Film "The Big Short" und die Finanzmärkte

Augenöffner für die Probleme des Finanzsystems

Eine Szene aus dem Film "The Big Short" - rechts im Bild: Ryan Gosling als Jared Vennett
Eine Szene aus dem Film "The Big Short" - rechts im Bild: Ryan Gosling als Jared Vennett. © Paramount
Rainer Voss im Gespräch mit Nana Brink · 14.01.2016
Der Kinofilm "The Big Short" zeigt, wie es zur Immobilienblase in den USA kam, die die globale Finanzkrise 2008 ausgelöst hat. Der frühere Investmentbanker Rainer Voss lobt den Realitätsgehalt des Spielfilms und warnt vor Tücken des Finanzsystems, die Sprengkraft haben.
Nach Ansicht des früheren Investmentbankers und Dokumentarfilmers Rainer Voss hat der Film starke dokumentarische Aspekte. In gewisser Weise sei er ein Augenöffner für die Probleme des Finanzsystems, die auch heute noch nicht gelöst sind.

30 Prozent mehr Schulden als vor der Finanzkrise

Zwar seien die Bankenunion und der Abwicklungsmechanismus "gut durchdacht" und "gut gemeint", sagt Voss. "Die Frage ist nur, ob wir an das wirkliche Problem rangehen." So habe es beispielsweise 2015 weltweit 30 Prozent mehr Schulden gegeben als vor der Finanzkrise. "Das ist im Prinzip, wenn Sie so wollen, der Sprengstoff, der in die Luft gehen kann", warnt der frühere Investmentbanker. "Und wir müssen an dieses System ran und dieses System verkleinern und bestimmte Dinge stoppen."
Zum Beispiel könne man bestimmte Finanzprodukte wie "Algo Trading" verbieten, bei dem der Börsenhandel von Algorithmen vollautomatisiert abläuft. "Es hat keinen sozialen Nutzen, aber, wenn es schief geht, eine unheimlich hohe Sprengwirkung."

