-Jahren für das dänische Radio gemacht hat. Und es ist schon interessant, dass diese Frau sich jetzt diesem Stoff widmet.
Es geht in "The Riot Club" um eine exklusive Tischgesellschaft in Oxford, die nur aus Männern besteht, aus männlichen Studenten dieses Elite-Colleges. Aus diesen zehn rekrutiert sich dann später die große Elite des Landes. Also jetzt mal als interessanten Fakt: Der jetzige Premierminister von Großbritannien, David Cameron, war in dem Vorbild dieses Clubs - im Original heißt dieser Club nämlich "Bullingdon Club".
Und diese zehn Jungs feiern sehr exzessiv, sind auch dafür bekannt, dass diese Feiern auch mal eskalieren. Und der Film fokussiert sich dann in der Mitte als eine Art Kammerspiel auf einen sehr verhängnisvollen Abend. Denn die zehn Jungs feiern in einem abgelegenen Restaurant, wo sie noch kein Hausverbot bekommen haben, und geraten da mit dem Besitzer aneinander.
Und das ist ein Blick der Frau auf eine Männergesellschaft, der diesen Film sehr interessant macht. Und trotzdem wollte ich zunächst von Lone Scherfig wissen: Das Theatrale leucht uns ja ein. Zehn Leute, ein Abend, da sieht man das Ensemble, da sieht man das Kammerspiel. Aber was ist das Filmische an dem Stoff? Warum hat sie diesen Stoff für die Leinwand adaptiert?
Lone Scherfig: Ich habe versucht, es so zu zeigen, dass man an diese sehr elegante Welt erinnert wird, in der diese Leute leben, und die man so nicht wirklich auf die Bühne bekommen kann. Ich habe versucht, dass, wenn man sich in diesem Raum befindet, in dem all diese schrecklichen Dinge passieren, dieser Raum ein wenig explodiert. Ich wollte ihn abstrakter gestalten. Je betrunkener die Menschen darin werden, umso betrunkener wird auch die Kamera. Das war eine tolle Herausforderung.
Wellinski: Geheimbünde, so wie es der "Riot Club" ist – was sagen sie eigentlich über unsere westliche Gesellschaft?
Scherfig: Ich weiß, dass Laura, die das Drehbuch für den Film geschrieben hat, einfach die Klassenunterschiede in England aufzeigen und sie hinterfragen wollte. In England ist es so offensichtlich, egal was man macht – das Klassensystem ist überall. Das ist in vielen anderen Ländern sicher auch der Fall, aber eben nicht so dramatisch und direkt, wie man es in England erlebt. Das heißt also nicht, dass man nicht auch Parallelen in Dänemark oder sonst irgendwo finden könnte.
Wellinski: Sie sind in Dänemark aufgewachsen, da war ja der Klassenkampf jetzt nicht so groß, oder?
"Wir haben auch in Dänemark eine neue Oberschicht"
Scherfig: Nein, im Vergleich zu England nicht, oder zu Indien oder Südafrika, wo es genauso extrem ist wie in England. Aber die Unterschiede zwischen den Ärmsten und den Reichsten werden auch in Dänemark immer größer. Als ich noch ein Kind war, klaffte in Dänemark die kleinste Lücke der Welt zwischen den Privilegiertesten und den am wenigsten Privilegierten. Jetzt ändert sich das deutlich, und wir haben eine neue Oberschicht, die eigentlich die Verantwortung erkennen sollte, die solche Privilegien mit sich bringen, was sie aber nicht immer tut.
Wellinski: Diese Privilegien, und da hat mich Ihr Film an Martin Scorseses "The Wolf of Wallstreet" erinnert, die haben auch etwas …
Scherfig: Thank you – vielen Dank!
Wellinski: Bitte schön – es stimmt ja. Weil diese Gier, dieses fast schon Perverse, das hat auch was Anziehendes. Was ist das Anziehende an diesen Vereinen, die uns eigentlich alle aussperren?
Scherfig: Ich denke, ein Teil davon liegt in der Tradition begründet. Dass sie das tun, weil sie ihren Vorfahren gegenüber eine Verpflichtung verspüren, die das über Hunderte von Jahren so gemacht haben. Sie glauben, es müsse jedes Jahr schlimmer und extremer werden. Außerdem glaube ich, dass sie das tun, weil sie es tun können. Sie können sich finanziell aus den größten Konflikten retten. Sie haben die besten Anwälte, und schließlich kommt noch die Mentalität der Gruppe dazu. Die Tatsache, dass eine Gruppe Dinge tun kann, die ein Einzelner nicht tun würde. Wie eine Gruppe ihren moralischen Kompass verlieren kann, ist ein Phänomen, das für jede Art von Gruppe gilt. In diesem Sinne ist das also nicht nur typisch für die Oberschicht.
