Film: "Die beste aller Welten"

Liebeserklärung an die heroinsüchtige Mutter

Szene aus dem Film "Die beste aller Welten" von Adrian Goiginger.
Szene aus dem Film "Die beste aller Welten" von Adrian Goiginger. © Filmperlen Verleih
Adrian Goiginger im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.09.2017
Wie lebt man als Kind einer drogenabhängigen Mutter? Fantasie, Liebe und zeitliche Zuwendung haben ihn "behütet durchkommen" lassen, sagt der österreichische Regisseur Adrian Goiginger. Sein erster Spielfilm "Die beste aller Welten" setzt seiner Mutter ein Denkmal.
Dieter Kassel: Sieben Jahre alt ist Adrian Wachter in dem Film "Die beste aller Welten" Man erlebt ihn, wie er in Salzburg mit seiner drogenabhängigen Mutter und deren Freunden aufwächst und wie er so, bis diese seine Welt zusammenbricht und sich alles ändert, tatsächlich eine glückliche Kindheit verlebt. Adrian Wachter heißt heute Adrian Goiginger, und er ist der Regisseur eben dieses Films. Herr Goiginger, schönen guten Morgen!
Adrian Goiginger: Guten Morgen, hallo!
Kassel: Ich glaube, wenn man nur das bisschen weiß, was ich jetzt gerade gesagt habe, und den Film noch nicht gesehen hat, dann vermutet man bei diesem Filmtitel pure Ironie. Ich finde auch nach Sehen des Films, der Titel ist zwar mehrdeutig, aber ironisch ist er eigentlich gar nicht gemeint, oder?
Goiginger: Nein, gar nicht. Das war uns auch ganz wichtig, da mit dem Titel und mit allem, was wir irgendwie jetzt im Vorfeld leisten können, gegen dieses schwere Thema. Weil wenn man jetzt hört: Mutter, Heroinabhängigkeit - dann denkt man sofort, oh Gott, will ich mir das wirklich anschauen? Da fühle ich mich ja nachher schlecht und will am liebsten selbst zur Nadel greifen. Aber so ist es eben gar nicht. Der Film ist eigentlich hoffnungsbestimmt und vor allem ein Liebesfilm für mich, ein Liebesfilm zwischen Mutter und Sohn. Und in dieser Liebesbeziehung schaffen sich die beiden eben die beste aller Welten. Da kommt dieser Titel her.
Kassel: Was ich beeindruckend fand, war – und es ist natürlich, es ist ein Spielfilm, es gibt auch spektakuläre Szenen – aber so ein paar relativ ruhige Szenen, wo Ihre Mutter in diesem Film vormittags natürlich sehr lange schläft, nachdem sie abends und nachts Drogen genommen hat, Heroin, Opium, das sind verschiedene Dinge in dem Film. Und dann ist sie natürlich total fertig. Aber immer, wenn Sie damals als siebenjähriger Junge in dem Film sie brauchen, Angst haben, irgendwas ist, die Tür ist offen, einer ist weg – ist sie sofort da. Das stelle ich mir selbst körperlich in der Realität schwierig vor. Ist das wirklich immer so gewesen?

Ein "unfassbarer Kraftakt"

Goiginger: Ja, auf jeden Fall. Und das ist ja auch der Grund, warum ich diesen Film gemacht habe. Weil meine Mutter eben diesen unfassbaren Kraftakt wirklich vollbracht hat, dass sie trotz ihrer Heroinsucht mir so eine schöne Kindheit ermöglicht hat. Und das hat sie eben geschafft durch bedingungslose Liebe und auch durch zeitliche Zuneigung. Wir haben oft stundenlang dann Abenteuer gespielt, draußen im Wald oder irgendwo am Fluss oder so. Das macht ja nicht jede Mutter, und sie hat das irgendwie geschafft, wie auch immer. Das ist mir ein bisschen ein Rätsel, wie sie das alles unter einen Hut gebracht hat. Aber dadurch bin ich echt, durch diese eigentlich schlimme Szene, sage ich jetzt mal, unbeschadet und behütet durchgekommen.
Adrian Goiginger, Regisseur des Films "Die beste aller Welten"
Adrian Goiginger: "Der Film ist eigentlich ein Liebesfilm zwischen Mutter und Sohn."© Verleih Polyfilm
Kassel: Es spielt ja Fantasie eine große Rolle in dem Film und hat es auch in Wirklichkeit. Einfaches Beispiel ist, dass Ihre Mutter Ihnen immer, wenn der Mann vom Jugendamt kam, gesagt hat, das sei einfach nur der Putzkontrolleur und deshalb müsse man aufräumen. Ein bisschen größer spielt die Fantasie eine Rolle in den Szenen, die es in dem Film ja auch gibt, wenn der Junge in Traumwelten ist, teilweise in Tag- und teilweise in Alpträumen, als Abenteurer gegen Monster kämpft. Ist das so gewesen, also haben Sie sich so eine Fantasiewelt auch selbst aufgebaut als Kind, um das alles auch auszustehen?
Goiginger: Ja, und teilweise ist die Fantasiewelt mir aufgezwungen worden in Form von Alpträumen. Es war einfach diese spirituelle Welt, durch Träume, durch Vorstellungen, durch Fantasien, die auch immer durch die Erwachsenen befeuert worden ist, die hat eine sehr große Rolle in meiner Kindheit gespielt auf jeden Fall. Und meine Mutter hat das auch als Schutzmechanismus gemacht, um mir irgendwie diese Welt verständlich zu machen. Ich vergleiche das immer mit "Das Leben ist schön", wo Roberto Benigni es sogar schafft, diesen KZ-Alltag irgendwie verständlich zu machen für ein Kind. So schlimm war es bei mir zum Glück nicht, aber sie hat es auch geschafft, durch diese Fantasieerklärungen einfach diesen Drogenalltag, wo man ja doch immer mit einem Fuß irgendwie an der Überdosis kratzt so als Erwachsener, mir diesen Alltag komplett natürlich wirken zu lassen. Das war ihre große Leistung, und diese Fantasie habe ich mir auch zum Glück behalten, und die hat eigentlich immer in meinem Leben schon eine ganz große Rolle gespielt.
Kassel: Aber ich glaube, manch Außenstehender, vielleicht sogar auch, wenn er den Film gesehen hat, mit Sicherheit aber, wenn nicht, wird sich jetzt aber fragen, na ja, aber das ist doch auch eine unfassbare Rücksichtslosigkeit, wenn eine Mutter ein siebenjähriges Kind hat und trotzdem Drogen nimmt. Ich meine, das wird eindeutig ja geschildert, wie es zuging in dieser Wohnung in Salzburg, wenn da alles eigentlich fast auf einmal getan wurde, gekifft, sonst was und eben auch gespritzt. Waren Sie Ihrer Mutter nie böse, haben Sie nie gedacht oder gesagt, das hättest du nicht tun dürfen, ich hätte dir wichtiger sein müssen?