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Ganz schön viel Geld riecht der Banker Vennett in dem Film "The Big Short". Er kommt heute in die Kinos, ein Film über das Innenleben der Investmentbranche an den Börsen. Es geht im Film konkret um die Immobilienblase in den Staaten, als Mitte der 2000er-Jahre ja jeder Amerikaner an Kredite für sein Haus kam, und die Protagonisten wetten am Finanzmarkt auf den Zusammenbruch dieses Immobilienmarktes und sind damit sehr erfolgreich. Das basiert auf einer realen Geschichte und zwar der von Greg Lippmann, damals Investmentbanker für die Deutsche Bank in den USA. Und Lippmann ist auch das reale Vorbild für den Banker Vennett in "The Big Short".
Gespannt hat sich auch Rainer Voss in einer Preview den Film angesehen. Er war auch Investmentbanker, auch bei der Deutschen Bank, bekannt geworden ist er als Protagonist des Dokumentarfilms "Master of the Universe", in dem er als einer der wenigen Banker Einblick auch gegeben hat in das Innenleben dieser Branche. Schönen guten Morgen, Herr Voss!
Rainer Voss: Guten Morgen, Frau Brink!
Der Film erzählt eine wahre Geschichte
Brink: Der Film will ja keine Dokumentation sein, aber trotzdem interessiert uns natürlich als Zuschauer doch, wie nah ist er dran an der Realität?
Voss: Er will vielleicht keine Dokumentation sein, aber bei aller Skurrilität ist manchmal die Wirklichkeit so irre, dass man denkt, es wäre fiktiv. Also, ich finde schon, dass er sehr stark dokumentarische Elemente hat. Sie haben ja selber gesagt, es ist eine wahre Geschichte, es ist genau so passiert. Ich glaube noch nicht mal, dass Greg Lippmann die wichtigste Figur in diesem Film ist, gespielt von Ryan Gosling. Alle vier Protagonisten sind ja reale Figuren. Es gibt einen Einzigen, der seinen wirklichen Namen freigegeben hat, das war Dr. Michael Burry. Die anderen drei haben ihren Namen nicht freigegeben, aber die Personen und die Art, das, was sie tun, ist vollkommen realistisch, ist genau so passiert.
Brink: Sie können ja als jemand, der die Deutsche Bank von innen kennt, vielleicht uns auch sagen: Wie erklären Sie sich, dass so was überhaupt möglich war?
Voss: Na ja, wissen Sie, wir sind jetzt schon bei der Frage, bei der ich immer ein bisschen, wie soll ich sagen, wütend werde oder mich ärgere. Das leistet der Film auch. Sie können diesen Film auf zwei Ebenen sehen, Sie können einmal sagen, da ist also eine böse Finanzwirtschaft, die eine brave Zivilgesellschaft als Geisel genommen hat und ausbeutet. Das ist aber wie viele Dinge im Leben eine sehr naive Sicht der Dinge.
Parallelgesellschaften mit eigenen Gesetzen
Also, wir reden hier nicht über ein Deutsche-Bank-Problem, sondern wir reden hier über ein gesellschaftliches Problem. Und es gibt in dem Film eine Szene, die ich sehr instruktiv finde, und zwar geht es in der Szene um was völlig anderes, also, die reden da irgendwie miteinander und im Hintergrund läuft ein Fernseher. Und auf diesem Fernseher wird ein Nachrichtenclip gezeigt über Lance Armstrong und die Dopinggeschichte. Und wenn Sie dazu bereit sind, das zu akzeptieren, und aufnehmen, dann verstehen Sie plötzlich, dass Volkswagen, Lance Armstrong, die FIFA und von mir aus die Deutsche Bank, das ist alles ein Problem, das wir haben, nämlich Parallelgesellschaften, die sich ihre eigenen Gesetze machen. Und diese Gesetze sind unserer Gesellschaft nicht besonders zuträglich.
Brink: Pardon, die sich dann auch verselbstständigen?
Voss: Natürlich.
Brink: Also, die ein Innenleben, also ein Leben ... Weil Sie gesagt haben, das ist naiv, die Frage, wir versuchen ja immer zu begreifen, warum machen die das oder wie machen die das ...
Voss: Ich kann Ihnen auf diese Frage versuchen, eine Antwort zu geben, aber ich bin ... Da draußen laufen sehr viele Hochbegabte herum, die alle erklären können, warum die Finanzkrise passiert ist. Ich kann es noch nicht. Ich weiß, wie sie passiert ist, aber warum, weiß ich immer noch nicht. Ich denke, es handelt sich da um, ja, stammesähnliche Strukturen, die sich etablieren, wo man einfach zu einer bestimmten Kaste dazugehört und sich dann auch den Kastengesetzen entsprechend verhält.
30 Prozent mehr globale Schulden als 2008
Brink: Gibt es diese Kasten noch? Funktioniert das System weiter nach der Finanzkrise oder hat sich da wirklich was verändert? Das hat uns die Politik ja versprochen.
Voss: Also, ich sage mal, die Politik tut ihr Bestes. Aber ich würde sagen, dieses Kastensystem funktioniert noch ganz genauso wie 2008.
Brink: Warum hat sich das nicht geändert? Hat man sich da nur mal kurz geschüttelt und hat gesagt: Let's go on with it?
Voss: Nein, ich denke, das ist eine sehr unheilige Melange aus vielen Dingen. Also, ich denke, die Politik, die ja auch immer schlecht gemacht wird – und die Politik, das darf man eigentlich gar nicht sagen –, die Bankenunion zum Beispiel, die wir jetzt haben, oder der Abwicklungsmechanismus für Banken, das sind alles sehr gut gemeinte und gut durchdachte Mechanismen, von denen ich nie geglaubt hätte, dass man sie so schnell etablieren kann. Da kann man nur sagen: Chapeau! Die Frage ist nur, ob wir an das wirkliche Problem rangehen. Also, wir haben jetzt ... 2015 hatten wir 30 Prozent mehr Schulden in der Welt als vor der Finanzkrise. Das ist im Prinzip, wenn Sie so sagen wollen, der Sprengstoff, der in die Luft gehen kann. Und wir müssen an dieses System ran und dieses System verkleinern und bestimmte Dinge stoppen. Und da ist zwar der Wille da, da bin ich relativ sicher ...
Gefahr durch "Algo Trading"
Brink: Was für Dinge müssen wir denn stoppen?
Voss: Ja, man kann bestimmte Finanzprodukte verbieten. Also zum Beispiel alles, was mit elektronischem Handel zu tun hat, Algotrading, das hat keinen sozialen Nutzen, aber, wenn es schiefgeht, eine unheimlich hohe Sprengwirkung. Das sind Sachen, die können Sie verbieten, da merkt morgen keiner mehr, dass es die jemals gegeben hat. Also quasi wie so eine ... wie den Zünder aus der Bombe rausdrehen an verschiedenen Stellen. Das Problem ist nur, dass, wenn Sie an dieses System rangehen und das schrumpfen, dann entstehen auf dem Weg dahin Kollateralschäden. Und keiner kann absehen, wie groß die sein werden. Und ich glaube, daher kommt eine gewisse Zurückhaltung aufseiten der Regulierer und der Politik, da richtig ranzugehen.
Brink: Auf die Gefahr hin, dass das vielleicht auch naiv ist: Sind wir denn noch weit von einem großen Knall entfernt, dem Zünder, der hochgeht?
Voss: Wenn ich da eine Antwort drauf wüsste, würde ich wahrscheinlich ...
Brink: Die Glaskugel ...
Voss: ... in der Karibik sitzen mit einem Daiquiri in der Hand.
Brink: Würde ich Ihnen gönnen!
Voss: Na ja, ich denke ... Ich bin schon immer ein Krisenapologet gewesen und die letzten fünf Jahre hat mich die Wirklichkeit – wenn es denn die Wirklichkeit ist – Lügen gestraft. Ich glaube nur, dass sich die Welt so verändert hat, dass die allgemeinen ökonomischen Gesetze, nach denen wir 30 Jahre, 40 Jahre lang gehandelt haben, nicht mehr gelten.
Böse Bank - guter Kunde? Das ist zu stererotyp
Brink: Ist denn dieser Film so etwas vielleicht wie ein Augenöffner? Oder ist das zu viel gesagt?
Voss: Wenn man ihn so sehen möchte, ja. Ich würde jedem empfehlen, nicht in die stereotype Talkshow-Nummer zu verfallen, so böse Bank, guter Kunde wird reingelegt und so weiter und dann kommen da diese drei weißen Ritter, die sie auch nicht sind übrigens, und zeigen denen mal, wo der Hammer hängt. Man kann den Film so sehen, aber das wäre mir zu unterkomplex. In dem Film steckt unheimlich viel drin.
Brink: Herzlichen Dank, Rainer Voss, ehemals Investmentbanker. Und "The Big Short" ist ab heute in den deutschen Kinos. Und was alles drinsteckt auch aus der Sicht des Kinobesuchers, das erklären wir Ihnen in der Acht-bis-neun-Uhr-Stunde, unsere Filmkritikerin Hannelore Heider wird dann darauf noch mal eingehen. Vielen Dank, Herr Voss, für das Gespräch!
Voss: Gerne, tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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