Wellinski: Diese Clubs, die ja für uns normale Menschen die Türen schließen – wir dürfen ja nicht – selbst der "Riot Club" mit nur zehn Mitgliedern aus ganz Oxford auch, alles Jungs übrigens – und Sie als Filmemacherin, und dann noch als Frau, können in diesen Raum reingehen mit Ihrer Kamera, so wie die Detektive in den Films noirs, die in diese Villen reingingen und uns die Reichen gezeigt haben, was die für Probleme haben. Ist vielleicht das Filmemachen da besser als das Theaterstück, weil Sie uns das wirklich sehr visuell zeigen können, die für uns ja – wie gesagt, die spielt hinter Türen.
Scherfig: Wenn man sich das auf der Bühne ansieht, ist das mehr so, als ob man auf ein Aquarium guckt, wo man all diese merkwürdigen Geschöpfe sieht, die sich auf eine komische und unvorhersehbare Art und Weise benehmen. Im Film dagegen kann man hinter diese verschlossenen Türen treten, sich unter sie mischen und, anders als auf der Bühne, unter ihre Oberfläche blicken. Aber das Theaterstück ist wirklich gut. Es ist nur etwas ganz anderes.
Ich weiß, dass Laura, die Autorin, sehr viel Recherchematerial verwendet hat, bis zu einem Punkt, an dem sie damit aufgehört und sich gesagt hat, dass sie von nun an für den Rest der Arbeit auf ihre Fantasie zurückgreifen möchte. Also im Geiste hinter diese verschlossene Tür zu treten und zu sehen, was dort passiert. Mit einer Kamera kann man für anderthalb Stunden fast zu einem Mitglied dieses Clubs werden, so lange der Film eben dauert, was durchaus verführerisch ist.
"Der Premierminister gehörte demselben Club an"
Wellinski: Diese Gier, die Sie zeigen, ist ja wirklich augenfällig, wie sie den ganzen Film durchzieht, und es gibt einen Moment, wo einer der Jungs sagt, "wir sind unfehlbar, wir machen keine Fehler". Können Sie diese Einstellung der Reichen, die sich über alles hinwegsetzen, was für uns, sagen wir mal, moralisch ist, verstehen?
Scherfig: Er sagt "wir machen keine Fehler", und sie machen schon Fehler. Aber sie haben Möglichkeiten, diese Fehler hinter sich zu lassen und regelrecht wegzuwischen. Das ist so auch der Fall bei den britischen Regierungsmitgliedern, wie dem Premierminister, der demselben Club angehörte.
Man vergibt sich seine Fehler ganz schnell. Man hat diese Teflon-Oberfläche und sagt sich, so sind die Jungs eben. Aber langfristig gesehen ist es gut und absolut richtig, dass Laura die Frage stellt, ob diese Leute sich der Verantwortung stellen, die diese Art von Macht und Geld mit sich bringen. Und ob Tradition eine ausreichend akzeptable Entschuldigung dafür ist, sich so schlecht zu benehmen und andere Leute zu unterdrücken oder zu ignorieren, die sie nicht für wichtig halten.
Wellinski: Genau auch dahingehend noch die Frage, ob man sich überhaupt ändern kann. Ob man begreift und lernen kann, das Verhalten ist falsch. Ich hatte das Gefühl, dass Ihr Film das am Ende recht offen lässt. Beziehungsweise, können Sie sich vorstellen, dass, wenn man das so traditionell mitbekommen hat, quasi per Geburt hat man diese Privilegien, können Sie sich vorstellen, dass man sich wirklich ändern kann und das abstreifen kann und sich davon distanzieren kann? Zu sagen, ich breche mit diesen Traditionen?
Scherfig: Ich weiß nicht, ob man das durch den Film machen kann. Aber überall auf der Welt haben sich Länder von feudalen zu demokratischen Systemen gewandelt, natürlich auch England.
Aber die Art, wie in England Land vererbt wird, verhindert, dass das Geld mobiler wird, wie es in manch anderer Gesellschaft der Fall ist. Und das Bildungssystem in England ist nicht sehr zugänglich für Leute, die weniger privilegiert sind.
Ich habe gesehen, wie die Leute, mit denen ich an dem Film gearbeitet habe – junge Familien mit Jobs in der Filmbranche, junge Leute aus der Mittelklasse –, wie schwer sie kämpfen müssen, um gute Kindergartenplätze zu ergattern oder gute Schulen für ihre Kinder zu finden. Was so wichtig ist, weil das der Ausgangspunkt für ihr ganzes Leben ist. Es gibt so wenig gesellschaftliche Mobilität. Das bricht einem das Herz.
Und wir reden hier über Leute, die Jobs haben – interessante Jobs. Es geht hier nicht um das viel, viel dunklere England, das es auch gibt, das ich aber, wenn ich dort arbeite, gar nicht zu Gesicht bekomme.
