Film "Stalins Tod"

"Eine systematische, ideologische Zensur"

Das Moskauer Kino Pioner darf eine Stalin-Komödie nicht zeigen (27.01.2018)
Auch das Moskauer Kino "Pionier", das den Stalin-Film zunächst zeigte, hat den Streifen wieder zurückgezogen. © AP / Alexander Zemlianichenko
von Thielko Grieß · 29.01.2018
Der französisch-britische Film "Stalins Tod" wird in Russland vorerst nicht in die Kinos kommen. Ein klarer Fall von Zensur, sagen liberale Russen. Die Persiflage auf den Sowjet-Apparat vertrage sich nicht mit dem anstehenden Jahrestag der Schlacht von Stalingrad.
Das Kino heißt "Pionier" und befindet sich im Erdgeschoss eines der prächtigen Moskauer Wohn- und Geschäftshäuser, die auf Geheiß Stalins errichtet wurden. Ausgerechnet. Die Karten für "Smert Stalina", "Der Tod Stalins", fanden reißenden Absatz. Nach der Premiere äußerten sich viele Besucher berührt, wie etwa diese Frau, die ihren Großvater im Großen Terror der 30er Jahre verloren hat:
"Das ist keine Komödie, das ist eine Tragikomödie, das kann keine Komödie sein, weil Millionen Menschen grundlos ums Leben gekommen sind."
Sakir, ein älterer Mann, ergänzt:
"Ich bedauere lediglich, dass so ein Film nicht bei uns gedreht worden ist. Wir hätten selbst so einen Film drehen sollen, um auf unser Leben zu schauen und über uns selbst zu lachen. Aber die Wahrheit ist schrecklich. Wenn man den Jugendlichen heute einreden will, dass es so nicht war, dass es diese Repressalien nicht gab, ist das schlecht und traurig. Traurig für die jungen Menschen und die Zukunft unseres Landes."

Persiflage auf den Machtapparat

Sowjetunion 1953. Als Josef Stalin stirbt, wird der Kreml von einem Kampf um die Macht erfasst. Geheimdienstchef Berija, die Mitglieder des Präsidiums des Zentralkomitees Malenkow und Chruschtschow sowie Marschall Schukow, der die Rote Armee bis nach Berlin geführt hatte, spinnen Intrigen und sammeln ihre Unterstützer. Ein Rennen beginnt, an dessen Ende sich bekanntlich einer durchsetzt: Nikita Chruschtschow.
Ein Film, der die Mechanismen des Machtapparats persifliert und tiefste Abgründe benennt. Im Zentrum der stürmischen russischen Diskussion steht die Frage: Wie ist an Stalin zu erinnern? Ist eine Komödie über den Staatsmann, Diktator und Tyrannen zulässig? Das russische Kulturministerium sieht offenkundig Anzeichen für Gesetzesverstöße – es forderte eine Expertise an und entzog die Vorführ-Lizenz.

Nach zwei Tagen knickt das Kino ein

Nach zwei Tagen beugte sich schließlich auch das Kino "Pionier", das einzige, das in ganz Russland den Film gezeigt hatte, dieser Linie; da half es nichts, dass es unter dem Schirm des Oligarchen Mamut steht, der zumindest gelegentlich besondere Freiheiten genießt. Abgeordnete der Staatsduma hatten sich zuvor den Film gemeinsam angeschaut und urteilten, hier werde das frühere Führungspersonal der UdSSR als dümmlich dargestellt. Der Präsidentschaftskandidat der Kommunistischen Partei, Pawel Grudinin, sagte:
"Darf ich Ihnen eine Gegenfrage stellen? Wenn Pornofilme in allen Kinos laufen würden, wie sollte die Regierung damit umgehen? Man könnte sagen: Die Leute sollen selber entscheiden, ob sie hingehen oder nicht. Aber Regierungen in allen Ländern kämpfen gegen Pornografie. Es gibt einige moralische und ethische Dinge, die von der Regierung bewertet werden müssen, weil grenzenlose Freiheit unmöglich ist. Deswegen sind wir dagegen."
Das liberale Russland artikuliert seinen Unmut über den Lizenzentzug. Im Sender Doschd beklagt der Politologe Kirill Rogow eine Kette von Beispielen:
"Das Konzept von Zensur in der Kultur ist eine der wichtigsten ‚Neuerungen‘ des Jahres 2017. Der Fall Serébrennikow gehört dazu, auch das Ballett ‚Nurejew‘ und der Film ‚Child 44‘, der in Russland fast verboten wurde. Und jetzt ‚Der Tod Stalins‘. Wir sehen eine systematische, neu entworfene ideologische Zensur der Kultur. Es ist schwierig, nicht zu sehen, dass das ein Frontalangriff ist."

Sie wollen zeigen, dass sie mehr verbieten können als andere

Der Historiker Nikolaj Swanidse argumentiert im Sender Echo Moskwy:
"Ein Grund ist, dass es eine besonders aktive Gruppe im Kulturministerium gibt, die sich an die Spitze der Bewegung setzt und die zeigen will, dass sie mehr verbieten kann als andere. Dass sie eine kristallklare Moral besitzen. Sie sagen, das geht nicht, ihr entwürdigt das Gedenken an die Frontkämpfer des Großen Vaterländischen Kriegs. Aber welches Recht haben sie, im Namen der Soldaten zu sprechen, von denen die jüngsten 90 Jahre alt sind? Mit welchem Recht halten sie alle Soldaten für Stalinisten? Wer ihnen dieses Recht gegeben hat – ich weiß es nicht."
Das Ende der Schlacht von Stalingrad jährt sich in wenigen Tagen. Auch mit Blick auf dieses Datum hatten Kritiker des Films gefordert, ihn nicht zu zeigen. Der Sieg in dieser Schlacht und über Nazi-Deutschland gilt laut Umfragen einer Mehrheit in Russland als größtes Vermächtnis Josef Stalins.
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