Lebensmüde wegen schwerer Depressionen

Goiginger: Nein. Weil sie ja das auch nie wollte. Sie hat immer versucht aufzuhören, sie hat Dutzende Entzüge durchgemacht. Sie wollte ja unbedingt aufhören und nur Mutter sein und nicht mehr Mutter und Heroinsüchtige. Aber sie hat es einfach nicht geschafft, weil sie einfach auch ganz schwere Depressionen gehabt hat und wirklich auch lebensmüde war. Das Einzige, was ihr geholfen hat, irgendwie den Tag zu überstehen, war eben Heroin. Wie gesagt, das ist für mich eine Krankheit, und man ist ja jetzt auch keinem Krebskranken böse, dass er Krebs hat. Das wäre ja total blöd. Sie hat es geschafft, mir trotzdem Zuneigung, Liebe und eben alle Werte zu vermitteln, die ich jetzt als junger Erwachsener anwenden kann und brauche.
Kassel: Es ist zwar irrational, aber haben Sie irgendwann mal später, als Sie das alles begriffen hatten, soweit man so was begreifen kann, mal umgekehrt gedacht, okay, ich war zwar sieben, acht Jahre alt – aber haben Sie mal ein schlechtes Gewissen gehabt einfach bei dem Gedanken, ich hätte meiner Mutter vielleicht mehr helfen müssen, ich hätte das vielleicht besser begreifen müssen?
Goiginger: Nein, eigentlich auch nicht. Als Kind kann man eh nicht viel machen, außer irgendwie seine Eltern zu lieben und denen das immer zu zeigen und halt brav zu sein, mehr oder weniger. Und das war ich eigentlich so halbwegs. Ich glaube, es hätte einfach auch keiner helfen können. Das war wirklich ein Dilemma. Wenn man in so einer Sucht drinsteckt, dann ist es einfach ganz schwer, rauszukommen, und das habe ich einfach damals als Kind, glaube ich, schon gemerkt, dass da wirklich Sachen schief laufen, aber ich nichts daran ändern kann. Leider.

Abenteurer von Beruf

Kassel: Damals als Kind wollten Sie Abenteurer werden, das besprechen Sie mit Ihrer Mutter in diesem Film auch mehrmals, und sie sagt dann auch, ja, das ist schon ein richtiger Beruf, das kann man machen, sagt sie damals zu einem Sieben-, Achtjährigen. Und im Nachspann erfährt man dann, Adrian ist heute Abenteurer. Sie sind Filmemacher. Aber Sie wollten ja als Kind Abenteurer werden, um das Monster oder die Monster zu bekämpfen. Haben Sie inzwischen alle Monster bekämpft?
Goiginger: Es gibt schon noch ein paar, die immer wieder auftauchen, die man bekämpfen muss. Aber ich finde tatsächlich, dass dieser Beruf des Filmemachers, so wie ich ihn ausübe, wirklich dem des Abenteurers am nächsten ist. Es ist ja wirklich ein fast täglicher Kampf mit diversen Förderstellen und allen möglichen Hindernissen und Fallen, die man irgendwie umgehen muss, um seine Träume zu verwirklichen. Und dann ist man wirklich auch monatelang in so einer Art Dschungel, umgeben von hunderten Leuten, die wissen wollen, was jetzt gemacht wird. Und wenn man dann eben im Kino sitzt oder auch schon am Set ist und einfach zum Beispiel jetzt bei dem Film diesen siebenjährigen Hauptdarsteller hat, der wirklich so hinreißend und auch so herzzerreißend spielt und so viel gibt von sich, dann fühlt sich das für mich als Filmemacher wirklich an wie ein Schatz, der gefunden wird. Deswegen ist es für mich eben der Beruf, der dem Abenteurer am nächsten kommt, und ich sage jetzt immer ganz frech, dass ich Abenteurer bin.
Kassel: Ist übrigens wirklich wahr. Ich finde, allein der Junge ist ein Grund, den Film zu sehen. Aber die Erwachsenen natürlich auch, und Sie, und die Geschichte natürlich auch. Adrian Goiginger war das. Wir haben mit ihm über seine Kindheit gesprochen und über seinen ersten Spielfilm, der eben diese Kindheit zeigt. "Die beste aller Welten", so heißt der Film, kommt heute in die deutschen Kinos. Herr Goiginger, herzlichen Dank!
Goiginger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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