Wellinski: Der "Riot Club" hat nicht einen Hauptdarsteller, sondern zehn. Und Ihnen gelingt etwas sehr Schönes, weil diese zehn Jungs, diese zehn Figuren, die bekommen alle ihre eigene Tiefe. Das sind alles Charaktere für sich. Wir sehen kleine Konflikte. Das griechisch-stämmige Mitglied muss sich, obwohl er Mitglied ist, ständig kleinen rassistischen Äußerungen entgegensetzen. War das nicht vielleicht das Schwierigste an dem Film, die zehn Leute so zu zeichnen, dass sie nicht platt werden? Und dass der Film aber auch nicht fünf Stunden dauert.
"Oberschicht-Jungs, die sich schlecht benehmen"
Scherfig: Ja. Ich bin froh, dass Sie das so sehen. Es ist wichtig, das Ganze als komplexes Wesen zu sehen, nicht nur einfach als diese Clique von Oberschicht-Jungs, die sich schlecht benehmen. Sondern auch das Menschliche daran, den Humor, die Nuancen und Charaktere zu erschaffen, die alle ihre eigenen Momente und ihre Geschichten haben. Und auch zu zeigen, dass es eine Hierarchie innerhalb des "Riot Clubs" gibt. Dass das noch mal eine Mikro-Klassengesellschaft ist. Das hat mir an dem Film am meisten Spaß gemacht, mit diesen zehn jungen britischen Schauspielern zu arbeiten.
Die größte Herausforderung, war nicht die Regie über die Schauspieler zu führen, sondern den Film auszubalancieren, plausibel zu machen, dass der Film als sehr leichte Komödie beginnt, fast wie "Gosford Park" mit einer Menge guter Witze, die Laura geschrieben hat, und dann ganz einfach, ganz langsam zu diesem Vampirfilm wird, wie bei den "Gremlins", falls Sie sich erinnern: Nicht nach Mitternacht füttern! Diese niedlichen Tiere, die dann plötzlich zu absolut zerstörerischen Kreaturen werden. Davon hat dieser Film einiges. Diese Balance richtig hinzukriegen, den Film unterhaltsam anzulegen, auch wenn er provokant ist. Das war schwierig.
Wellinski: Und vielleicht noch einen kurzen Blick, woher Sie überhaupt kommen. Weil, Sie haben ja durchaus mit Ihrem Film "Italienisch für Anfänger" die Dogma-Bewegung stark mitgeprägt, doch auch in dieser Dogma-Bewegung waren Sie die Regisseurin für durchaus das komödiantische Moment darin. Das haben Sie jetzt auch in Ihre englischsprachigen Filme mitgenommen.
"The Riot Club", um es ehrlich zu sagen, ist, glaube ich, Ihr erster Dogma-Film wieder seit Langem. Nicht, wenn wir über den Stil, über die Form sprechen, sondern über den Inhalt. Weil Sie ja wirklich auf die düstere Seite des Menschen gucken, so wie Lars von Trier oder Thomas Winterberg, ihre Kollegen das bisher gemacht haben. Würden Sie sagen, "The Riot Club" ist vielleicht dahingehend Ihr zweiter oder nächster Dogma-Film?
Scherfig: Es gibt Dogma-Elemente in dem Film. Das Fehlen von Kontrolle, den Eindruck, dass Dinge zum ersten Mal geschehen. Ich wollte eine kleine Tür zu den Möglichkeiten offen lassen, was passieren würde, wenn wir selber dort stehen. Das mag ich, und das werde ich immer beibehalten. Mein nächster Film wird wieder mehr von der Wärme haben, die "Italienisch für Anfänger" hatte.
Aber hier wollte ich etwas ausprobieren, das nicht einfach nur warm und freundlich sein sollte. Ich wollte etwas machen, das mehr Energie und Dynamik hatte und neue Facetten meines Handwerks zum Tragen bringen. Was die Tonalität betrifft, hat der Film viel mit den Filmen zu tun, die ich zuvor gemacht habe. Und auch mit meiner Ausbildung. Aber er ist maskuliner, aggressiver, auf andere Art und Weise wichtig, würde ich sagen. Auf jeden Fall politischer.
Wellinski: Kommt eigentlich der Moment, wo Sie noch mal in Dänemark einen dänischen Film drehen?
Scherfig: Ich weiß nicht. Das weiß ich wirklich nicht. Keine der Geschichten, die mich zurzeit in ihren Bann ziehen, spielt in Dänemark. Aber es gibt ein paar Projekte, die ich vielleicht gerne in Deutschland verwirklichen würde.
Wellinski: Lone Scherfig. Ihr Film heißt "The Riot Club", läuft in den deutschen Kinos, und ich wünsche Ihnen viel Erfolg und danke für Ihre Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.